Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

einem schneeweißen Menschenkörper in ein Opferbecken rinnt,
-- über grüne germanische Grenzverhaue und glimmernde
Steinringe auf der Höhe, um die der Wachholder wie Cy¬
pressen ragt .... und dann hinein in den ganz schweren,
ganz tiefen, ganz farblosen Nebel.

Stimmen sind darin, gespenstisch wie aus dem Nichts.

Der Schrei des Wildschwans, der im hohen Röhricht des
Sees nistet. Ein dumpfes Brüllen: der Siegesruf der riesigen
Katze, des Höhlenlöwen, der ein Rhinozeroskalb erlegt hat.
In schweren Ballen rollt der Nebel durch schemenhaftes Geäst
ungeheurer Urwaldbäume und sinkt ab gegen den düsteren Wald¬
see. Und da wieder das rote Licht. Die Heerdflammen
des Diluvialmenschen. Sein eigenes Licht. Flamme, die
wie ein Haustier gezähmt bei ihm lebt. Künstliche Flamme,
die er selber zu entfachen weiß. Und in deren Glanz er
liebt ....

Der Stern der Menschheit!

[Abbildung]

Ein neues Lied. Eine neue Zeit. Eine neue Liebe.

Noch nie hatte die Erde mit solcher Flamme geleuchtet.
Diese alte Erde, die selber vielleicht wie ein Tropfen herab¬
geronnen war aus uraltem Licht.

Wie der Nebel jetzt gegen den See sich senkt, läßt er die
Höhe frei. Und wie durch ein zerreißendes, in Fetzen überall
abgleitendes Leinen blitzen drüber die Sterne auf. Der wunder¬
bare Himmelsbogen, durch den die silberne Milchstraße mit dem
zitternden Wellenschlage der Äonen fließt. Die goldene Kapella,
der rote Arctur, die weiße Wega.

Eine blendende Silberlilie des Alls wie diese Wega war
auch die Erde vielleicht voreinst. Langsam dann glühte das
Silber zu Gold, bis sie wie Kapella stand. Und wieder das

einem ſchneeweißen Menſchenkörper in ein Opferbecken rinnt,
— über grüne germaniſche Grenzverhaue und glimmernde
Steinringe auf der Höhe, um die der Wachholder wie Cy¬
preſſen ragt .... und dann hinein in den ganz ſchweren,
ganz tiefen, ganz farbloſen Nebel.

Stimmen ſind darin, geſpenſtiſch wie aus dem Nichts.

Der Schrei des Wildſchwans, der im hohen Röhricht des
Sees niſtet. Ein dumpfes Brüllen: der Siegesruf der rieſigen
Katze, des Höhlenlöwen, der ein Rhinozeroskalb erlegt hat.
In ſchweren Ballen rollt der Nebel durch ſchemenhaftes Geäſt
ungeheurer Urwaldbäume und ſinkt ab gegen den düſteren Wald¬
ſee. Und da wieder das rote Licht. Die Heerdflammen
des Diluvialmenſchen. Sein eigenes Licht. Flamme, die
wie ein Haustier gezähmt bei ihm lebt. Künſtliche Flamme,
die er ſelber zu entfachen weiß. Und in deren Glanz er
liebt ....

Der Stern der Menſchheit!

[Abbildung]

Ein neues Lied. Eine neue Zeit. Eine neue Liebe.

Noch nie hatte die Erde mit ſolcher Flamme geleuchtet.
Dieſe alte Erde, die ſelber vielleicht wie ein Tropfen herab¬
geronnen war aus uraltem Licht.

Wie der Nebel jetzt gegen den See ſich ſenkt, läßt er die
Höhe frei. Und wie durch ein zerreißendes, in Fetzen überall
abgleitendes Leinen blitzen drüber die Sterne auf. Der wunder¬
bare Himmelsbogen, durch den die ſilberne Milchſtraße mit dem
zitternden Wellenſchlage der Äonen fließt. Die goldene Kapella,
der rote Arctur, die weiße Wega.

