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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Vorwort

Ich habe in diesem Buche einmal von den verschiedenen
Schichten gesprochen, die sich wie Quadern eines uralten Ge¬
birges in unserem Liebesleben aufeinander lagern. Ich möchte
dieses Bild im Kleinen brauchen auch für mein Buch selbst.
Mit diesem zweiten Bande lege ich eine Quader gleichsam
unter meinen ersten. Auch der erste handelte ja im Kern der
Idee schon vom Menschen. Wenn der zweite diesen Stoff nun
abermals und energischer aufnimmt, so ist sein Zweck haupt¬
sächlich, eine Stufe weiter in die Tiefe zu bauen. Vom
Menschen reden, heißt nicht: an die glatte Oberfläche der
Natur tauchen, sondern erst recht in den geheimnisvollen Grund.
Angedeutetes soll in diesem zweiten Teile weiter eingebohrt
werden und Zusammenhängendes stützt sich darunter. Ein
dritter Band wird bei Lust und Laune das Fazit nochmals
eine Station ins Innerlichste hinein ziehen. Inzwischen kann
aber auch dieser zweite Teil, wie schon der erste, sehr gut
für sich allein gelesen werden. Wer das will, sogar ohne den
ersten zu kennen, dem wiederhole ich, was dort schon einleitend
gesagt ist. Mein Buch geht an Denkende, an solche, die denken
wollen, denen eine Weltanschauung so wichtig ist, wie das
tägliche Brod. Wenn ich einen Ertrinkenden retten will, so
ziehe ich mich nackt aus und kümmere mich den Teufel darum,
ob jemand daran Anstoß nimmt. Solche Ertrinkende sind wir
uns aber untereinander, ja es ist einer in jedem selbst, den es
zu retten gilt, -- zu retten durch splitterfasernackte Aussprache
über alle Dinge Himmels und der Erden in der Form, wie
sie sind. Wer den nötigen innerlichen Ernst der Situation
mitbringt, für den brauche ich nicht noch besondere Feierlich¬
keiten der Rede, eine künstliche Erhabenheit, die einfach eine
Dummerei wird, sobald reine, echte, gerade Menschen bei¬
sammen sind, -- gerade weil diese beisammen sind. An sie

Vorwort

Ich habe in dieſem Buche einmal von den verſchiedenen
Schichten geſprochen, die ſich wie Quadern eines uralten Ge¬
birges in unſerem Liebesleben aufeinander lagern. Ich möchte
dieſes Bild im Kleinen brauchen auch für mein Buch ſelbſt.
Mit dieſem zweiten Bande lege ich eine Quader gleichſam
unter meinen erſten. Auch der erſte handelte ja im Kern der
Idee ſchon vom Menſchen. Wenn der zweite dieſen Stoff nun
abermals und energiſcher aufnimmt, ſo iſt ſein Zweck haupt¬
ſächlich, eine Stufe weiter in die Tiefe zu bauen. Vom
Menſchen reden, heißt nicht: an die glatte Oberfläche der
Natur tauchen, ſondern erſt recht in den geheimnisvollen Grund.
Angedeutetes ſoll in dieſem zweiten Teile weiter eingebohrt
werden und Zuſammenhängendes ſtützt ſich darunter. Ein
dritter Band wird bei Luſt und Laune das Fazit nochmals
eine Station ins Innerlichſte hinein ziehen. Inzwiſchen kann
aber auch dieſer zweite Teil, wie ſchon der erſte, ſehr gut
für ſich allein geleſen werden. Wer das will, ſogar ohne den
erſten zu kennen, dem wiederhole ich, was dort ſchon einleitend
geſagt iſt. Mein Buch geht an Denkende, an ſolche, die denken
wollen, denen eine Weltanſchauung ſo wichtig iſt, wie das
tägliche Brod. Wenn ich einen Ertrinkenden retten will, ſo
ziehe ich mich nackt aus und kümmere mich den Teufel darum,
ob jemand daran Anſtoß nimmt. Solche Ertrinkende ſind wir
uns aber untereinander, ja es iſt einer in jedem ſelbſt, den es
zu retten gilt, — zu retten durch ſplitterfaſernackte Ausſprache
über alle Dinge Himmels und der Erden in der Form, wie
ſie ſind. Wer den nötigen innerlichen Ernſt der Situation
mitbringt, für den brauche ich nicht noch beſondere Feierlich¬
keiten der Rede, eine künſtliche Erhabenheit, die einfach eine
Dummerei wird, ſobald reine, echte, gerade Menſchen bei¬
ſammen ſind, — gerade weil dieſe beiſammen ſind. An ſie

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[V/0011] Vorwort Ich habe in dieſem Buche einmal von den verſchiedenen Schichten geſprochen, die ſich wie Quadern eines uralten Ge¬ birges in unſerem Liebesleben aufeinander lagern. Ich möchte dieſes Bild im Kleinen brauchen auch für mein Buch ſelbſt. Mit dieſem zweiten Bande lege ich eine Quader gleichſam unter meinen erſten. Auch der erſte handelte ja im Kern der Idee ſchon vom Menſchen. Wenn der zweite dieſen Stoff nun abermals und energiſcher aufnimmt, ſo iſt ſein Zweck haupt¬ ſächlich, eine Stufe weiter in die Tiefe zu bauen. Vom Menſchen reden, heißt nicht: an die glatte Oberfläche der Natur tauchen, ſondern erſt recht in den geheimnisvollen Grund. Angedeutetes ſoll in dieſem zweiten Teile weiter eingebohrt werden und Zuſammenhängendes ſtützt ſich darunter. Ein dritter Band wird bei Luſt und Laune das Fazit nochmals eine Station ins Innerlichſte hinein ziehen. Inzwiſchen kann aber auch dieſer zweite Teil, wie ſchon der erſte, ſehr gut für ſich allein geleſen werden. Wer das will, ſogar ohne den erſten zu kennen, dem wiederhole ich, was dort ſchon einleitend geſagt iſt. Mein Buch geht an Denkende, an ſolche, die denken wollen, denen eine Weltanſchauung ſo wichtig iſt, wie das tägliche Brod. Wenn ich einen Ertrinkenden retten will, ſo ziehe ich mich nackt aus und kümmere mich den Teufel darum, ob jemand daran Anſtoß nimmt. Solche Ertrinkende ſind wir uns aber untereinander, ja es iſt einer in jedem ſelbſt, den es zu retten gilt, — zu retten durch ſplitterfaſernackte Ausſprache über alle Dinge Himmels und der Erden in der Form, wie ſie ſind. Wer den nötigen innerlichen Ernſt der Situation mitbringt, für den brauche ich nicht noch beſondere Feierlich¬ keiten der Rede, eine künſtliche Erhabenheit, die einfach eine Dummerei wird, ſobald reine, echte, gerade Menſchen bei¬ ſammen ſind, — gerade weil dieſe beiſammen ſind. An ſie

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/11>, abgerufen am 25.04.2024.