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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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VII. Abschnitt. [Gleich. 290]

Uebrigens sehen wir die Wahrscheinlichkeitsrechnung in
der Physik auch sonst eine Rolle spielen. Die Fehlerrechnung
nach Gauss' berühmter Methode bewährt sich bei rein phy-
sikalischen Vorgängen ebenso, wie die Versicherungsrechnung
bei statistischen. Dass sich im Orchester die Klänge eines
Unisonos regelmässig verstärken und nicht manches Mal durch
Interferenz zufällig aufheben, verdanken wir den Wahrschein-
lichkeitsgesetzen, welche auch die Natur des unpolarisirten
Lichtes erklären. Da heute Ausblicke auf die Zeit, wo sich
unsere Naturanschauung völlig verändert haben wird, beliebt
sind, so will ich noch die Möglichkeit erwähnen, dass sich die
Fundamentalgleichungen für die Bewegung der einzelnen Mole-
küle als blosse Annäherungsformeln herausstellen, welche Durch-
schnittswerthe angeben, die nach der Wahrscheinlichkeits-
rechnung aus dem Zusammenwirken sehr vieler selbständig
sich bewegender das umgebende Medium bildender Individuen
folgen, wie z. B. in der Meteorologie die Gesetze immer bloss
von Durchschnittswerthen gelten, die sich erst aus langen Beob-
achtungsreihen nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ergeben.
Diese Individuen müssten freilich so zahlreich sein und so rasch
wirken, dass man schon in Millionsteln von Secunden die
richtigen Durchschnittswerthe erhielte.

§ 92. Ableitung des Wärmegleichgewichtes durch
Umkehr der Zeitfolge
.

Mit den zuletzt angestellten Betrachtungen hängt eine
Ableitungsweise der Gleichung 266) zusammen, welche zuerst
von Maxwell1) angedeutet und dann von Planck2) etwas weiter

von Körpern mit Rücksicht auf die Schwere. Wiener Sitzungsber. II,
Bd. 73, S. 139, 1876. Boltzmann, Wiener Sitzungsber. II, Bd. 75, S. 67,
1877; Bd. 76, S. 373, 1878; Bd. 78, S. 740, 1878. Almanach der Wiener
Akademie 1886; Nat. 51, S. 413, 28. Febr. 1895. Vorlesungen über Gas-
theorie, I. Theil, S. 42. Wied. Ann. Bd. 57, S. 773, 1896; Bd. 60, S. 392,
1897. Klein's math. Ann., Bd. 50, S. 325, 1898. Burbury, Nat. 22.
Nov. 1894. Bryan, Amer. journ. Bd. 19, S. 283. Zermelo, Wied.
Ann. Bd. 57, S. 485, 1896; Bd. 59, S. 793, 1896.
1) Phil. mag. IV. ser. vol. 35, S. 187, 1868, Scient. pap. II, S. 45.
2) Sitzungsber. d. bair. Acad., Bd. 24, Nov. 1894. Wied. Ann.,
Bd. 55, S. 221, 1895.
VII. Abschnitt. [Gleich. 290]

Uebrigens sehen wir die Wahrscheinlichkeitsrechnung in
der Physik auch sonst eine Rolle spielen. Die Fehlerrechnung
nach Gauss’ berühmter Methode bewährt sich bei rein phy-
sikalischen Vorgängen ebenso, wie die Versicherungsrechnung
bei statistischen. Dass sich im Orchester die Klänge eines
Unisonos regelmässig verstärken und nicht manches Mal durch
Interferenz zufällig aufheben, verdanken wir den Wahrschein-
lichkeitsgesetzen, welche auch die Natur des unpolarisirten
Lichtes erklären. Da heute Ausblicke auf die Zeit, wo sich
unsere Naturanschauung völlig verändert haben wird, beliebt
sind, so will ich noch die Möglichkeit erwähnen, dass sich die
Fundamentalgleichungen für die Bewegung der einzelnen Mole-
küle als blosse Annäherungsformeln herausstellen, welche Durch-
schnittswerthe angeben, die nach der Wahrscheinlichkeits-
rechnung aus dem Zusammenwirken sehr vieler selbständig
sich bewegender das umgebende Medium bildender Individuen
folgen, wie z. B. in der Meteorologie die Gesetze immer bloss
von Durchschnittswerthen gelten, die sich erst aus langen Beob-
achtungsreihen nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ergeben.
Diese Individuen müssten freilich so zahlreich sein und so rasch
wirken, dass man schon in Millionsteln von Secunden die
richtigen Durchschnittswerthe erhielte.

