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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

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Zweite Vorlesung.


Die neulich angestellten Betrachtungen hatten fast allein den
Zweck, uns die Mittel, Grade der Wärme mit möglichster Genauig-
keit kennen zu lernen, zu verschaffen, und von dieser Seite ist die
Ausdehnung der Körper durch die Wärme uns vorzüglich wichtig;
aber auch zur Erklärung mancher Natur-Erscheinungen und zu
manchen practischen Anwendungen führt uns die Kenntniß jener
Wirkung der Wärme.

Erscheinungen, wobei die Ausdehnung durch die Wärme
merklich ist
.

Es ist eine gewöhnliche Erfahrung, daß ein Glas zerspringt,
wenn man heißes Wasser hineingießt und daß dies bei einem recht
kalten Glase am leichtesten erfolgt; dies ist der Erfolg der Ausdeh-
nung des Glases, dessen Theile nämlich an der plötzlich erhitzten
innern Seite sich auseinander drängen, und weil die noch nicht
erwärmten Theile sich noch nicht ausdehnen, ebenso wie beim Beu-
gen des Glases, ein Zersprengen bewirken. Wäre das Glas nicht
so sehr spröde, so würde es durch jene Ausdehnung an der innern
Seite ebenso eine Beugung seiner Wände erleiden, wie wir es
neulich an dem vereinigten Platin- und Silberstreifen sahen; aber
die geringste Beugung zerbricht das Glas, und da die Wärme sich
nicht so schnell der äußern Seite mittheilt, so bewirket diese Deh-
nung an einer Seite sein Zerspringen. Dünne Gläser sind diesem
weniger ausgesetzt, weil sie schnell genug in allen ihren Theilen
erhitzt werden. Die Erscheinung erfolgt ebenso, wenn man ein
kaltes Glas auf den heißen Ofen setzt, wird aber da durch das Un-
terlegen eines sich langsam erwärmenden Körpers, z. B. Papier,
gehindert, weil dieses keine so plötzliche und ungleichförmige Er-
hitzung zuläßt.

Auf eben dem Umstande beruht die Kunst, einen Riß im
Glase nach willkührlicher Richtung fortzuführen. Diese Kunst
besteht darin, daß man einen glühenden, spitzigen Eisenstab von

Zweite Vorleſung.


Die neulich angeſtellten Betrachtungen hatten faſt allein den
Zweck, uns die Mittel, Grade der Waͤrme mit moͤglichſter Genauig-
keit kennen zu lernen, zu verſchaffen, und von dieſer Seite iſt die
Ausdehnung der Koͤrper durch die Waͤrme uns vorzuͤglich wichtig;
aber auch zur Erklaͤrung mancher Natur-Erſcheinungen und zu
manchen practiſchen Anwendungen fuͤhrt uns die Kenntniß jener
Wirkung der Waͤrme.

Erſcheinungen, wobei die Ausdehnung durch die Waͤrme
merklich iſt
.

Es iſt eine gewoͤhnliche Erfahrung, daß ein Glas zerſpringt,
wenn man heißes Waſſer hineingießt und daß dies bei einem recht
kalten Glaſe am leichteſten erfolgt; dies iſt der Erfolg der Ausdeh-
nung des Glaſes, deſſen Theile naͤmlich an der ploͤtzlich erhitzten
innern Seite ſich auseinander draͤngen, und weil die noch nicht
erwaͤrmten Theile ſich noch nicht ausdehnen, ebenſo wie beim Beu-
gen des Glaſes, ein Zerſprengen bewirken. Waͤre das Glas nicht
ſo ſehr ſproͤde, ſo wuͤrde es durch jene Ausdehnung an der innern
Seite ebenſo eine Beugung ſeiner Waͤnde erleiden, wie wir es
neulich an dem vereinigten Platin- und Silberſtreifen ſahen; aber
die geringſte Beugung zerbricht das Glas, und da die Waͤrme ſich
nicht ſo ſchnell der aͤußern Seite mittheilt, ſo bewirket dieſe Deh-
nung an einer Seite ſein Zerſpringen. Duͤnne Glaͤſer ſind dieſem
weniger ausgeſetzt, weil ſie ſchnell genug in allen ihren Theilen
erhitzt werden. Die Erſcheinung erfolgt ebenſo, wenn man ein
kaltes Glas auf den heißen Ofen ſetzt, wird aber da durch das Un-
terlegen eines ſich langſam erwaͤrmenden Koͤrpers, z. B. Papier,
gehindert, weil dieſes keine ſo ploͤtzliche und ungleichfoͤrmige Er-
hitzung zulaͤßt.

Auf eben dem Umſtande beruht die Kunſt, einen Riß im
Glaſe nach willkuͤhrlicher Richtung fortzufuͤhren. Dieſe Kunſt
beſteht darin, daß man einen gluͤhenden, ſpitzigen Eiſenſtab von

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[22/0036] Zweite Vorleſung. Die neulich angeſtellten Betrachtungen hatten faſt allein den Zweck, uns die Mittel, Grade der Waͤrme mit moͤglichſter Genauig- keit kennen zu lernen, zu verſchaffen, und von dieſer Seite iſt die Ausdehnung der Koͤrper durch die Waͤrme uns vorzuͤglich wichtig; aber auch zur Erklaͤrung mancher Natur-Erſcheinungen und zu manchen practiſchen Anwendungen fuͤhrt uns die Kenntniß jener Wirkung der Waͤrme. Erſcheinungen, wobei die Ausdehnung durch die Waͤrme merklich iſt. Es iſt eine gewoͤhnliche Erfahrung, daß ein Glas zerſpringt, wenn man heißes Waſſer hineingießt und daß dies bei einem recht kalten Glaſe am leichteſten erfolgt; dies iſt der Erfolg der Ausdeh- nung des Glaſes, deſſen Theile naͤmlich an der ploͤtzlich erhitzten innern Seite ſich auseinander draͤngen, und weil die noch nicht erwaͤrmten Theile ſich noch nicht ausdehnen, ebenſo wie beim Beu- gen des Glaſes, ein Zerſprengen bewirken. Waͤre das Glas nicht ſo ſehr ſproͤde, ſo wuͤrde es durch jene Ausdehnung an der innern Seite ebenſo eine Beugung ſeiner Waͤnde erleiden, wie wir es neulich an dem vereinigten Platin- und Silberſtreifen ſahen; aber die geringſte Beugung zerbricht das Glas, und da die Waͤrme ſich nicht ſo ſchnell der aͤußern Seite mittheilt, ſo bewirket dieſe Deh- nung an einer Seite ſein Zerſpringen. Duͤnne Glaͤſer ſind dieſem weniger ausgeſetzt, weil ſie ſchnell genug in allen ihren Theilen erhitzt werden. Die Erſcheinung erfolgt ebenſo, wenn man ein kaltes Glas auf den heißen Ofen ſetzt, wird aber da durch das Un- terlegen eines ſich langſam erwaͤrmenden Koͤrpers, z. B. Papier, gehindert, weil dieſes keine ſo ploͤtzliche und ungleichfoͤrmige Er- hitzung zulaͤßt. Auf eben dem Umſtande beruht die Kunſt, einen Riß im Glaſe nach willkuͤhrlicher Richtung fortzufuͤhren. Dieſe Kunſt beſteht darin, daß man einen gluͤhenden, ſpitzigen Eiſenſtab von

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/36>, abgerufen am 29.03.2024.