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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

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Stände mit einer Bedächtigkeit vor, zu der in unsern
Tagen die Cholera alle deutsche Regierungen gewöhnt
hat. Die besten Aerzte gegen den Liberalismus, die
um so besser sind, weil sie die Krankheit selbst über¬
standen, werden herbei gerufen und Rathe gezo¬
gen. Die Doktoren Münch, Pahl, Lindner,
von Wangenheim werden am Ständelazarehte an¬
gestellt. Da die Regierung den Liberalismus nicht
für contagiös hält, sondern miasmatisch, wird sie die
Angestellten keiner strengen Absonderung unterwerfen,
und sich darum dem Eintritte in die Kammer von
liberalen Männern wie Uhland, Pfizer und Schott
nicht allzuängstlich widersetzen. Um aber den üblen
Folgen einer solchen Gemeinschaft zwischen Gesunden
und Kranken zu begegnen, will die Regierung in
einigen Punkten freiwillige Verbesserungen vor¬
schlagen, und hofft dadurch, "der zweiten Kam¬
mer die Gelegenheit zu benehmen
, sich auf
Kosten der leitenden Staatsgewalt eine un¬
ruhige Popularität zu erwerben
." Kurz es
ist zum Todtlachen, und alle die komischen Präser¬
vative gegen die Cholera sind erhaben dagegen. Die
allgemeine und die Stuttgardter Zeitung sind die
zwei großen Rauchfässer, aus welchen in einem fort
Chlor-Wolken sich erheben. Herr Münch ist der
Lindenblüthen-Thee, dessen Heilsamkeit gegen Erkältung
er im feuchten Holland oft erprobt; Herr Lindner ist

Stände mit einer Bedächtigkeit vor, zu der in unſern
Tagen die Cholera alle deutſche Regierungen gewöhnt
hat. Die beſten Aerzte gegen den Liberalismus, die
um ſo beſſer ſind, weil ſie die Krankheit ſelbſt über¬
ſtanden, werden herbei gerufen und Rathe gezo¬
gen. Die Doktoren Münch, Pahl, Lindner,
von Wangenheim werden am Ständelazarehte an¬
geſtellt. Da die Regierung den Liberalismus nicht
für contagiös hält, ſondern miasmatiſch, wird ſie die
Angeſtellten keiner ſtrengen Abſonderung unterwerfen,
und ſich darum dem Eintritte in die Kammer von
liberalen Männern wie Uhland, Pfizer und Schott
nicht allzuängſtlich widerſetzen. Um aber den üblen
Folgen einer ſolchen Gemeinſchaft zwiſchen Geſunden
und Kranken zu begegnen, will die Regierung in
einigen Punkten freiwillige Verbeſſerungen vor¬
ſchlagen, und hofft dadurch, „der zweiten Kam¬
mer die Gelegenheit zu benehmen
, ſich auf
Koſten der leitenden Staatsgewalt eine un¬
ruhige Popularität zu erwerben
.“ Kurz es
iſt zum Todtlachen, und alle die komiſchen Präſer¬
vative gegen die Cholera ſind erhaben dagegen. Die
allgemeine und die Stuttgardter Zeitung ſind die
zwei großen Rauchfäſſer, aus welchen in einem fort
Chlor-Wolken ſich erheben. Herr Münch iſt der
Lindenblüthen-Thee, deſſen Heilſamkeit gegen Erkältung
er im feuchten Holland oft erprobt; Herr Lindner iſt

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[25/0039] Stände mit einer Bedächtigkeit vor, zu der in unſern Tagen die Cholera alle deutſche Regierungen gewöhnt hat. Die beſten Aerzte gegen den Liberalismus, die um ſo beſſer ſind, weil ſie die Krankheit ſelbſt über¬ ſtanden, werden herbei gerufen und Rathe gezo¬ gen. Die Doktoren Münch, Pahl, Lindner, von Wangenheim werden am Ständelazarehte an¬ geſtellt. Da die Regierung den Liberalismus nicht für contagiös hält, ſondern miasmatiſch, wird ſie die Angeſtellten keiner ſtrengen Abſonderung unterwerfen, und ſich darum dem Eintritte in die Kammer von liberalen Männern wie Uhland, Pfizer und Schott nicht allzuängſtlich widerſetzen. Um aber den üblen Folgen einer ſolchen Gemeinſchaft zwiſchen Geſunden und Kranken zu begegnen, will die Regierung in einigen Punkten freiwillige Verbeſſerungen vor¬ ſchlagen, und hofft dadurch, „der zweiten Kam¬ mer die Gelegenheit zu benehmen, ſich auf Koſten der leitenden Staatsgewalt eine un¬ ruhige Popularität zu erwerben.“ Kurz es iſt zum Todtlachen, und alle die komiſchen Präſer¬ vative gegen die Cholera ſind erhaben dagegen. Die allgemeine und die Stuttgardter Zeitung ſind die zwei großen Rauchfäſſer, aus welchen in einem fort Chlor-Wolken ſich erheben. Herr Münch iſt der Lindenblüthen-Thee, deſſen Heilſamkeit gegen Erkältung er im feuchten Holland oft erprobt; Herr Lindner iſt

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/39>, abgerufen am 28.03.2024.