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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Das ist dein "Staub"!

Und du meinst, du hast etwas ausgesagt, wenn du sagst:
aus Staub ist der Mensch geschaffen? Hast das komplizierte
Wunderwerk des Menschen auf das Einfachste, nicht weiter
Diskutierbare zurückgeführt mit dem Wörtlein Staub?

"Aus Staub ist er geworden, zu Staub soll er werden."
Nimm deine Hand und richte dasselbe Mikroskop auf die un¬
sichtbar winzigen Stäubchen, die an ihr haften. Du bist durch
den Lenzwald gewandert. Über dir hingen die Liebesarme
der Haselkätzchen und regneten träumend ihren goldenen Staub
auf dich herab. Hier haftet noch, unsichtbar dem bloßen Auge
in seiner Vereinzelung, ein solches gelbes Staubblättchen an
deiner Hand. Auch dieses Staubteilchen, wenn du es ganz
enträtseln könntest, zerrisse dir wie ein Schleier vor jener
Milchstraße der Elemente, wo sich Atome von Kohlenstoff,
Wasserstoff, Sauerstoff zu Sternsystemen gatten. Aber in diesem
Staubpünktchen liegt noch etwas anderes. An den rechten
Fleck gebracht, wird es eine neue Pflanze aus sich erwachsen
lassen, eine neue Haselstaude, die nicht bloß nach unten in die
Welt der Atome sich dehnt, sondern auch nach oben das Gold¬
licht der wirklichen Sonne trinkt. In dieses gelbe Staub¬
pünktchen hat sich die ganze Kraft aller Haselbüsche, die seit
Jahrmillionen, vielleicht seit der Kreidezeit, auf der Erde
blühen, hinein konzentriert, sodaß es wieder einen spezifischen
Haselstrauch erzeugen kann. In der Existenz des ersten Hasel¬
strauches am Anfang jener Jahrmillionen steckte aber konzentriert
wieder die ganze Vergangenheit des Pflanzengeschlechts, steckten
alle Nadelhölzer, Palmfarrne, echten Farrne, Algen und Ur¬
pflanzen mit ihrer fortzeugenden Kraft bis zum ersten und
ältesten Pflanzenorganismus der Erde überhaupt. Dieser
älteste Ururorganismus war aber zugleich auch der Ausgangs¬
punkt der tierischen Entwickelung. So hängt im Grunde alles
darin, alles Lebendige, was wir sehen und ahnen, -- alles in
diesem gelben Plättchen Haselstaub. Der Haselbusch ist ein

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Das iſt dein „Staub“!

Und du meinſt, du haſt etwas ausgeſagt, wenn du ſagſt:
aus Staub iſt der Menſch geſchaffen? Haſt das komplizierte
Wunderwerk des Menſchen auf das Einfachſte, nicht weiter
Diskutierbare zurückgeführt mit dem Wörtlein Staub?

