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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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Ich habe aufhören müssen. Seit einigen Tagen
werde ich von grausamen Zahnschmerzen geplagt.
Am Tage sind sie leidlicher; da bin ich aber müde
von der schlaflosen Nacht. Es ist ein Fluß und ich
werde sehen wie ich hinüber komme. Der unschul¬
dige Hugo kann wohl darunter leiden; ein Rezensent
ist ein Wolf, einer der Zahnschmerzen hat, gar ein
toller Wolf. Ich habe oben die äußerste Grenze des
Verderbens bezeichnet, der man freilich noch viel nä¬
her kommen kann als Victor Hugo. Er hat eine
Grazie die ihn am Aermel zupft, so oft er es gar
zu toll macht.

Die Handlung spielt in der Zeit und am Hofe
Franz des Ersten. Das ist der französische König
der in seinem vier und fünfzigsten Jahre an einer
unglücklichen Liebe starb. Damals war eine un¬
glückliche Liebe noch nicht heilbar. König Franz liebt
sein ganzes Leben und das ganze Drama durch.
Das Kosen, das Küssen, das Umarmen nimmt kein
Ende. Und alles in Gegenwart der Hofleute und
der Tausende von Zusehern unter welchen Leute sind
wie ich. Es ist abscheulich. Racines Fürsten und
Helden schmachten und weinen wenn sie lieben; ihre
Krone schmilzt ihnen auf dem Kopfe und tröpfelt in


Ich habe aufhören müſſen. Seit einigen Tagen
werde ich von grauſamen Zahnſchmerzen geplagt.
Am Tage ſind ſie leidlicher; da bin ich aber müde
von der ſchlafloſen Nacht. Es iſt ein Fluß und ich
werde ſehen wie ich hinüber komme. Der unſchul¬
dige Hugo kann wohl darunter leiden; ein Rezenſent
iſt ein Wolf, einer der Zahnſchmerzen hat, gar ein
toller Wolf. Ich habe oben die äußerſte Grenze des
Verderbens bezeichnet, der man freilich noch viel nä¬
her kommen kann als Victor Hugo. Er hat eine
Grazie die ihn am Aermel zupft, ſo oft er es gar
zu toll macht.

Die Handlung ſpielt in der Zeit und am Hofe
Franz des Erſten. Das iſt der franzöſiſche König
der in ſeinem vier und fünfzigſten Jahre an einer
unglücklichen Liebe ſtarb. Damals war eine un¬
glückliche Liebe noch nicht heilbar. König Franz liebt
ſein ganzes Leben und das ganze Drama durch.
Das Koſen, das Küſſen, das Umarmen nimmt kein
Ende. Und alles in Gegenwart der Hofleute und
der Tauſende von Zuſehern unter welchen Leute ſind
wie ich. Es iſt abſcheulich. Racines Fürſten und
Helden ſchmachten und weinen wenn ſie lieben; ihre
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[70/0082] Sonntag, den 10. Dezember. Ich habe aufhören müſſen. Seit einigen Tagen werde ich von grauſamen Zahnſchmerzen geplagt. Am Tage ſind ſie leidlicher; da bin ich aber müde von der ſchlafloſen Nacht. Es iſt ein Fluß und ich werde ſehen wie ich hinüber komme. Der unſchul¬ dige Hugo kann wohl darunter leiden; ein Rezenſent iſt ein Wolf, einer der Zahnſchmerzen hat, gar ein toller Wolf. Ich habe oben die äußerſte Grenze des Verderbens bezeichnet, der man freilich noch viel nä¬ her kommen kann als Victor Hugo. Er hat eine Grazie die ihn am Aermel zupft, ſo oft er es gar zu toll macht. Die Handlung ſpielt in der Zeit und am Hofe Franz des Erſten. Das iſt der franzöſiſche König der in ſeinem vier und fünfzigſten Jahre an einer unglücklichen Liebe ſtarb. Damals war eine un¬ glückliche Liebe noch nicht heilbar. König Franz liebt ſein ganzes Leben und das ganze Drama durch. Das Koſen, das Küſſen, das Umarmen nimmt kein Ende. Und alles in Gegenwart der Hofleute und der Tauſende von Zuſehern unter welchen Leute ſind wie ich. Es iſt abſcheulich. Racines Fürſten und Helden ſchmachten und weinen wenn ſie lieben; ihre Krone ſchmilzt ihnen auf dem Kopfe und tröpfelt in

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/82>, abgerufen am 29.03.2024.