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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

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dem Ende des schon vorhandenen Risses auf der Oberfläche des
Glases dahin, wohin der Riß gehen soll, fortführt. Die plötzliche
Ausdehnung an dieser Stelle bringt nämlich das Glas zum Sprin-
gen, und da man sich ganz nahe an dem Ende des Risses, wo
der Zusammenhang schon aufgehoben ist, befindet, so wählt der
neue Riß die Richtung dahin, wo am wenigsten Zusammenhang
zu überwinden ist. Es gehört indeß einige Vorsicht und Gewandt-
heit dazu, den Riß ganz nach Willkühr zu leiten, und Ungleich-
heiten im Glase selbst bringen doch noch oft Krümmungen hervor.

Eine ähnliche Ursache trennt bei starker Abkühlung oft Kör-
per, die sich in höherer Temperatur recht gut vereinigt hatten. Sind
nämlich zwei ungleiche Körper in wärmerem Zustande an einander
befestiget, so ziehen beide sich beim Erkalten in einen engern Raum
zusammen, aber der eine mehr als der andre, und dieses hat die
Folge, daß die vereinigt gewesenen Theile nicht bei einander blei-
ben können, ihren Zusammenhang verlieren, und auseinander
fallen. Es ist bekannt, daß Siegellack an einer kalten Metall-
platte fast gar nicht haftet; hat man die Metallplatte auf einen
mäßigen Grad erwärmt, so hält es fest, weil das warme Metall
und das warme Siegellack sich nun zugleich zusammenziehen, und
weniger geneigt sind sich zu trennen; aber bei starken Abkühlungen
trennen sie sich doch. Aus eben dem Grunde bleibt Platindrath
in Glas eingeschmelzt fester als Eisendrath oder Silberdrath. Die
beiden letztern Metalle dehnen sich nämlich weit mehr als Glas
aus, und ziehen sich daher, indem sie nach dem Schmelzen des Gla-
ses abkühlen, mehr als das Glas zusammen, jede zwei Metalltheil-
chen rücken näher an einander als die zwei an sie beim Schmelzen
befestigten Glastheilchen, weshalb die Verbindung getrennt wird;
Platin und Glas hingegen dehnen sich in mäßigen Temperaturen
fast genau gleich aus und bleiben daher vereinigt.

Das Abspringen der dünnen Schichten feinern Holzes an
unsern Mobilien rührt zwar meistens von der durch ungleiche
Feuchtigkeit und Austrocknung entstehenden verschiedenen Ausdeh-
nung her; aber die Wärme kann eben das bewirken. Das Krumm-
ziehen der Hölzer hat ebenfalls diese zweierlei Ursachen, nämlich
theils ein Längerwerden der dem Feuer zugewandten Seite durch

dem Ende des ſchon vorhandenen Riſſes auf der Oberflaͤche des
Glaſes dahin, wohin der Riß gehen ſoll, fortfuͤhrt. Die ploͤtzliche
Ausdehnung an dieſer Stelle bringt naͤmlich das Glas zum Sprin-
gen, und da man ſich ganz nahe an dem Ende des Riſſes, wo
der Zuſammenhang ſchon aufgehoben iſt, befindet, ſo waͤhlt der
neue Riß die Richtung dahin, wo am wenigſten Zuſammenhang
zu uͤberwinden iſt. Es gehoͤrt indeß einige Vorſicht und Gewandt-
heit dazu, den Riß ganz nach Willkuͤhr zu leiten, und Ungleich-
heiten im Glaſe ſelbſt bringen doch noch oft Kruͤmmungen hervor.

Eine aͤhnliche Urſache trennt bei ſtarker Abkuͤhlung oft Koͤr-
per, die ſich in hoͤherer Temperatur recht gut vereinigt hatten. Sind
naͤmlich zwei ungleiche Koͤrper in waͤrmerem Zuſtande an einander
befeſtiget, ſo ziehen beide ſich beim Erkalten in einen engern Raum
zuſammen, aber der eine mehr als der andre, und dieſes hat die
Folge, daß die vereinigt geweſenen Theile nicht bei einander blei-
ben koͤnnen, ihren Zuſammenhang verlieren, und auseinander
fallen. Es iſt bekannt, daß Siegellack an einer kalten Metall-
platte faſt gar nicht haftet; hat man die Metallplatte auf einen
maͤßigen Grad erwaͤrmt, ſo haͤlt es feſt, weil das warme Metall
und das warme Siegellack ſich nun zugleich zuſammenziehen, und
weniger geneigt ſind ſich zu trennen; aber bei ſtarken Abkuͤhlungen
trennen ſie ſich doch. Aus eben dem Grunde bleibt Platindrath
in Glas eingeſchmelzt feſter als Eiſendrath oder Silberdrath. Die
beiden letztern Metalle dehnen ſich naͤmlich weit mehr als Glas
aus, und ziehen ſich daher, indem ſie nach dem Schmelzen des Gla-
ſes abkuͤhlen, mehr als das Glas zuſammen, jede zwei Metalltheil-
chen ruͤcken naͤher an einander als die zwei an ſie beim Schmelzen
befeſtigten Glastheilchen, weshalb die Verbindung getrennt wird;
Platin und Glas hingegen dehnen ſich in maͤßigen Temperaturen
faſt genau gleich aus und bleiben daher vereinigt.