§ 92. Ableitung des Wärmegleichgewichtes durch
Umkehr der Zeitfolge
.

Mit den zuletzt angestellten Betrachtungen hängt eine
Ableitungsweise der Gleichung 266) zusammen, welche zuerst
von Maxwell1) angedeutet und dann von Planck2) etwas weiter

von Körpern mit Rücksicht auf die Schwere. Wiener Sitzungsber. II,
Bd. 73, S. 139, 1876. Boltzmann, Wiener Sitzungsber. II, Bd. 75, S. 67,
1877; Bd. 76, S. 373, 1878; Bd. 78, S. 740, 1878. Almanach der Wiener
Akademie 1886; Nat. 51, S. 413, 28. Febr. 1895. Vorlesungen über Gas-
theorie, I. Theil, S. 42. Wied. Ann. Bd. 57, S. 773, 1896; Bd. 60, S. 392,
1897. Klein’s math. Ann., Bd. 50, S. 325, 1898. Burbury, Nat. 22.
Nov. 1894. Bryan, Amer. journ. Bd. 19, S. 283. Zermelo, Wied.
Ann. Bd. 57, S. 485, 1896; Bd. 59, S. 793, 1896.
1) Phil. mag. IV. ser. vol. 35, S. 187, 1868, Scient. pap. II, S. 45.
2) Sitzungsber. d. bair. Acad., Bd. 24, Nov. 1894. Wied. Ann.,
Bd. 55, S. 221, 1895.
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[260/0278] VII. Abschnitt. [Gleich. 290] Uebrigens sehen wir die Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Physik auch sonst eine Rolle spielen. Die Fehlerrechnung nach Gauss’ berühmter Methode bewährt sich bei rein phy- sikalischen Vorgängen ebenso, wie die Versicherungsrechnung bei statistischen. Dass sich im Orchester die Klänge eines Unisonos regelmässig verstärken und nicht manches Mal durch Interferenz zufällig aufheben, verdanken wir den Wahrschein- lichkeitsgesetzen, welche auch die Natur des unpolarisirten Lichtes erklären. Da heute Ausblicke auf die Zeit, wo sich unsere Naturanschauung völlig verändert haben wird, beliebt sind, so will ich noch die Möglichkeit erwähnen, dass sich die Fundamentalgleichungen für die Bewegung der einzelnen Mole- küle als blosse Annäherungsformeln herausstellen, welche Durch- schnittswerthe angeben, die nach der Wahrscheinlichkeits- rechnung aus dem Zusammenwirken sehr vieler selbständig sich bewegender das umgebende Medium bildender Individuen folgen, wie z. B. in der Meteorologie die Gesetze immer bloss von Durchschnittswerthen gelten, die sich erst aus langen Beob- achtungsreihen nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ergeben. Diese Individuen müssten freilich so zahlreich sein und so rasch wirken, dass man schon in Millionsteln von Secunden die richtigen Durchschnittswerthe erhielte. § 92. Ableitung des Wärmegleichgewichtes durch Umkehr der Zeitfolge. Mit den zuletzt angestellten Betrachtungen hängt eine Ableitungsweise der Gleichung 266) zusammen, welche zuerst von Maxwell 1) angedeutet und dann von Planck 2) etwas weiter 1) 1) Phil. mag. IV. ser. vol. 35, S. 187, 1868, Scient. pap. II, S. 45. 2) Sitzungsber. d. bair. Acad., Bd. 24, Nov. 1894. Wied. Ann., Bd. 55, S. 221, 1895. 1) von Körpern mit Rücksicht auf die Schwere. Wiener Sitzungsber. II, Bd. 73, S. 139, 1876. Boltzmann, Wiener Sitzungsber. II, Bd. 75, S. 67, 1877; Bd. 76, S. 373, 1878; Bd. 78, S. 740, 1878. Almanach der Wiener Akademie 1886; Nat. 51, S. 413, 28. Febr. 1895. Vorlesungen über Gas- theorie, I. Theil, S. 42. Wied. Ann. Bd. 57, S. 773, 1896; Bd. 60, S. 392, 1897. Klein’s math. Ann., Bd. 50, S. 325, 1898. Burbury, Nat. 22. Nov. 1894. Bryan, Amer. journ. Bd. 19, S. 283. Zermelo, Wied. Ann. Bd. 57, S. 485, 1896; Bd. 59, S. 793, 1896.

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/278>, abgerufen am 28.03.2024.