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Bohrer, Bertha: Die Lehrerinnen und das Frauenstimmrecht. Berlin, 1911 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 9).

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Einrichtung besonderer Näh- oder Haushaltungskurse, so sind die Anträge
an die Herren Minister für Handel und Gewerbe oder für Landwirtschaft,
Domänen und Forsten zu richten". Also für die männliche Jugend
alles, für die weibliche nichts!
Als Lehrerin auf dem Lande habe
ich einen Verein junger Mädchen geleitet und habe gern alle Mühe auf
mich genommen, um die Mädchen, die zukünftigen Mütter und Er-
zieherinnen, zu fördern in der Hauswirtschaft, im Flicken und Stopfen,
in Krankenpflege und in der Kindererziehung. Jn diesem Bestreben hat
mich der Staat nicht im geringsten unterstützt. Sollte es aber einem
Kollegen eingefallen sein, einen Verein schulentlassener Knaben ins Leben
zu rufen, was natürlich nicht geschah, so wären ihm aus Staatsmitteln
angeschafft worden: Turngeräte, Spiele, Liederbücher, Musikinstrumente,
kurz alles, was er sich nur gewünscht hätte. Nach den neuesten Be-
stimmungen des Kultusministers ist es geradezu ideal, für die männliche
Jugend zu arbeiten. Die weibliche Jugend, die ja doch niemals wahlbe¬
rechtigt wird, läßt man laufen.

Aus demselben Grunde hat man wahrscheinlich die weibliche Jugend
auch bei der Fortbildungsschule übergangen. Für die gesamte männ-
liche Jugend in Städten mit über 10000 Einwohnern wird die Fort-
bildungsschule obligatorisch, d. h. die Knaben sind gezwungen, die Fort¬
bildungsschule zu besuchen vom 14. bis zum 17. Lebensjahre. Für die
Mädchen gibt es keine Fortbildungsschule, der Staat scheint ein ungeheures
Vertrauen zur weiblichen Jugend zu haben; für sie sind alle diese Ver-
anstaltungen, die einesteils zur gründlichen Ausbildung im Berufe, andrer-
seits zur Stärkung des sittlichen Charakters der männlichen Jugend
dienen, nicht notwendig. Unsere Regierung kennt bloß die wohlerzogene
Tochter, die im Frieden des Hauses aufwächst. Sie kennt aber nicht die
Millionen von Mädchen, die kaum dem Kindesalter entwachsen, vielfach
ohne Halt und Stütze ins Erwerbsleben hinausgedrängt werden. Wann
wird das anders werden?
fragt die Zeitschrift "Ein Volk, eine
Schule" und gibt als einzige richtige Antwort: "Nur dann, wenn die
Frau mit dem Stimmzettel in der Hand in der Volksvertretung
Einlaß gewinnt und der einseitigen Männerpolitik ein Ende
macht, die in dieser neuen Zeit dasteht wie eine verfallene
Burg mit tausend Rissen und Spalten."

Durch die Fortbildungsschule allein wäre aber auch eine staats-
bürgerliche Erziehung unserer weiblichen Jugend gewährleistet. Staats-
bürgerliche Erziehung brauchen unsere Mädchen als spätere Hausfrauen
und Mütter, damit sie die wirtschaftspolitischen Fragen verstehen lernen
und die heranwachsende Generation, Knaben und Mädchen, zu Staats-
bürgern erziehen können, aber auch, damit sie ihre rechtliche Stellung in
der Ehe kennen lernen. Staatsbürgerliche Erziehung brauchen

Einrichtung besonderer Näh- oder Haushaltungskurse, so sind die Anträge
an die Herren Minister für Handel und Gewerbe oder für Landwirtschaft,
Domänen und Forsten zu richten“. Also für die männliche Jugend
alles, für die weibliche nichts!
Als Lehrerin auf dem Lande habe
ich einen Verein junger Mädchen geleitet und habe gern alle Mühe auf
mich genommen, um die Mädchen, die zukünftigen Mütter und Er-
zieherinnen, zu fördern in der Hauswirtschaft, im Flicken und Stopfen,
in Krankenpflege und in der Kindererziehung. Jn diesem Bestreben hat
mich der Staat nicht im geringsten unterstützt. Sollte es aber einem
Kollegen eingefallen sein, einen Verein schulentlassener Knaben ins Leben
zu rufen, was natürlich nicht geschah, so wären ihm aus Staatsmitteln
angeschafft worden: Turngeräte, Spiele, Liederbücher, Musikinstrumente,
kurz alles, was er sich nur gewünscht hätte. Nach den neuesten Be-
stimmungen des Kultusministers ist es geradezu ideal, für die männliche
Jugend zu arbeiten. Die weibliche Jugend, die ja doch niemals wahlbe¬
rechtigt wird, läßt man laufen.

Aus demselben Grunde hat man wahrscheinlich die weibliche Jugend
auch bei der Fortbildungsschule übergangen. Für die gesamte männ-
liche Jugend in Städten mit über 10000 Einwohnern wird die Fort-
bildungsschule obligatorisch, d. h. die Knaben sind gezwungen, die Fort¬
bildungsschule zu besuchen vom 14. bis zum 17. Lebensjahre. Für die
Mädchen gibt es keine Fortbildungsschule, der Staat scheint ein ungeheures
Vertrauen zur weiblichen Jugend zu haben; für sie sind alle diese Ver-
anstaltungen, die einesteils zur gründlichen Ausbildung im Berufe, andrer-
seits zur Stärkung des sittlichen Charakters der männlichen Jugend
dienen, nicht notwendig. Unsere Regierung kennt bloß die wohlerzogene
Tochter, die im Frieden des Hauses aufwächst. Sie kennt aber nicht die
Millionen von Mädchen, die kaum dem Kindesalter entwachsen, vielfach
ohne Halt und Stütze ins Erwerbsleben hinausgedrängt werden. Wann
wird das anders werden?
fragt die Zeitschrift „Ein Volk, eine
Schule“ und gibt als einzige richtige Antwort: „Nur dann, wenn die
Frau mit dem Stimmzettel in der Hand in der Volksvertretung
Einlaß gewinnt und der einseitigen Männerpolitik ein Ende
macht, die in dieser neuen Zeit dasteht wie eine verfallene
Burg mit tausend Rissen und Spalten.“

Durch die Fortbildungsschule allein wäre aber auch eine staats-
bürgerliche Erziehung unserer weiblichen Jugend gewährleistet. Staats-
bürgerliche Erziehung brauchen unsere Mädchen als spätere Hausfrauen
und Mütter, damit sie die wirtschaftspolitischen Fragen verstehen lernen
und die heranwachsende Generation, Knaben und Mädchen, zu Staats-
bürgern erziehen können, aber auch, damit sie ihre rechtliche Stellung in
der Ehe kennen lernen. Staatsbürgerliche Erziehung brauchen

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Zitationshilfe: Bohrer, Bertha: Die Lehrerinnen und das Frauenstimmrecht. Berlin, 1911 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 9), S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bohrer_lehrerinnen_1911/9>, abgerufen am 28.03.2024.