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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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es in der Leidenschaft, er konnte sich wenigstens da¬
mit entschuldigen, er konnte alles auf seine Minister
wälzen, die Kränkung wieder gut machen, er wollte
das wirklich thun. Aber Louis Philipp begnügt sich
nicht blos mit dem Rechte der Leidenschaft, er will
auch die Leidenschaft zu einem Rechte erheben, er ver¬
langt das Recht, zu jeder Zeit, so oft es ihm be¬
liebt, ungerecht sein zu dürfen. Und er begnügt sich
nicht das Verbrechen allein zu begehen, er sucht auch
die ganze Nation, in deren Stellvertretern zu seinen
Mitschuldigern zu machen. Nun giebt es zwar hier
Leute genug, die nicht schlecht sind, sondern nur dumm,
welche behaupten, der jetzige Fall wäre doch ganz ein
Anderer. Carl X. habe die Constitution aus eigner
Machtvollkommenheit verletzt. Louis Philipp thue es
in Gemeinschaft mit den Kammern. Bei jenem sei
die Aufhebung der Charte Willkühr gewesen, dieser
wolle sie gesetzlich machen. Aber was ändert das die
Sache? O ja, es ändert die Sache, es macht sie
weit weit schlimmer. Ist ein Verbrechen weniger ein
Verbrechen weil es zweihundert Menschen theilen?
Ist die Tyrannei der Gesetze weniger Tyrannei als
die der Willkühr. Und wenn alle die dreißig Millio¬
nen Franzosen in der Kammer säßen, und sie alle
stimmten Mann für Mann für ein Gesetz, daß der
Regierung verstatte die persönliche Freiheit, die Frei¬

es in der Leidenſchaft, er konnte ſich wenigſtens da¬
mit entſchuldigen, er konnte alles auf ſeine Miniſter
wälzen, die Kränkung wieder gut machen, er wollte
das wirklich thun. Aber Louis Philipp begnügt ſich
nicht blos mit dem Rechte der Leidenſchaft, er will
auch die Leidenſchaft zu einem Rechte erheben, er ver¬
langt das Recht, zu jeder Zeit, ſo oft es ihm be¬
liebt, ungerecht ſein zu dürfen. Und er begnügt ſich
nicht das Verbrechen allein zu begehen, er ſucht auch
die ganze Nation, in deren Stellvertretern zu ſeinen
Mitſchuldigern zu machen. Nun giebt es zwar hier
Leute genug, die nicht ſchlecht ſind, ſondern nur dumm,
welche behaupten, der jetzige Fall wäre doch ganz ein
Anderer. Carl X. habe die Conſtitution aus eigner
Machtvollkommenheit verletzt. Louis Philipp thue es
in Gemeinſchaft mit den Kammern. Bei jenem ſei
die Aufhebung der Charte Willkühr geweſen, dieſer
wolle ſie geſetzlich machen. Aber was ändert das die
Sache? O ja, es ändert die Sache, es macht ſie
weit weit ſchlimmer. Iſt ein Verbrechen weniger ein
Verbrechen weil es zweihundert Menſchen theilen?
Iſt die Tyrannei der Geſetze weniger Tyrannei als
die der Willkühr. Und wenn alle die dreißig Millio¬
nen Franzoſen in der Kammer ſäßen, und ſie alle
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[106/0118] es in der Leidenſchaft, er konnte ſich wenigſtens da¬ mit entſchuldigen, er konnte alles auf ſeine Miniſter wälzen, die Kränkung wieder gut machen, er wollte das wirklich thun. Aber Louis Philipp begnügt ſich nicht blos mit dem Rechte der Leidenſchaft, er will auch die Leidenſchaft zu einem Rechte erheben, er ver¬ langt das Recht, zu jeder Zeit, ſo oft es ihm be¬ liebt, ungerecht ſein zu dürfen. Und er begnügt ſich nicht das Verbrechen allein zu begehen, er ſucht auch die ganze Nation, in deren Stellvertretern zu ſeinen Mitſchuldigern zu machen. Nun giebt es zwar hier Leute genug, die nicht ſchlecht ſind, ſondern nur dumm, welche behaupten, der jetzige Fall wäre doch ganz ein Anderer. Carl X. habe die Conſtitution aus eigner Machtvollkommenheit verletzt. Louis Philipp thue es in Gemeinſchaft mit den Kammern. Bei jenem ſei die Aufhebung der Charte Willkühr geweſen, dieſer wolle ſie geſetzlich machen. Aber was ändert das die Sache? O ja, es ändert die Sache, es macht ſie weit weit ſchlimmer. Iſt ein Verbrechen weniger ein Verbrechen weil es zweihundert Menſchen theilen? Iſt die Tyrannei der Geſetze weniger Tyrannei als die der Willkühr. Und wenn alle die dreißig Millio¬ nen Franzoſen in der Kammer ſäßen, und ſie alle ſtimmten Mann für Mann für ein Geſetz, daß der Regierung verſtatte die perſönliche Freiheit, die Frei¬

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/118>, abgerufen am 20.04.2024.