Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

wählt! Goethe -- der angstvoller als eine Maus,
beim leisesten Geräusche sich in die Erde hin¬
einwühlt, und Luft, Licht, Freiheit, ja des Le¬
bens Breite, wonach sich selbst die todtgeschaffe¬
nen Steine sehnen -- alles, alles hingiebt, um
nur in seinem Loche ungestört am gestohlenen
Speckfaden knuppern zu können -- und Schil¬
ler
, der edler aber gleich muthlos, sich vor
Tyrannei hinter Wolkendunst versteckt, und oben
bei den Göttern vergebens um Hülfe fleht, und
von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr
sieht, und die Menschen vergißt, denen er Ret¬
tung bringen wollte. Und so -- ohne Führer,
ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Be¬
schützer -- wird das unglückliche Land eine
Beute der Könige und das Volk der Spott der
Völker.

-- Fragen Sie mich so oft Sie wollen nach
dem Straßenkothe; aber fragen Sie mich nie
nach der französischen Politik. Es ist ein gar

waͤhlt! Goethe — der angſtvoller als eine Maus,
beim leiſeſten Geraͤuſche ſich in die Erde hin¬
einwuͤhlt, und Luft, Licht, Freiheit, ja des Le¬
bens Breite, wonach ſich ſelbſt die todtgeſchaffe¬
nen Steine ſehnen — alles, alles hingiebt, um
nur in ſeinem Loche ungeſtoͤrt am geſtohlenen
Speckfaden knuppern zu koͤnnen — und Schil¬
ler
, der edler aber gleich muthlos, ſich vor
Tyrannei hinter Wolkendunſt verſteckt, und oben
bei den Goͤttern vergebens um Huͤlfe fleht, und
von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr
ſieht, und die Menſchen vergißt, denen er Ret¬
tung bringen wollte. Und ſo — ohne Fuͤhrer,
ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Be¬
ſchuͤtzer — wird das ungluͤckliche Land eine
Beute der Koͤnige und das Volk der Spott der
Voͤlker.

— Fragen Sie mich ſo oft Sie wollen nach
dem Straßenkothe; aber fragen Sie mich nie
nach der franzoͤſiſchen Politik. Es iſt ein gar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="21"/>
wa&#x0364;hlt! Goethe &#x2014; der ang&#x017F;tvoller als eine Maus,<lb/>
beim lei&#x017F;e&#x017F;ten Gera&#x0364;u&#x017F;che &#x017F;ich in die Erde hin¬<lb/>
einwu&#x0364;hlt, und Luft, Licht, Freiheit, ja des Le¬<lb/>
bens Breite, wonach &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t die todtge&#x017F;chaffe¬<lb/>
nen Steine &#x017F;ehnen &#x2014; alles, alles hingiebt, um<lb/>
nur in &#x017F;einem Loche unge&#x017F;to&#x0364;rt am ge&#x017F;tohlenen<lb/>
Speckfaden knuppern zu ko&#x0364;nnen &#x2014; und <hi rendition="#g">Schil¬<lb/>
ler</hi>, der edler aber gleich muthlos, &#x017F;ich vor<lb/>
Tyrannei hinter Wolkendun&#x017F;t ver&#x017F;teckt, und oben<lb/>
bei den Go&#x0364;ttern vergebens um Hu&#x0364;lfe fleht, und<lb/>
von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr<lb/>
&#x017F;ieht, und die Men&#x017F;chen vergißt, denen er Ret¬<lb/>
tung bringen wollte. Und &#x017F;o &#x2014; ohne Fu&#x0364;hrer,<lb/>
ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Be¬<lb/>
&#x017F;chu&#x0364;tzer &#x2014; wird das unglu&#x0364;ckliche Land eine<lb/>
Beute der Ko&#x0364;nige und das Volk der Spott der<lb/>
Vo&#x0364;lker.</p><lb/>
          <p>&#x2014; Fragen Sie mich &#x017F;o oft Sie wollen nach<lb/>
dem Straßenkothe; aber fragen Sie mich nie<lb/>
nach der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Politik. Es i&#x017F;t ein gar<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0035] waͤhlt! Goethe — der angſtvoller als eine Maus, beim leiſeſten Geraͤuſche ſich in die Erde hin¬ einwuͤhlt, und Luft, Licht, Freiheit, ja des Le¬ bens Breite, wonach ſich ſelbſt die todtgeſchaffe¬ nen Steine ſehnen — alles, alles hingiebt, um nur in ſeinem Loche ungeſtoͤrt am geſtohlenen Speckfaden knuppern zu koͤnnen — und Schil¬ ler, der edler aber gleich muthlos, ſich vor Tyrannei hinter Wolkendunſt verſteckt, und oben bei den Goͤttern vergebens um Huͤlfe fleht, und von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr ſieht, und die Menſchen vergißt, denen er Ret¬ tung bringen wollte. Und ſo — ohne Fuͤhrer, ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Be¬ ſchuͤtzer — wird das ungluͤckliche Land eine Beute der Koͤnige und das Volk der Spott der Voͤlker. — Fragen Sie mich ſo oft Sie wollen nach dem Straßenkothe; aber fragen Sie mich nie nach der franzoͤſiſchen Politik. Es iſt ein gar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/35
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/35>, abgerufen am 19.04.2024.