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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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[Gleich. 36] § 16. Coexistenz der zwei Phasen.
eindeutige Bestimmtheit auftritt, wenn wir nicht-umkehrbare
Ueberführungen, sowie Unterkühlungen und Verdampfungsver-
züge ausschliessen.

Zu diesem Zwecke betrachten wir ein bestimmtes Quantum q
unserer Substanz, dessen Masse gleich 1 sei. Es habe wieder
anfangs den Zustand, der in Fig. 2 durch den Punkt L dar-
gestellt ist, und werde isotherm comprimirt. Sobald es in den
durch den Punkt E derselben Figur dargestellten Zustand ge-
langt ist, werde es versuchsweise von Zeit zu Zeit mit tropf-
barer Flüssigkeit von gleicher Temperatur und gleichem Drucke
in Berührung gebracht. Anfangs, wo die Substanz q noch
nahezu den Zustand E hat, wäre dies Flüssigkeit, die sich
im Zustande des Verdampfungverzuges befindet. Sie wird
explosiv in die Substanz q hinein verdampfen. Wir stellen
aber allsogleich wieder den alten Zustand der Substanz q her,
comprimiren dieselbe wieder ein wenig isotherm und bringen
sie nochmals probeweise mit Flüssigkeit von gleicher Tempe-
ratur und gleichem Drucke in Berührung. Dies wiederholen
wir so lange, bis wir zu einem Zustande der Substanz q ge-
langen, bei welchem, wenn diese mit Flüssigkeit von gleicher
Temperatur und gleichem Drucke in Berührung gebracht wird,
keine Flüssigkeit mehr in die Substanz q hinein verdampft,
aber auch noch kein Theil der Substanz q sich condensirt, also
Flüssigkeit und Dampf sich im Gleichgewichtszustande befinden.
Dabei habe bei dieser Temperatur die tropfbare Flüssigkeit den
in Fig. 2 durch Punkt J, der Dampf den durch Punkt G
dargestellten Zustand.

Dieser Gleichgewichtszustand zwischen Dampf und Flüssig-
keit kann nicht von dem Mengenverhältnisse dieser beiden
Phasen, sondern bloss von deren Zustand an der Berührungs-
fläche abhängen; denn die Moleküle unmittelbar an der Be-
rührungsfläche sind es allein, welche unter einander im Gleich-
gewichte stehen. Aber auch die absolute Grösse der Berührungs-
fläche kann nicht von Einfluss sein, da sich jeder Theil der-
selben unter den gleichen Umständen befindet. 1) Es muss

1) Die Krümmung der Berührungsfläche ist allerdings von einem,
wenn auch äusserst kleinen Einflusse. Ueber einer concaven Oberfläche,
wie sie an dem Meniscus in einer Capillarröhre auftritt, ist nämlich der

[Gleich. 36] § 16. Coexistenz der zwei Phasen.
eindeutige Bestimmtheit auftritt, wenn wir nicht-umkehrbare
Ueberführungen, sowie Unterkühlungen und Verdampfungsver-
züge ausschliessen.

Zu diesem Zwecke betrachten wir ein bestimmtes Quantum q
unserer Substanz, dessen Masse gleich 1 sei. Es habe wieder
anfangs den Zustand, der in Fig. 2 durch den Punkt L dar-
gestellt ist, und werde isotherm comprimirt. Sobald es in den
durch den Punkt E derselben Figur dargestellten Zustand ge-
langt ist, werde es versuchsweise von Zeit zu Zeit mit tropf-
barer Flüssigkeit von gleicher Temperatur und gleichem Drucke
in Berührung gebracht. Anfangs, wo die Substanz q noch
nahezu den Zustand E hat, wäre dies Flüssigkeit, die sich
im Zustande des Verdampfungverzuges befindet. Sie wird
explosiv in die Substanz q hinein verdampfen. Wir stellen
aber allsogleich wieder den alten Zustand der Substanz q her,
comprimiren dieselbe wieder ein wenig isotherm und bringen
sie nochmals probeweise mit Flüssigkeit von gleicher Tempe-
ratur und gleichem Drucke in Berührung. Dies wiederholen
wir so lange, bis wir zu einem Zustande der Substanz q ge-
langen, bei welchem, wenn diese mit Flüssigkeit von gleicher
Temperatur und gleichem Drucke in Berührung gebracht wird,
keine Flüssigkeit mehr in die Substanz q hinein verdampft,
aber auch noch kein Theil der Substanz q sich condensirt, also
Flüssigkeit und Dampf sich im Gleichgewichtszustande befinden.
Dabei habe bei dieser Temperatur die tropfbare Flüssigkeit den
in Fig. 2 durch Punkt J, der Dampf den durch Punkt G
dargestellten Zustand.

