Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Heute marschieren die Franzosen in Belgien ein,
angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht
aber auch um den König Leopold gegen sein eigenes
Land zu schützen, das seiner in den nächsten Tagen
überdrüßig werden dürfte. Den Franzosen gegenüber
ziehen sich die Preußen zusammen, darauf zu wachen,
daß das Volk in seiner Lust nicht übermüthig werde,
und sich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm
zugemessen. Was ist dieses Frankreich gesunken!
Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Asche übrig
ist, es müßte sich jetzt entzünden. Gleich schwach und
verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬
rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entschul¬
digen, sie war Erschöpfung nach einem ungeheuern
Tagewerke. Die jetzige Regierung aber ist schwach
und schlaff von vielem Schlafen. Und der Ernst ge¬
gen Holland soll nur Komödie seyn, gespielt der dok¬
trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft
zu paradiren, daß sie sich befestige; denn von den
Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin
Frankreichs. Es ist die wohlfeilste Art Krieg zu füh¬
ren. Schon um acht Uhr diesen Morgen erhielt ich
ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier,
der mich auf heute zu Tische bittet, um ihm den

V. 2

Heute marſchieren die Franzoſen in Belgien ein,
angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht
aber auch um den König Leopold gegen ſein eigenes
Land zu ſchützen, das ſeiner in den nächſten Tagen
überdrüßig werden dürfte. Den Franzoſen gegenüber
ziehen ſich die Preußen zuſammen, darauf zu wachen,
daß das Volk in ſeiner Luſt nicht übermüthig werde,
und ſich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm
zugemeſſen. Was iſt dieſes Frankreich geſunken!
Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Aſche übrig
iſt, es müßte ſich jetzt entzünden. Gleich ſchwach und
verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬
rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entſchul¬
digen, ſie war Erſchöpfung nach einem ungeheuern
Tagewerke. Die jetzige Regierung aber iſt ſchwach
und ſchlaff von vielem Schlafen. Und der Ernſt ge¬
gen Holland ſoll nur Komödie ſeyn, geſpielt der dok¬
trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft
zu paradiren, daß ſie ſich befeſtige; denn von den
Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin
Frankreichs. Es iſt die wohlfeilſte Art Krieg zu füh¬
ren. Schon um acht Uhr dieſen Morgen erhielt ich
ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier,
der mich auf heute zu Tiſche bittet, um ihm den

V. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0029" n="17"/>
        <div>
          <dateline rendition="#right">Donner&#x017F;tag, den 15. November.</dateline><lb/>
          <p>Heute mar&#x017F;chieren die Franzo&#x017F;en in Belgien ein,<lb/>
angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht<lb/>
aber auch um den König Leopold gegen &#x017F;ein eigenes<lb/>
Land zu &#x017F;chützen, das &#x017F;einer in den näch&#x017F;ten Tagen<lb/>
überdrüßig werden dürfte. Den Franzo&#x017F;en gegenüber<lb/>
ziehen &#x017F;ich die Preußen zu&#x017F;ammen, darauf zu wachen,<lb/>
daß das Volk in &#x017F;einer Lu&#x017F;t nicht übermüthig werde,<lb/>
und &#x017F;ich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm<lb/>
zugeme&#x017F;&#x017F;en. Was i&#x017F;t die&#x017F;es Frankreich ge&#x017F;unken!<lb/>
Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons A&#x017F;che übrig<lb/>
i&#x017F;t, es müßte &#x017F;ich jetzt entzünden. Gleich &#x017F;chwach und<lb/>
verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬<lb/>
rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu ent&#x017F;chul¬<lb/>
digen, &#x017F;ie war Er&#x017F;chöpfung nach einem ungeheuern<lb/>
Tagewerke. Die jetzige Regierung aber i&#x017F;t &#x017F;chwach<lb/>
und &#x017F;chlaff von vielem Schlafen. Und der Ern&#x017F;t ge¬<lb/>
gen Holland &#x017F;oll nur Komödie &#x017F;eyn, ge&#x017F;pielt der dok¬<lb/>
trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft<lb/>
zu paradiren, daß &#x017F;ie &#x017F;ich befe&#x017F;tige; denn von den<lb/>
Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin<lb/>
Frankreichs. Es i&#x017F;t die wohlfeil&#x017F;te Art Krieg zu füh¬<lb/>
ren. Schon um acht Uhr die&#x017F;en Morgen erhielt ich<lb/>
ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier,<lb/>
der mich auf heute zu Ti&#x017F;che bittet, um ihm den<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">V</hi>. 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0029] Donnerſtag, den 15. November. Heute marſchieren die Franzoſen in Belgien ein, angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht aber auch um den König Leopold gegen ſein eigenes Land zu ſchützen, das ſeiner in den nächſten Tagen überdrüßig werden dürfte. Den Franzoſen gegenüber ziehen ſich die Preußen zuſammen, darauf zu wachen, daß das Volk in ſeiner Luſt nicht übermüthig werde, und ſich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm zugemeſſen. Was iſt dieſes Frankreich geſunken! Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Aſche übrig iſt, es müßte ſich jetzt entzünden. Gleich ſchwach und verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬ rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entſchul¬ digen, ſie war Erſchöpfung nach einem ungeheuern Tagewerke. Die jetzige Regierung aber iſt ſchwach und ſchlaff von vielem Schlafen. Und der Ernſt ge¬ gen Holland ſoll nur Komödie ſeyn, geſpielt der dok¬ trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft zu paradiren, daß ſie ſich befeſtige; denn von den Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin Frankreichs. Es iſt die wohlfeilſte Art Krieg zu füh¬ ren. Schon um acht Uhr dieſen Morgen erhielt ich ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier, der mich auf heute zu Tiſche bittet, um ihm den V. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/29
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/29>, abgerufen am 29.03.2024.