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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898.

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[Gleich. 158 a] § 55. Beliebiges Abstossungsgesetz.
wesentlich brauchbarer wäre, als die von van der Waals
gewissermaassen durch Inspiration gefundene.

Ein allgemeinerer Weg, um die ursprüngliche Formel van
der Waals
in bessere Uebereinstimmung mit der Erfahrung
zu bringen, bestünde darin, dass man in den beiden Aus-
drücken a/v2 und v -- b dieser Formel an Stelle der Con-
stanten empirisch zu wählende Functionen von Volumen und
Temperatur oder, ganz allgemein, dass man an Stelle von
a/v2 und v -- b den Beobachtungen möglichst gut ange-
passte derartige Functionen zu setzen versuchte, welche natür-
lich so gewählt werden müssten, dass die Sätze über die
kritischen Grössen und über die Verflüssigung nicht qualitativ
verschieden ausfielen. In diesem Sinne haben Clausius und
Sarrau die van der Waals'sche Formel modificirt. Wenn
dieselben wohl auch von theoretischen Ideen geleitet wurden
(Clausius scheint besonders die Berücksichtigung der Ver-
einigung der Moleküle zu grösseren Complexen im Auge gehabt
zu haben), so haben deren Gleichungen doch mehr den Cha-
rakter empirischer Annäherungsformeln, auf welche ich hier
nicht weiter eingehen will, ohne natürlich damit deren Nutzen
für die Praxis irgendwie bestreiten zu wollen.

§ 55. Virial für ein beliebiges Abstossungsgesetz
der Moleküle
.

Wir können mittelst der Gleichung 153) nach derselben
Methode auch die Grösse W'i für den Fall berechnen, dass
sich die Moleküle nicht wie elastische Kugeln verhalten, son-
dern wie materielle Punkte, zwischen denen während des Zu-
sammenstosses eine beliebige centrale Abstossung f(r) thätig
ist. Da dann die Zeit, während welcher zwei Moleküle bei
einem Zusammenstosse auf einander wirken, nicht mehr ver-
nachlässigt werden kann, so ist die Correction, vermöge welcher
die Formel 150) aus 149) entstand, nicht mehr richtig; aber
letztere Formel ist in erster Annäherung noch immer richtig.

Die Anzahl der Molekülpaare im Gase, deren Entfernung
zwischen r und r + d r liegt, ist also 2 p n2 r2 d r/v, sobald in der
Entfernung r noch keine Kraft wirkt. Die Veränderung dieser
Zahl durch Wirkung der abstossenden Kräfte wurde im Früheren

[Gleich. 158 a] § 55. Beliebiges Abstossungsgesetz.
wesentlich brauchbarer wäre, als die von van der Waals
gewissermaassen durch Inspiration gefundene.

Ein allgemeinerer Weg, um die ursprüngliche Formel van
der Waals
in bessere Uebereinstimmung mit der Erfahrung
zu bringen, bestünde darin, dass man in den beiden Aus-
drücken a/v2 und vb dieser Formel an Stelle der Con-
stanten empirisch zu wählende Functionen von Volumen und
Temperatur oder, ganz allgemein, dass man an Stelle von
a/v2 und vb den Beobachtungen möglichst gut ange-
passte derartige Functionen zu setzen versuchte, welche natür-
lich so gewählt werden müssten, dass die Sätze über die
kritischen Grössen und über die Verflüssigung nicht qualitativ
verschieden ausfielen. In diesem Sinne haben Clausius und
Sarrau die van der Waals’sche Formel modificirt. Wenn
dieselben wohl auch von theoretischen Ideen geleitet wurden
(Clausius scheint besonders die Berücksichtigung der Ver-
einigung der Moleküle zu grösseren Complexen im Auge gehabt
zu haben), so haben deren Gleichungen doch mehr den Cha-
rakter empirischer Annäherungsformeln, auf welche ich hier
nicht weiter eingehen will, ohne natürlich damit deren Nutzen
für die Praxis irgendwie bestreiten zu wollen.

§ 55. Virial für ein beliebiges Abstossungsgesetz
der Moleküle
.

Wir können mittelst der Gleichung 153) nach derselben
Methode auch die Grösse W'i für den Fall berechnen, dass
sich die Moleküle nicht wie elastische Kugeln verhalten, son-
dern wie materielle Punkte, zwischen denen während des Zu-
sammenstosses eine beliebige centrale Abstossung f(r) thätig
ist. Da dann die Zeit, während welcher zwei Moleküle bei
einem Zusammenstosse auf einander wirken, nicht mehr ver-
nachlässigt werden kann, so ist die Correction, vermöge welcher
die Formel 150) aus 149) entstand, nicht mehr richtig; aber
letztere Formel ist in erster Annäherung noch immer richtig.

Die Anzahl der Molekülpaare im Gase, deren Entfernung
zwischen r und r + d r liegt, ist also 2 π n2 r2 d r/v, sobald in der
Entfernung r noch keine Kraft wirkt. Die Veränderung dieser
Zahl durch Wirkung der abstossenden Kräfte wurde im Früheren

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[155/0173] [Gleich. 158 a] § 55. Beliebiges Abstossungsgesetz. wesentlich brauchbarer wäre, als die von van der Waals gewissermaassen durch Inspiration gefundene. Ein allgemeinerer Weg, um die ursprüngliche Formel van der Waals in bessere Uebereinstimmung mit der Erfahrung zu bringen, bestünde darin, dass man in den beiden Aus- drücken a/v2 und v — b dieser Formel an Stelle der Con- stanten empirisch zu wählende Functionen von Volumen und Temperatur oder, ganz allgemein, dass man an Stelle von a/v2 und v — b den Beobachtungen möglichst gut ange- passte derartige Functionen zu setzen versuchte, welche natür- lich so gewählt werden müssten, dass die Sätze über die kritischen Grössen und über die Verflüssigung nicht qualitativ verschieden ausfielen. In diesem Sinne haben Clausius und Sarrau die van der Waals’sche Formel modificirt. Wenn dieselben wohl auch von theoretischen Ideen geleitet wurden (Clausius scheint besonders die Berücksichtigung der Ver- einigung der Moleküle zu grösseren Complexen im Auge gehabt zu haben), so haben deren Gleichungen doch mehr den Cha- rakter empirischer Annäherungsformeln, auf welche ich hier nicht weiter eingehen will, ohne natürlich damit deren Nutzen für die Praxis irgendwie bestreiten zu wollen. § 55. Virial für ein beliebiges Abstossungsgesetz der Moleküle. Wir können mittelst der Gleichung 153) nach derselben Methode auch die Grösse W'i für den Fall berechnen, dass sich die Moleküle nicht wie elastische Kugeln verhalten, son- dern wie materielle Punkte, zwischen denen während des Zu- sammenstosses eine beliebige centrale Abstossung f(r) thätig ist. Da dann die Zeit, während welcher zwei Moleküle bei einem Zusammenstosse auf einander wirken, nicht mehr ver- nachlässigt werden kann, so ist die Correction, vermöge welcher die Formel 150) aus 149) entstand, nicht mehr richtig; aber letztere Formel ist in erster Annäherung noch immer richtig. Die Anzahl der Molekülpaare im Gase, deren Entfernung zwischen r und r + d r liegt, ist also 2 π n2 r2 d r/v, sobald in der Entfernung r noch keine Kraft wirkt. Die Veränderung dieser Zahl durch Wirkung der abstossenden Kräfte wurde im Früheren

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Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/173>, abgerufen am 18.04.2024.