Dieser Gleichgewichtszustand zwischen Dampf und Flüssig-
keit kann nicht von dem Mengenverhältnisse dieser beiden
Phasen, sondern bloss von deren Zustand an der Berührungs-
fläche abhängen; denn die Moleküle unmittelbar an der Be-
rührungsfläche sind es allein, welche unter einander im Gleich-
gewichte stehen. Aber auch die absolute Grösse der Berührungs-
fläche kann nicht von Einfluss sein, da sich jeder Theil der-
selben unter den gleichen Umständen befindet. 1) Es muss

1) Die Krümmung der Berührungsfläche ist allerdings von einem,
wenn auch äusserst kleinen Einflusse. Ueber einer concaven Oberfläche,
wie sie an dem Meniscus in einer Capillarröhre auftritt, ist nämlich der
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[39/0057] [Gleich. 36] § 16. Coexistenz der zwei Phasen. eindeutige Bestimmtheit auftritt, wenn wir nicht-umkehrbare Ueberführungen, sowie Unterkühlungen und Verdampfungsver- züge ausschliessen. Zu diesem Zwecke betrachten wir ein bestimmtes Quantum q unserer Substanz, dessen Masse gleich 1 sei. Es habe wieder anfangs den Zustand, der in Fig. 2 durch den Punkt L dar- gestellt ist, und werde isotherm comprimirt. Sobald es in den durch den Punkt E derselben Figur dargestellten Zustand ge- langt ist, werde es versuchsweise von Zeit zu Zeit mit tropf- barer Flüssigkeit von gleicher Temperatur und gleichem Drucke in Berührung gebracht. Anfangs, wo die Substanz q noch nahezu den Zustand E hat, wäre dies Flüssigkeit, die sich im Zustande des Verdampfungverzuges befindet. Sie wird explosiv in die Substanz q hinein verdampfen. Wir stellen aber allsogleich wieder den alten Zustand der Substanz q her, comprimiren dieselbe wieder ein wenig isotherm und bringen sie nochmals probeweise mit Flüssigkeit von gleicher Tempe- ratur und gleichem Drucke in Berührung. Dies wiederholen wir so lange, bis wir zu einem Zustande der Substanz q ge- langen, bei welchem, wenn diese mit Flüssigkeit von gleicher Temperatur und gleichem Drucke in Berührung gebracht wird, keine Flüssigkeit mehr in die Substanz q hinein verdampft, aber auch noch kein Theil der Substanz q sich condensirt, also Flüssigkeit und Dampf sich im Gleichgewichtszustande befinden. Dabei habe bei dieser Temperatur die tropfbare Flüssigkeit den in Fig. 2 durch Punkt J, der Dampf den durch Punkt G dargestellten Zustand. Dieser Gleichgewichtszustand zwischen Dampf und Flüssig- keit kann nicht von dem Mengenverhältnisse dieser beiden Phasen, sondern bloss von deren Zustand an der Berührungs- fläche abhängen; denn die Moleküle unmittelbar an der Be- rührungsfläche sind es allein, welche unter einander im Gleich- gewichte stehen. Aber auch die absolute Grösse der Berührungs- fläche kann nicht von Einfluss sein, da sich jeder Theil der- selben unter den gleichen Umständen befindet. 1) Es muss 1) Die Krümmung der Berührungsfläche ist allerdings von einem, wenn auch äusserst kleinen Einflusse. Ueber einer concaven Oberfläche, wie sie an dem Meniscus in einer Capillarröhre auftritt, ist nämlich der

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/57>, abgerufen am 28.03.2024.