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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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um jene Klasse der "Rückfälligen" zu vermehren, welche den
Behörden die meisten Schwierigkeiten bereitet.

Der Herr Abg. Hansen klagt dann über die Gefängnisse.
Er sagt, die Leute würden da zu gut behandelt," ja sie haben
in den Gefängnissen alle Erfordernisse des Comforts, sogar
Badezimmer,
nur Kegelbahnen und Billards fehlen noch."

Ich weiß nicht, woher dieser kulturfeindliche Haß gegen
die Reinlichkeit kommt. Er ist sonst nur bei den Vagabunden
herkömmlich, die es sehr übel vermerken, wenn sie gereinigt
werden in der Anstalt. Sie haben die süße Gewohnheit des
Daseins in der Schweinerei und pflegen sich der Reinigung auf
das Aeußerste zu widersetzen. Das ist aber grade ein specifisches
Kurmittel. Wenn erst der Mensch so weit ist, daß er sich regel-
mäßig wäscht, so ist er zur Hälfte für die Cultur gewonnen.

Nun folgt eine Rede des Herrn Abg. Strosser, die Wahres
und Falsches vermischt enthält. Er sagt, "wenn man nach allen
Berechnungen die Jahr aus Jahr ein das deutsche Vaterland
durchziehenden Vagabunden auf 200 000 berechnet, so kommt
ein Kostenaufwand heraus von 100 Millionen Mark".

Ja, m. H.! Das sind so phantastische Rechnungen. Die
Rechnung ist so gemacht worden: In irgend einem Bezirk, der
stark unter der Vagabondage leidet, hat man gesagt: "Wir
haben für Vagabunden so und so viel ausgegeben in einem
Jahre, wir haben 100 000 Einwohner, das deutsche Reich hat
46 Millionen, folglich verhält sich die Gesammtausgabe wie
100 000 zu 46 000 000, und so ermitteln wir die Gesammtausgabe
des deutschen Reichs. So hat man sich das Exempel zurecht
gemacht. Daß das nicht richtig, nicht zuverlässig sein kann,
bedarf wohl keiner weiteren Ausführung. Wir lieben es über-
haupt heut zu Tage, uns an großen phantastischen Ziffern zu
berauschen. Aber nachweisbar sind diese Ziffern niemals, weil
es ihnen an jeder zuverlässigen factischen Unterlage gebricht;
und im Hinblick hierauf kann man kaum widersprechen, wenn
ein geistreicher Schriftsteller, Herr W. H. Riehl, in einer kultur-
wissenschaftlichen Skizze behauptet, wir litten gegenwärtig an
einer neuen Krankheit, an dem "Morbus statisticus", an der
statistischen Krankheit.

Dann sagt Hr. Strosser, "wir müssen diese Frage discutiren,

um jene Klasse der «Rückfälligen» zu vermehren, welche den
Behörden die meisten Schwierigkeiten bereitet.

Der Herr Abg. Hansen klagt dann über die Gefängnisse.
Er sagt, die Leute würden da zu gut behandelt,» ja sie haben
in den Gefängnissen alle Erfordernisse des Comforts, sogar
Badezimmer,
nur Kegelbahnen und Billards fehlen noch.»

Ich weiß nicht, woher dieser kulturfeindliche Haß gegen
die Reinlichkeit kommt. Er ist sonst nur bei den Vagabunden
herkömmlich, die es sehr übel vermerken, wenn sie gereinigt
werden in der Anstalt. Sie haben die süße Gewohnheit des
Daseins in der Schweinerei und pflegen sich der Reinigung auf
das Aeußerste zu widersetzen. Das ist aber grade ein specifisches
Kurmittel. Wenn erst der Mensch so weit ist, daß er sich regel-
mäßig wäscht, so ist er zur Hälfte für die Cultur gewonnen.

Nun folgt eine Rede des Herrn Abg. Strosser, die Wahres
und Falsches vermischt enthält. Er sagt, «wenn man nach allen
Berechnungen die Jahr aus Jahr ein das deutsche Vaterland
durchziehenden Vagabunden auf 200 000 berechnet, so kommt
ein Kostenaufwand heraus von 100 Millionen Mark».

