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Bohrer, Bertha: Die Lehrerinnen und das Frauenstimmrecht. Berlin, 1911 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 9).

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die Mädchen im Berufe und als erwerbstätige Frauen.
Staatsbürgerliche Erziehung
brauchen alle unsere heranwachsenden
Mädchen, nicht in letzter Linie, damit sie eines Tages, wenn der große
Augenblick ihrer politischen Mündigkeit gekommen ist, wissen, was sie zur
Förderung ihrer eigenen Jnteressen und der des Gesamtwohles zu tun
haben. Schon in der Volksschule können staatsbürgerliche Kenntnisse in
ungezwungener Weise in Geschichte, Geographie, in deutsche Lesestücke und
in den Rechenunterricht eingeflochten werden. Die Hauptaufgabe aber
muß die Fortbildungsschule übernehmen, sie ist für die staatsbürgerliche
Erziehung der Jugend nicht zu entbehren. Hier werden die staatsbürger¬
lichen Belehrungen nicht mehr gelegentlich, sondern in einem sachgemäßen
Unterricht gegeben. Die geeignetste Kraft für diesen Unterricht wäre bei
den Mädchen natürlich die Frau, die Lehrerin.

Wie aber steht es mit der staatsbürgerlichen Gesinnung
dieser Lehrerinnen selbst? Wieviele Lehrerinnen stehen denn
im öffentlichen Leben? Ja, wieviele Lehrerinnen beteiligen
sich an den Lehrerinnenvereinen, ihrer eigensten Organisation?

Wie unendlich schwer ist es, speziell die jungen Kolleginnen zum Besuche
der Lehrerinnenversammlungen zu bewegen, geschweige denn zu Frauen-
versammlungen, die die Hebung des weiblichen Geschlechts im allgemeinen
bezwecken. Wir haben in unserer Dortmunder Ortsgruppe für Frauen-
stimmrecht unter 70 Mitgliedern nur 4 Lehrerinnen, davon sind 2 bereits
pensioniert. Daß die Lehrerinnen in anderen Ortsgruppen stärker ver-
treten sind, scheint nicht der Fall, sonst hätte man in Berlin auf der
Generalversammlung des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht
nicht von den wenigen Lehrerinnen sprechen können. Jch bin überzeugt,
je mehr die Lehrerinnen die Frauenversammlungen, besonders die Frauen-
stimmrechtsversammlungen, besuchen, je mehr werden sie einsehen, daß ihre
Nöte auch die der Frauen im allgemeinen sind, und je eher werden sie
von der Notwendigkeit der Forderung des Frauenstimmrechts überzeugt.

Jch bin 25 Jahre als Volksschullehrerin tätig gewesen, darunter
22 Jahre auf dem Lande. Jch habe gearbeitet und gestrebt, nicht nur
in der Schule, sondern auch in der Gemeinde nach besten Kräften. Aber
ich muß es öffentlich bekennen: Meine ganze Arbeit war Stückwerk, mußte
Stückwerk sein, weil ich niemals meine Stimme in der Öffentlichkeit er-
heben konnte, um die mancherlei Schäden im Gemeindeleben an der
Wurzel fassen und von Grund aus beseitigen zu können.
Die echte,
rechte Volksschullehrerin hat eine tiefe Liebe zu den Kindern des Volks
und ein lebhaftes Jnteresse für soziale Arbeit und sozialen Fortschritt.
Erst durch das Frauenstimmrecht werden ihr die Wege geebnet zu inten¬
siver, gründlicher Arbeit, und nur dann erst wird ihre Arbeit auch
wirklich von Erfolg gekrönt sein.

die Mädchen im Berufe und als erwerbstätige Frauen.
Staatsbürgerliche Erziehung
brauchen alle unsere heranwachsenden
Mädchen, nicht in letzter Linie, damit sie eines Tages, wenn der große
Augenblick ihrer politischen Mündigkeit gekommen ist, wissen, was sie zur
Förderung ihrer eigenen Jnteressen und der des Gesamtwohles zu tun
haben. Schon in der Volksschule können staatsbürgerliche Kenntnisse in
ungezwungener Weise in Geschichte, Geographie, in deutsche Lesestücke und
in den Rechenunterricht eingeflochten werden. Die Hauptaufgabe aber
muß die Fortbildungsschule übernehmen, sie ist für die staatsbürgerliche
Erziehung der Jugend nicht zu entbehren. Hier werden die staatsbürger¬
lichen Belehrungen nicht mehr gelegentlich, sondern in einem sachgemäßen
Unterricht gegeben. Die geeignetste Kraft für diesen Unterricht wäre bei
den Mädchen natürlich die Frau, die Lehrerin.

Wie aber steht es mit der staatsbürgerlichen Gesinnung
dieser Lehrerinnen selbst? Wieviele Lehrerinnen stehen denn
im öffentlichen Leben? Ja, wieviele Lehrerinnen beteiligen
sich an den Lehrerinnenvereinen, ihrer eigensten Organisation?

Wie unendlich schwer ist es, speziell die jungen Kolleginnen zum Besuche
der Lehrerinnenversammlungen zu bewegen, geschweige denn zu Frauen-
versammlungen, die die Hebung des weiblichen Geschlechts im allgemeinen
bezwecken. Wir haben in unserer Dortmunder Ortsgruppe für Frauen-
stimmrecht unter 70 Mitgliedern nur 4 Lehrerinnen, davon sind 2 bereits
pensioniert. Daß die Lehrerinnen in anderen Ortsgruppen stärker ver-
treten sind, scheint nicht der Fall, sonst hätte man in Berlin auf der
Generalversammlung des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht
nicht von den wenigen Lehrerinnen sprechen können. Jch bin überzeugt,
je mehr die Lehrerinnen die Frauenversammlungen, besonders die Frauen-
stimmrechtsversammlungen, besuchen, je mehr werden sie einsehen, daß ihre
Nöte auch die der Frauen im allgemeinen sind, und je eher werden sie
von der Notwendigkeit der Forderung des Frauenstimmrechts überzeugt.

Jch bin 25 Jahre als Volksschullehrerin tätig gewesen, darunter
22 Jahre auf dem Lande. Jch habe gearbeitet und gestrebt, nicht nur
in der Schule, sondern auch in der Gemeinde nach besten Kräften. Aber
ich muß es öffentlich bekennen: Meine ganze Arbeit war Stückwerk, mußte
Stückwerk sein, weil ich niemals meine Stimme in der Öffentlichkeit er-
heben konnte, um die mancherlei Schäden im Gemeindeleben an der
Wurzel fassen und von Grund aus beseitigen zu können.
Die echte,
rechte Volksschullehrerin hat eine tiefe Liebe zu den Kindern des Volks
und ein lebhaftes Jnteresse für soziale Arbeit und sozialen Fortschritt.
Erst durch das Frauenstimmrecht werden ihr die Wege geebnet zu inten¬
siver, gründlicher Arbeit, und nur dann erst wird ihre Arbeit auch
wirklich von Erfolg gekrönt sein.

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Zitationshilfe: Bohrer, Bertha: Die Lehrerinnen und das Frauenstimmrecht. Berlin, 1911 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 9), S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bohrer_lehrerinnen_1911/10>, abgerufen am 28.03.2024.