Eine blendende Silberlilie des Alls wie dieſe Wega war
auch die Erde vielleicht voreinſt. Langſam dann glühte das
Silber zu Gold, bis ſie wie Kapella ſtand. Und wieder das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027" n="11"/>
einem &#x017F;chneeweißen Men&#x017F;chenkörper in ein Opferbecken rinnt,<lb/>
&#x2014; über grüne germani&#x017F;che Grenzverhaue und glimmernde<lb/>
Steinringe auf der Höhe, um die der Wachholder wie Cy¬<lb/>
pre&#x017F;&#x017F;en ragt .... und dann hinein in den ganz &#x017F;chweren,<lb/>
ganz tiefen, ganz farblo&#x017F;en Nebel.</p><lb/>
        <p>Stimmen &#x017F;ind darin, ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;ch wie aus dem Nichts.</p><lb/>
        <p>Der Schrei des Wild&#x017F;chwans, der im hohen Röhricht des<lb/>
Sees ni&#x017F;tet. Ein dumpfes Brüllen: der Siegesruf der rie&#x017F;igen<lb/>
Katze, des Höhlenlöwen, der ein Rhinozeroskalb erlegt hat.<lb/>
In &#x017F;chweren Ballen rollt der Nebel durch &#x017F;chemenhaftes Geä&#x017F;t<lb/>
ungeheurer Urwaldbäume und &#x017F;inkt ab gegen den dü&#x017F;teren Wald¬<lb/>
&#x017F;ee. <hi rendition="#g">Und da wieder das rote Licht</hi>. Die Heerdflammen<lb/>
des Diluvialmen&#x017F;chen. <hi rendition="#g">Sein eigenes</hi> Licht. Flamme, die<lb/>
wie ein Haustier gezähmt bei ihm lebt. Kün&#x017F;tliche Flamme,<lb/>
die er &#x017F;elber zu entfachen weiß. Und in deren Glanz er<lb/>
liebt ....</p><lb/>
        <p>Der Stern der Men&#x017F;chheit!</p><lb/>
        <figure/>
        <p>Ein neues Lied. Eine neue Zeit. Eine neue Liebe.</p><lb/>
        <p>Noch nie hatte die Erde mit &#x017F;olcher Flamme geleuchtet.<lb/>
Die&#x017F;e alte Erde, die &#x017F;elber vielleicht wie ein Tropfen herab¬<lb/>
geronnen war aus uraltem Licht.</p><lb/>
        <p>Wie der Nebel jetzt gegen den See &#x017F;ich &#x017F;enkt, läßt er die<lb/>
Höhe frei. Und wie durch ein zerreißendes, in Fetzen überall<lb/>
abgleitendes Leinen blitzen drüber die Sterne auf. Der wunder¬<lb/>
bare Himmelsbogen, durch den die &#x017F;ilberne Milch&#x017F;traße mit dem<lb/>
zitternden Wellen&#x017F;chlage der Äonen fließt. Die goldene Kapella,<lb/>
der rote Arctur, die weiße Wega.</p><lb/>
        <p>Eine blendende Silberlilie des Alls wie die&#x017F;e Wega war<lb/>
auch die Erde vielleicht vorein&#x017F;t. Lang&#x017F;am dann glühte das<lb/>
Silber zu Gold, bis &#x017F;ie wie Kapella &#x017F;tand. Und wieder das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0027] einem ſchneeweißen Menſchenkörper in ein Opferbecken rinnt, — über grüne germaniſche Grenzverhaue und glimmernde Steinringe auf der Höhe, um die der Wachholder wie Cy¬ preſſen ragt .... und dann hinein in den ganz ſchweren, ganz tiefen, ganz farbloſen Nebel. Stimmen ſind darin, geſpenſtiſch wie aus dem Nichts. Der Schrei des Wildſchwans, der im hohen Röhricht des Sees niſtet. Ein dumpfes Brüllen: der Siegesruf der rieſigen Katze, des Höhlenlöwen, der ein Rhinozeroskalb erlegt hat. In ſchweren Ballen rollt der Nebel durch ſchemenhaftes Geäſt ungeheurer Urwaldbäume und ſinkt ab gegen den düſteren Wald¬ ſee. Und da wieder das rote Licht. Die Heerdflammen des Diluvialmenſchen. Sein eigenes Licht. Flamme, die wie ein Haustier gezähmt bei ihm lebt. Künſtliche Flamme, die er ſelber zu entfachen weiß. Und in deren Glanz er liebt .... Der Stern der Menſchheit! [Abbildung] Ein neues Lied. Eine neue Zeit. Eine neue Liebe. Noch nie hatte die Erde mit ſolcher Flamme geleuchtet. Dieſe alte Erde, die ſelber vielleicht wie ein Tropfen herab¬ geronnen war aus uraltem Licht. Wie der Nebel jetzt gegen den See ſich ſenkt, läßt er die Höhe frei. Und wie durch ein zerreißendes, in Fetzen überall abgleitendes Leinen blitzen drüber die Sterne auf. Der wunder¬ bare Himmelsbogen, durch den die ſilberne Milchſtraße mit dem zitternden Wellenſchlage der Äonen fließt. Die goldene Kapella, der rote Arctur, die weiße Wega. Eine blendende Silberlilie des Alls wie dieſe Wega war auch die Erde vielleicht voreinſt. Langſam dann glühte das Silber zu Gold, bis ſie wie Kapella ſtand. Und wieder das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/27
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/27>, abgerufen am 25.04.2024.