„Aus Staub iſt er geworden, zu Staub ſoll er werden.“
Nimm deine Hand und richte daſſelbe Mikroſkop auf die un¬
ſichtbar winzigen Stäubchen, die an ihr haften. Du biſt durch
den Lenzwald gewandert. Über dir hingen die Liebesarme
der Haſelkätzchen und regneten träumend ihren goldenen Staub
auf dich herab. Hier haftet noch, unſichtbar dem bloßen Auge
in ſeiner Vereinzelung, ein ſolches gelbes Staubblättchen an
deiner Hand. Auch dieſes Staubteilchen, wenn du es ganz
enträtſeln könnteſt, zerriſſe dir wie ein Schleier vor jener
Milchſtraße der Elemente, wo ſich Atome von Kohlenſtoff,
Waſſerſtoff, Sauerſtoff zu Sternſyſtemen gatten. Aber in dieſem
Staubpünktchen liegt noch etwas anderes. An den rechten
Fleck gebracht, wird es eine neue Pflanze aus ſich erwachſen
laſſen, eine neue Haſelſtaude, die nicht bloß nach unten in die
Welt der Atome ſich dehnt, ſondern auch nach oben das Gold¬
licht der wirklichen Sonne trinkt. In dieſes gelbe Staub¬
pünktchen hat ſich die ganze Kraft aller Haſelbüſche, die ſeit
Jahrmillionen, vielleicht ſeit der Kreidezeit, auf der Erde
blühen, hinein konzentriert, ſodaß es wieder einen ſpezifiſchen
Haſelſtrauch erzeugen kann. In der Exiſtenz des erſten Haſel¬
ſtrauches am Anfang jener Jahrmillionen ſteckte aber konzentriert
wieder die ganze Vergangenheit des Pflanzengeſchlechts, ſteckten
alle Nadelhölzer, Palmfarrne, echten Farrne, Algen und Ur¬
pflanzen mit ihrer fortzeugenden Kraft bis zum erſten und
älteſten Pflanzenorganismus der Erde überhaupt. Dieſer
älteſte Ururorganismus war aber zugleich auch der Ausgangs¬
punkt der tieriſchen Entwickelung. So hängt im Grunde alles
darin, alles Lebendige, was wir ſehen und ahnen, — alles in
dieſem gelben Plättchen Haſelſtaub. Der Haſelbuſch iſt ein

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[33/0049] Das iſt dein „Staub“! Und du meinſt, du haſt etwas ausgeſagt, wenn du ſagſt: aus Staub iſt der Menſch geſchaffen? Haſt das komplizierte Wunderwerk des Menſchen auf das Einfachſte, nicht weiter Diskutierbare zurückgeführt mit dem Wörtlein Staub? „Aus Staub iſt er geworden, zu Staub ſoll er werden.“ Nimm deine Hand und richte daſſelbe Mikroſkop auf die un¬ ſichtbar winzigen Stäubchen, die an ihr haften. Du biſt durch den Lenzwald gewandert. Über dir hingen die Liebesarme der Haſelkätzchen und regneten träumend ihren goldenen Staub auf dich herab. Hier haftet noch, unſichtbar dem bloßen Auge in ſeiner Vereinzelung, ein ſolches gelbes Staubblättchen an deiner Hand. Auch dieſes Staubteilchen, wenn du es ganz enträtſeln könnteſt, zerriſſe dir wie ein Schleier vor jener Milchſtraße der Elemente, wo ſich Atome von Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff zu Sternſyſtemen gatten. Aber in dieſem Staubpünktchen liegt noch etwas anderes. An den rechten Fleck gebracht, wird es eine neue Pflanze aus ſich erwachſen laſſen, eine neue Haſelſtaude, die nicht bloß nach unten in die Welt der Atome ſich dehnt, ſondern auch nach oben das Gold¬ licht der wirklichen Sonne trinkt. In dieſes gelbe Staub¬ pünktchen hat ſich die ganze Kraft aller Haſelbüſche, die ſeit Jahrmillionen, vielleicht ſeit der Kreidezeit, auf der Erde blühen, hinein konzentriert, ſodaß es wieder einen ſpezifiſchen Haſelſtrauch erzeugen kann. In der Exiſtenz des erſten Haſel¬ ſtrauches am Anfang jener Jahrmillionen ſteckte aber konzentriert wieder die ganze Vergangenheit des Pflanzengeſchlechts, ſteckten alle Nadelhölzer, Palmfarrne, echten Farrne, Algen und Ur¬ pflanzen mit ihrer fortzeugenden Kraft bis zum erſten und älteſten Pflanzenorganismus der Erde überhaupt. Dieſer älteſte Ururorganismus war aber zugleich auch der Ausgangs¬ punkt der tieriſchen Entwickelung. So hängt im Grunde alles darin, alles Lebendige, was wir ſehen und ahnen, — alles in dieſem gelben Plättchen Haſelſtaub. Der Haſelbuſch iſt ein 3

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/49>, abgerufen am 20.04.2024.