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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

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teten Kinder. Es ist ihm kein Lächeln abzugewinnen.
Da er noch ein Jüngling war, da er als Jupiter,
noch mit dem Honige seiner Kindheit auf den Lippen,
durch alle Welten schwärmte, welche himmlische
Pagenstreiche machte er, wie liebenswürdig war er
damals! wie er seinem Vater dem Fresser Kronos
ein Brechmittel eingab; wie er sich als Gans, als
Ochs, als Mensch, als Regen verkleidet, zu den
Schönen schlich, wie er neun ganze halbe Tage sich
mit der gelehrten Mnemosyne einschloß, und mit ihr
alle die Millionen Bücher schrieb, die seitdem in die
verschiedenen Sprachen der Menschen übersetzt er¬
schienen sind -- es ist Alles vorbei, es ist nichts
mehr mit ihm anzufangen! Ach! wenn ich Gott
wäre, welche Späße wollte ich mir machen mit Ba¬
varia-Hellas! Ich ließ in einer Nacht alle die herr¬
lichen Griechen aller Zeiten und aller Städte aus
dem Grabe hervorsteigen, und alle Tempel auch und
die alten Götter rief ich herbei. Und an einem
schönen Frühlingstage, da der Spatziergang am Ilys¬
sus gedrängt von Menschen war, kömmt ein Sclave
athemlos herbeigestürzt und schreit: König Otto ist
angekommen! Alles geräth in Bewegung. Die
Kinder springen von der Erde auf und vergessen ihre
Knöchel mitzunehmen. Die schöne Lais macht die
Rosen in ihren Haaren zurecht, Diogenes putzt das
Licht in seiner Laterne, Epaminondas ballt die Faust,

teten Kinder. Es iſt ihm kein Lächeln abzugewinnen.
Da er noch ein Jüngling war, da er als Jupiter,
noch mit dem Honige ſeiner Kindheit auf den Lippen,
durch alle Welten ſchwärmte, welche himmliſche
Pagenſtreiche machte er, wie liebenswürdig war er
damals! wie er ſeinem Vater dem Freſſer Kronos
ein Brechmittel eingab; wie er ſich als Gans, als
Ochs, als Menſch, als Regen verkleidet, zu den
Schönen ſchlich, wie er neun ganze halbe Tage ſich
mit der gelehrten Mnemoſyne einſchloß, und mit ihr
alle die Millionen Bücher ſchrieb, die ſeitdem in die
verſchiedenen Sprachen der Menſchen überſetzt er¬
ſchienen ſind — es iſt Alles vorbei, es iſt nichts
mehr mit ihm anzufangen! Ach! wenn ich Gott
wäre, welche Späße wollte ich mir machen mit Ba¬
varia-Hellas! Ich ließ in einer Nacht alle die herr¬
lichen Griechen aller Zeiten und aller Städte aus
dem Grabe hervorſteigen, und alle Tempel auch und
die alten Götter rief ich herbei. Und an einem
ſchönen Frühlingstage, da der Spatziergang am Ilyſ¬
ſus gedrängt von Menſchen war, kömmt ein Sclave
athemlos herbeigeſtürzt und ſchreit: König Otto iſt
angekommen! Alles geräth in Bewegung. Die
Kinder ſpringen von der Erde auf und vergeſſen ihre
Knöchel mitzunehmen. Die ſchöne Lais macht die
Roſen in ihren Haaren zurecht, Diogenes putzt das
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[98/0110] teten Kinder. Es iſt ihm kein Lächeln abzugewinnen. Da er noch ein Jüngling war, da er als Jupiter, noch mit dem Honige ſeiner Kindheit auf den Lippen, durch alle Welten ſchwärmte, welche himmliſche Pagenſtreiche machte er, wie liebenswürdig war er damals! wie er ſeinem Vater dem Freſſer Kronos ein Brechmittel eingab; wie er ſich als Gans, als Ochs, als Menſch, als Regen verkleidet, zu den Schönen ſchlich, wie er neun ganze halbe Tage ſich mit der gelehrten Mnemoſyne einſchloß, und mit ihr alle die Millionen Bücher ſchrieb, die ſeitdem in die verſchiedenen Sprachen der Menſchen überſetzt er¬ ſchienen ſind — es iſt Alles vorbei, es iſt nichts mehr mit ihm anzufangen! Ach! wenn ich Gott wäre, welche Späße wollte ich mir machen mit Ba¬ varia-Hellas! Ich ließ in einer Nacht alle die herr¬ lichen Griechen aller Zeiten und aller Städte aus dem Grabe hervorſteigen, und alle Tempel auch und die alten Götter rief ich herbei. Und an einem ſchönen Frühlingstage, da der Spatziergang am Ilyſ¬ ſus gedrängt von Menſchen war, kömmt ein Sclave athemlos herbeigeſtürzt und ſchreit: König Otto iſt angekommen! Alles geräth in Bewegung. Die Kinder ſpringen von der Erde auf und vergeſſen ihre Knöchel mitzunehmen. Die ſchöne Lais macht die Roſen in ihren Haaren zurecht, Diogenes putzt das Licht in ſeiner Laterne, Epaminondas ballt die Fauſt,

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/110>, abgerufen am 28.03.2024.