Das Abſpringen der duͤnnen Schichten feinern Holzes an
unſern Mobilien ruͤhrt zwar meiſtens von der durch ungleiche
Feuchtigkeit und Austrocknung entſtehenden verſchiedenen Ausdeh-
nung her; aber die Waͤrme kann eben das bewirken. Das Krumm-
ziehen der Hoͤlzer hat ebenfalls dieſe zweierlei Urſachen, naͤmlich
theils ein Laͤngerwerden der dem Feuer zugewandten Seite durch

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[23/0037] dem Ende des ſchon vorhandenen Riſſes auf der Oberflaͤche des Glaſes dahin, wohin der Riß gehen ſoll, fortfuͤhrt. Die ploͤtzliche Ausdehnung an dieſer Stelle bringt naͤmlich das Glas zum Sprin- gen, und da man ſich ganz nahe an dem Ende des Riſſes, wo der Zuſammenhang ſchon aufgehoben iſt, befindet, ſo waͤhlt der neue Riß die Richtung dahin, wo am wenigſten Zuſammenhang zu uͤberwinden iſt. Es gehoͤrt indeß einige Vorſicht und Gewandt- heit dazu, den Riß ganz nach Willkuͤhr zu leiten, und Ungleich- heiten im Glaſe ſelbſt bringen doch noch oft Kruͤmmungen hervor. Eine aͤhnliche Urſache trennt bei ſtarker Abkuͤhlung oft Koͤr- per, die ſich in hoͤherer Temperatur recht gut vereinigt hatten. Sind naͤmlich zwei ungleiche Koͤrper in waͤrmerem Zuſtande an einander befeſtiget, ſo ziehen beide ſich beim Erkalten in einen engern Raum zuſammen, aber der eine mehr als der andre, und dieſes hat die Folge, daß die vereinigt geweſenen Theile nicht bei einander blei- ben koͤnnen, ihren Zuſammenhang verlieren, und auseinander fallen. Es iſt bekannt, daß Siegellack an einer kalten Metall- platte faſt gar nicht haftet; hat man die Metallplatte auf einen maͤßigen Grad erwaͤrmt, ſo haͤlt es feſt, weil das warme Metall und das warme Siegellack ſich nun zugleich zuſammenziehen, und weniger geneigt ſind ſich zu trennen; aber bei ſtarken Abkuͤhlungen trennen ſie ſich doch. Aus eben dem Grunde bleibt Platindrath in Glas eingeſchmelzt feſter als Eiſendrath oder Silberdrath. Die beiden letztern Metalle dehnen ſich naͤmlich weit mehr als Glas aus, und ziehen ſich daher, indem ſie nach dem Schmelzen des Gla- ſes abkuͤhlen, mehr als das Glas zuſammen, jede zwei Metalltheil- chen ruͤcken naͤher an einander als die zwei an ſie beim Schmelzen befeſtigten Glastheilchen, weshalb die Verbindung getrennt wird; Platin und Glas hingegen dehnen ſich in maͤßigen Temperaturen faſt genau gleich aus und bleiben daher vereinigt. Das Abſpringen der duͤnnen Schichten feinern Holzes an unſern Mobilien ruͤhrt zwar meiſtens von der durch ungleiche Feuchtigkeit und Austrocknung entſtehenden verſchiedenen Ausdeh- nung her; aber die Waͤrme kann eben das bewirken. Das Krumm- ziehen der Hoͤlzer hat ebenfalls dieſe zweierlei Urſachen, naͤmlich theils ein Laͤngerwerden der dem Feuer zugewandten Seite durch

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/37>, abgerufen am 24.04.2024.