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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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des Willens und der Herrschaft wird. Und die rote Flamme
glüht, wann immer der Mensch es will und wo er es will.
Prometheus ist er, der die Himmelsleuchte im hohlen Stabe
trägt, -- nicht mehr blindes Tier, das bloß beutelüstern auf
die Gelegenheit der verbrannten Steppen stürzt, sie einmal ge¬
nießt, aber nie wieder zu finden weiß. Der Mensch weiß es
immer wieder neu.

In diesem "immer wieder neu" steckt der ganze Mensch.

Hundertmal verlöscht ihm der Herd, hundertmal zündet
er ihn wieder an. Hundertmal bricht ihm der Speer, bricht
ihm die Steinwaffe entzwei: hundertmal baut er sie sich neu.
Denn die Dinge sind ihm Werkzeug, nach außen projiziertes
Organ, das er beliebig erzeugen kann.

Er braucht nicht den leuchtenden Leib des Johannis¬
wurms, nicht die fest in die Körpermasse eingewachsene Laterne
des Fisches Malakosteus. Sein Gehirn umschließt das alles
in der einen gedanklichen Möglichkeit: daß er sich außen
in den Dingen der Welt Licht, Feuer erzeugen kann, so oft
er will.

Er braucht nicht das Horn des Rhinozeros, nicht das
Gebiß des Löwen am eigenen Leibe. Denn sein Gehirn und
seine Hand bauen ihm Horn und Reißzahn zu jeder Stunde
aus jedem Feuersteinsplitter. Diese ganze unendliche Ansamm¬
lung stahlharten Gesteins, das die Gletscher der Eiszeit aus
der Kreide von Rügen und Moen herausgesägt und über die
Ebenen Nordeuropas ausgestreut haben, ist sein Gehörn und
sein Gebiß, womit er Nashorn und Löwe als Herr sich unter¬
werfen wird.

Nashorn und Löwe zuerst -- und zuletzt die ganze Erde
mit allem, was auf ihr lebt.

Er wird die vollkommene Anpassungsform dieser
Erde sein. Mit seinen Werkzeugen baut er sich einen neuen
Riesenleib. Seine neuen Nerven spannen sich als elektrisches
Netz über die Länder, auf dem Ozeansgrunde laufen sie als

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des Willens und der Herrſchaft wird. Und die rote Flamme
glüht, wann immer der Menſch es will und wo er es will.
Prometheus iſt er, der die Himmelsleuchte im hohlen Stabe
trägt, — nicht mehr blindes Tier, das bloß beutelüſtern auf
die Gelegenheit der verbrannten Steppen ſtürzt, ſie einmal ge¬
nießt, aber nie wieder zu finden weiß. Der Menſch weiß es
immer wieder neu.

In dieſem „immer wieder neu“ ſteckt der ganze Menſch.

Hundertmal verlöſcht ihm der Herd, hundertmal zündet
er ihn wieder an. Hundertmal bricht ihm der Speer, bricht
ihm die Steinwaffe entzwei: hundertmal baut er ſie ſich neu.
Denn die Dinge ſind ihm Werkzeug, nach außen projiziertes
Organ, das er beliebig erzeugen kann.

Er braucht nicht den leuchtenden Leib des Johannis¬
wurms, nicht die feſt in die Körpermaſſe eingewachſene Laterne
des Fiſches Malakoſteus. Sein Gehirn umſchließt das alles
in der einen gedanklichen Möglichkeit: daß er ſich außen
in den Dingen der Welt Licht, Feuer erzeugen kann, ſo oft
er will.

Er braucht nicht das Horn des Rhinozeros, nicht das
Gebiß des Löwen am eigenen Leibe. Denn ſein Gehirn und
ſeine Hand bauen ihm Horn und Reißzahn zu jeder Stunde
aus jedem Feuerſteinſplitter. Dieſe ganze unendliche Anſamm¬
lung ſtahlharten Geſteins, das die Gletſcher der Eiszeit aus
der Kreide von Rügen und Moen herausgeſägt und über die
Ebenen Nordeuropas ausgeſtreut haben, iſt ſein Gehörn und
ſein Gebiß, womit er Nashorn und Löwe als Herr ſich unter¬
werfen wird.

Nashorn und Löwe zuerſt — und zuletzt die ganze Erde
mit allem, was auf ihr lebt.

Er wird die vollkommene Anpaſſungsform dieſer
Erde ſein. Mit ſeinen Werkzeugen baut er ſich einen neuen
Rieſenleib. Seine neuen Nerven ſpannen ſich als elektriſches
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[17/0033] des Willens und der Herrſchaft wird. Und die rote Flamme glüht, wann immer der Menſch es will und wo er es will. Prometheus iſt er, der die Himmelsleuchte im hohlen Stabe trägt, — nicht mehr blindes Tier, das bloß beutelüſtern auf die Gelegenheit der verbrannten Steppen ſtürzt, ſie einmal ge¬ nießt, aber nie wieder zu finden weiß. Der Menſch weiß es immer wieder neu. In dieſem „immer wieder neu“ ſteckt der ganze Menſch. Hundertmal verlöſcht ihm der Herd, hundertmal zündet er ihn wieder an. Hundertmal bricht ihm der Speer, bricht ihm die Steinwaffe entzwei: hundertmal baut er ſie ſich neu. Denn die Dinge ſind ihm Werkzeug, nach außen projiziertes Organ, das er beliebig erzeugen kann. Er braucht nicht den leuchtenden Leib des Johannis¬ wurms, nicht die feſt in die Körpermaſſe eingewachſene Laterne des Fiſches Malakoſteus. Sein Gehirn umſchließt das alles in der einen gedanklichen Möglichkeit: daß er ſich außen in den Dingen der Welt Licht, Feuer erzeugen kann, ſo oft er will. Er braucht nicht das Horn des Rhinozeros, nicht das Gebiß des Löwen am eigenen Leibe. Denn ſein Gehirn und ſeine Hand bauen ihm Horn und Reißzahn zu jeder Stunde aus jedem Feuerſteinſplitter. Dieſe ganze unendliche Anſamm¬ lung ſtahlharten Geſteins, das die Gletſcher der Eiszeit aus der Kreide von Rügen und Moen herausgeſägt und über die Ebenen Nordeuropas ausgeſtreut haben, iſt ſein Gehörn und ſein Gebiß, womit er Nashorn und Löwe als Herr ſich unter¬ werfen wird. Nashorn und Löwe zuerſt — und zuletzt die ganze Erde mit allem, was auf ihr lebt. Er wird die vollkommene Anpaſſungsform dieſer Erde ſein. Mit ſeinen Werkzeugen baut er ſich einen neuen Rieſenleib. Seine neuen Nerven ſpannen ſich als elektriſches Netz über die Länder, auf dem Ozeansgrunde laufen ſie als 2

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/33>, abgerufen am 25.04.2024.