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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Dein Ich ist mit den Sinnen versunken in einem anderen
Ich. Es ist wieder aufgetaucht, -- und du warst wieder du.
Aber eines Tages war ein neues da, blaue Kinderaugen
schauten dich an, in denen etwas von dir war, ein rätselhaftes
Neuleben, ein neuer Mensch, der doch einen Teil von dir um¬
schloß ..... das große Mysterium.

Erinnere dich .....

Es kamen dann noch wieder andere Stunden. Da ver¬
lorst du dich auch, aber wieder anders.

In einem zweiten Wesen gingst du auf -- im Geist. Eure
Seelen schmolzen in Eins. Ob Mann, ob Weib, war hier gleich.

Und es blieb nicht bei dem einen Menschen. Diese Liebe
schwoll auf über alle. Ward Menschenliebe. Heilige Ziele
der Weite rissen dich über deine Enge fort. Dein Ich ward
ein Klang in einer Melodie. Und alles diesmal im Geist .....

Und aus dem Geiste, der über du und du ausströmte,
wuchsen neue Träume, Ideale, Schöpfungen auf. Ein neuer
blauer Himmel, aus dem die Welten rannen wie silberner
Staub. Ein Zusammenschluß der Geister, ein Leben über den
einzelnen hinaus. In das deine Kinder einst wieder einwachsen
würden, wenn ihr Geist erwachte. Wenn ihr Ich reif wäre,
lebendig zu versinken in der großen Melodie.

Ist es nicht das Größte, das Wunderbarste deines Lebens,
an das du dich mit beiden Momenten erinnerst? Welche Macht
kam hier über dich? Riß dein Ich in dieses tief geheimnis¬
volle Verlieren und Auferstehen hinein?

An dieses Erinnern und diese Frage möchte ich anknüpfen
bei dir. Das Grundbild dessen, was wir bereden sollen, steht
als tiefste Erfahrung in dir selbst und es muß hier stehen,
wenn wir uns verständigen sollen. Du mußt die Damaskus¬
stunde zwiefach im Leben gehabt haben, da es über dich kam
wie ein Sturzbad von Licht: die Erkenntnis, daß in diesen
höchsten gesegneten Liebesmomenten deines Seins nicht ein
Abfall zur Sünde dich übermannt, sondern daß ein Heiliges

Dein Ich iſt mit den Sinnen verſunken in einem anderen
Ich. Es iſt wieder aufgetaucht, — und du warſt wieder du.
Aber eines Tages war ein neues da, blaue Kinderaugen
ſchauten dich an, in denen etwas von dir war, ein rätſelhaftes
Neuleben, ein neuer Menſch, der doch einen Teil von dir um¬
ſchloß ..... das große Myſterium.

Erinnere dich .....

Es kamen dann noch wieder andere Stunden. Da ver¬
lorſt du dich auch, aber wieder anders.

In einem zweiten Weſen gingſt du auf — im Geiſt. Eure
Seelen ſchmolzen in Eins. Ob Mann, ob Weib, war hier gleich.

Und es blieb nicht bei dem einen Menſchen. Dieſe Liebe
ſchwoll auf über alle. Ward Menſchenliebe. Heilige Ziele
der Weite riſſen dich über deine Enge fort. Dein Ich ward
ein Klang in einer Melodie. Und alles diesmal im Geiſt .....

Und aus dem Geiſte, der über du und du ausſtrömte,
wuchſen neue Träume, Ideale, Schöpfungen auf. Ein neuer
blauer Himmel, aus dem die Welten rannen wie ſilberner
Staub. Ein Zuſammenſchluß der Geiſter, ein Leben über den
einzelnen hinaus. In das deine Kinder einſt wieder einwachſen
würden, wenn ihr Geiſt erwachte. Wenn ihr Ich reif wäre,
lebendig zu verſinken in der großen Melodie.

Iſt es nicht das Größte, das Wunderbarſte deines Lebens,
an das du dich mit beiden Momenten erinnerſt? Welche Macht
kam hier über dich? Riß dein Ich in dieſes tief geheimnis¬
volle Verlieren und Auferſtehen hinein?

An dieſes Erinnern und dieſe Frage möchte ich anknüpfen
bei dir. Das Grundbild deſſen, was wir bereden ſollen, ſteht
als tiefſte Erfahrung in dir ſelbſt und es muß hier ſtehen,
wenn wir uns verſtändigen ſollen. Du mußt die Damaskus¬
ſtunde zwiefach im Leben gehabt haben, da es über dich kam
wie ein Sturzbad von Licht: die Erkenntnis, daß in dieſen
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[8/0024] Dein Ich iſt mit den Sinnen verſunken in einem anderen Ich. Es iſt wieder aufgetaucht, — und du warſt wieder du. Aber eines Tages war ein neues da, blaue Kinderaugen ſchauten dich an, in denen etwas von dir war, ein rätſelhaftes Neuleben, ein neuer Menſch, der doch einen Teil von dir um¬ ſchloß ..... das große Myſterium. Erinnere dich ..... Es kamen dann noch wieder andere Stunden. Da ver¬ lorſt du dich auch, aber wieder anders. In einem zweiten Weſen gingſt du auf — im Geiſt. Eure Seelen ſchmolzen in Eins. Ob Mann, ob Weib, war hier gleich. Und es blieb nicht bei dem einen Menſchen. Dieſe Liebe ſchwoll auf über alle. Ward Menſchenliebe. Heilige Ziele der Weite riſſen dich über deine Enge fort. Dein Ich ward ein Klang in einer Melodie. Und alles diesmal im Geiſt ..... Und aus dem Geiſte, der über du und du ausſtrömte, wuchſen neue Träume, Ideale, Schöpfungen auf. Ein neuer blauer Himmel, aus dem die Welten rannen wie ſilberner Staub. Ein Zuſammenſchluß der Geiſter, ein Leben über den einzelnen hinaus. In das deine Kinder einſt wieder einwachſen würden, wenn ihr Geiſt erwachte. Wenn ihr Ich reif wäre, lebendig zu verſinken in der großen Melodie. Iſt es nicht das Größte, das Wunderbarſte deines Lebens, an das du dich mit beiden Momenten erinnerſt? Welche Macht kam hier über dich? Riß dein Ich in dieſes tief geheimnis¬ volle Verlieren und Auferſtehen hinein? An dieſes Erinnern und dieſe Frage möchte ich anknüpfen bei dir. Das Grundbild deſſen, was wir bereden ſollen, ſteht als tiefſte Erfahrung in dir ſelbſt und es muß hier ſtehen, wenn wir uns verſtändigen ſollen. Du mußt die Damaskus¬ ſtunde zwiefach im Leben gehabt haben, da es über dich kam wie ein Sturzbad von Licht: die Erkenntnis, daß in dieſen höchſten geſegneten Liebesmomenten deines Seins nicht ein Abfall zur Sünde dich übermannt, ſondern daß ein Heiliges

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/24>, abgerufen am 28.03.2024.