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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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dieser Tod, Garbe um Garbe, bis das letzte glitzernde Silber¬
stäubchen von der alten heimatlichen Flut wieder zurückgenommen
und mit der Strömung fortgetrieben ist in die tiefe Nacht hinein.
Selige Kreatur, sagt ein alter Grieche, -- sie hat so rasch
gelebt, daß außer dem Tode kein eigener Schmerz sie mehr
erreichen, kein Anblick eines fremden sie betrüben konnte.

Zwei Stunden.

Aber in diesen zwei Stunden eines Gewitterabends ist die
Gattung wieder weitergegeben auf Jahre hinaus. Die befruchteten
Eier, -- lautlos in der Wassertiefe versunken wie die tausend
Liebesleichen, aber selbst keine Leichen, sondern lebendigsten
Lebens voll, -- sie werden sich in geheimnisvollem Werdegang
zu neuen Larven gestalten. Und nach Jahren dann abermals
Auferstehung, Bacchantensturm, Liebeserfüllung und Opfertod.

Zwei Stunden.

Aber in diesen zwei Stunden hat sich ein Schauspiel
wiederholt, auf das Jahrmillionen schauen.

Die Eintagsfliege ist älter als du, älter als der Mensch.
Ihr Hochzeitsreigen schwillt herauf durch die Unendlichkeiten
der Erdgeschichte. Sie hat das blaue Meer der devonischen
Urzeit schon gesehen, da noch kein Berg wie heute stand, kein
Fluß wie heute floß. Sie war dabei, als der lebendige Wind
noch in den Wäldern baumhoher Farne und Schachtelhalme
brauste, die jetzt als schwarze Kohle unsern Herd erwärmen.
Eine weiße, im Mondlicht aufglimmende Lichtwolke wie heute
sind diese liebedurstigen Elfen aus den Wassern aufgeblüht in
der schicksalsreichen Jurazeit, da der Ichthyosaurus schwamm
und der Reptilvogel Archäopteryx durch die Lüfte flatterte.
Und ihr wunderbarer Erdentraum blieb der gleiche, als an
Stelle der Palmfarne und Araukarien jener Juraperiode über
ihren Strom der Fichtenhain der Tertiärzeit seine Äste hing,
Äste, von denen als goldenes Harz niederthränte, was später
verhärtet Bernstein geworden ist und dir in seinem Innern
noch heute oft den Sylphenleib einer uralten Eintagsfliege zeigt.

dieſer Tod, Garbe um Garbe, bis das letzte glitzernde Silber¬
ſtäubchen von der alten heimatlichen Flut wieder zurückgenommen
und mit der Strömung fortgetrieben iſt in die tiefe Nacht hinein.
Selige Kreatur, ſagt ein alter Grieche, — ſie hat ſo raſch
gelebt, daß außer dem Tode kein eigener Schmerz ſie mehr
erreichen, kein Anblick eines fremden ſie betrüben konnte.

Zwei Stunden.

Aber in dieſen zwei Stunden eines Gewitterabends iſt die
Gattung wieder weitergegeben auf Jahre hinaus. Die befruchteten
Eier, — lautlos in der Waſſertiefe verſunken wie die tauſend
Liebesleichen, aber ſelbſt keine Leichen, ſondern lebendigſten
Lebens voll, — ſie werden ſich in geheimnisvollem Werdegang
zu neuen Larven geſtalten. Und nach Jahren dann abermals
Auferſtehung, Bacchantenſturm, Liebeserfüllung und Opfertod.

Zwei Stunden.

Aber in dieſen zwei Stunden hat ſich ein Schauſpiel
wiederholt, auf das Jahrmillionen ſchauen.

Die Eintagsfliege iſt älter als du, älter als der Menſch.
Ihr Hochzeitsreigen ſchwillt herauf durch die Unendlichkeiten
der Erdgeſchichte. Sie hat das blaue Meer der devoniſchen
Urzeit ſchon geſehen, da noch kein Berg wie heute ſtand, kein
Fluß wie heute floß. Sie war dabei, als der lebendige Wind
noch in den Wäldern baumhoher Farne und Schachtelhalme
brauſte, die jetzt als ſchwarze Kohle unſern Herd erwärmen.
Eine weiße, im Mondlicht aufglimmende Lichtwolke wie heute
ſind dieſe liebedurſtigen Elfen aus den Waſſern aufgeblüht in
der ſchickſalsreichen Jurazeit, da der Ichthyoſaurus ſchwamm
und der Reptilvogel Archäopteryx durch die Lüfte flatterte.
Und ihr wunderbarer Erdentraum blieb der gleiche, als an
Stelle der Palmfarne und Araukarien jener Juraperiode über
ihren Strom der Fichtenhain der Tertiärzeit ſeine Äſte hing,
Äſte, von denen als goldenes Harz niederthränte, was ſpäter
verhärtet Bernſtein geworden iſt und dir in ſeinem Innern
noch heute oft den Sylphenleib einer uralten Eintagsfliege zeigt.

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[14/0030] dieſer Tod, Garbe um Garbe, bis das letzte glitzernde Silber¬ ſtäubchen von der alten heimatlichen Flut wieder zurückgenommen und mit der Strömung fortgetrieben iſt in die tiefe Nacht hinein. Selige Kreatur, ſagt ein alter Grieche, — ſie hat ſo raſch gelebt, daß außer dem Tode kein eigener Schmerz ſie mehr erreichen, kein Anblick eines fremden ſie betrüben konnte. Zwei Stunden. Aber in dieſen zwei Stunden eines Gewitterabends iſt die Gattung wieder weitergegeben auf Jahre hinaus. Die befruchteten Eier, — lautlos in der Waſſertiefe verſunken wie die tauſend Liebesleichen, aber ſelbſt keine Leichen, ſondern lebendigſten Lebens voll, — ſie werden ſich in geheimnisvollem Werdegang zu neuen Larven geſtalten. Und nach Jahren dann abermals Auferſtehung, Bacchantenſturm, Liebeserfüllung und Opfertod. Zwei Stunden. Aber in dieſen zwei Stunden hat ſich ein Schauſpiel wiederholt, auf das Jahrmillionen ſchauen. Die Eintagsfliege iſt älter als du, älter als der Menſch. Ihr Hochzeitsreigen ſchwillt herauf durch die Unendlichkeiten der Erdgeſchichte. Sie hat das blaue Meer der devoniſchen Urzeit ſchon geſehen, da noch kein Berg wie heute ſtand, kein Fluß wie heute floß. Sie war dabei, als der lebendige Wind noch in den Wäldern baumhoher Farne und Schachtelhalme brauſte, die jetzt als ſchwarze Kohle unſern Herd erwärmen. Eine weiße, im Mondlicht aufglimmende Lichtwolke wie heute ſind dieſe liebedurſtigen Elfen aus den Waſſern aufgeblüht in der ſchickſalsreichen Jurazeit, da der Ichthyoſaurus ſchwamm und der Reptilvogel Archäopteryx durch die Lüfte flatterte. Und ihr wunderbarer Erdentraum blieb der gleiche, als an Stelle der Palmfarne und Araukarien jener Juraperiode über ihren Strom der Fichtenhain der Tertiärzeit ſeine Äſte hing, Äſte, von denen als goldenes Harz niederthränte, was ſpäter verhärtet Bernſtein geworden iſt und dir in ſeinem Innern noch heute oft den Sylphenleib einer uralten Eintagsfliege zeigt.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/30>, abgerufen am 19.04.2024.