Ja, m. H.! Das sind so phantastische Rechnungen. Die
Rechnung ist so gemacht worden: In irgend einem Bezirk, der
stark unter der Vagabondage leidet, hat man gesagt: «Wir
haben für Vagabunden so und so viel ausgegeben in einem
Jahre, wir haben 100 000 Einwohner, das deutsche Reich hat
46 Millionen, folglich verhält sich die Gesammtausgabe wie
100 000 zu 46 000 000, und so ermitteln wir die Gesammtausgabe
des deutschen Reichs. So hat man sich das Exempel zurecht
gemacht. Daß das nicht richtig, nicht zuverlässig sein kann,
bedarf wohl keiner weiteren Ausführung. Wir lieben es über-
haupt heut zu Tage, uns an großen phantastischen Ziffern zu
berauschen. Aber nachweisbar sind diese Ziffern niemals, weil
es ihnen an jeder zuverlässigen factischen Unterlage gebricht;
und im Hinblick hierauf kann man kaum widersprechen, wenn
ein geistreicher Schriftsteller, Herr W. H. Riehl, in einer kultur-
wissenschaftlichen Skizze behauptet, wir litten gegenwärtig an
einer neuen Krankheit, an dem «Morbus statisticus», an der
statistischen Krankheit.

Dann sagt Hr. Strosser, «wir müssen diese Frage discutiren,

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[28/0030] um jene Klasse der «Rückfälligen» zu vermehren, welche den Behörden die meisten Schwierigkeiten bereitet. Der Herr Abg. Hansen klagt dann über die Gefängnisse. Er sagt, die Leute würden da zu gut behandelt,» ja sie haben in den Gefängnissen alle Erfordernisse des Comforts, sogar Badezimmer, nur Kegelbahnen und Billards fehlen noch.» Ich weiß nicht, woher dieser kulturfeindliche Haß gegen die Reinlichkeit kommt. Er ist sonst nur bei den Vagabunden herkömmlich, die es sehr übel vermerken, wenn sie gereinigt werden in der Anstalt. Sie haben die süße Gewohnheit des Daseins in der Schweinerei und pflegen sich der Reinigung auf das Aeußerste zu widersetzen. Das ist aber grade ein specifisches Kurmittel. Wenn erst der Mensch so weit ist, daß er sich regel- mäßig wäscht, so ist er zur Hälfte für die Cultur gewonnen. Nun folgt eine Rede des Herrn Abg. Strosser, die Wahres und Falsches vermischt enthält. Er sagt, «wenn man nach allen Berechnungen die Jahr aus Jahr ein das deutsche Vaterland durchziehenden Vagabunden auf 200 000 berechnet, so kommt ein Kostenaufwand heraus von 100 Millionen Mark». Ja, m. H.! Das sind so phantastische Rechnungen. Die Rechnung ist so gemacht worden: In irgend einem Bezirk, der stark unter der Vagabondage leidet, hat man gesagt: «Wir haben für Vagabunden so und so viel ausgegeben in einem Jahre, wir haben 100 000 Einwohner, das deutsche Reich hat 46 Millionen, folglich verhält sich die Gesammtausgabe wie 100 000 zu 46 000 000, und so ermitteln wir die Gesammtausgabe des deutschen Reichs. So hat man sich das Exempel zurecht gemacht. Daß das nicht richtig, nicht zuverlässig sein kann, bedarf wohl keiner weiteren Ausführung. Wir lieben es über- haupt heut zu Tage, uns an großen phantastischen Ziffern zu berauschen. Aber nachweisbar sind diese Ziffern niemals, weil es ihnen an jeder zuverlässigen factischen Unterlage gebricht; und im Hinblick hierauf kann man kaum widersprechen, wenn ein geistreicher Schriftsteller, Herr W. H. Riehl, in einer kultur- wissenschaftlichen Skizze behauptet, wir litten gegenwärtig an einer neuen Krankheit, an dem «Morbus statisticus», an der statistischen Krankheit. Dann sagt Hr. Strosser, «wir müssen diese Frage discutiren,

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/30>, abgerufen am 28.03.2024.