Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

heimnisse, die dich durchspinnen wie ein dunkles Schicksalsnetz,
wie ein schwarzes Spinngewebe, an dem deine Thränen wie
Tautropfen blinken.

Dort liegt auch die Lösung deiner Liebe. Der Segel¬
falter, der wie berauscht von all der Feiertagssonne reglos jetzt
auf den violetten Blüten liegt, sagt dir mehr davon als alle
altersgrünen Glocken der Welt. Von ihm und seinesgleichen
laß mich dir erzählen. Unter den neuen Zeichen, die noch nie
eine Zeit vor uns besessen hat.

Aber schließe deine Augen erst noch auf einen Moment.

Laß das ganze feierstille Bild da draußen verschwinden,
das einsame weiße Kirchlein mit dem Kreuz und dem Blitz¬
ableiter, die schwarzen Cypressen, das silberne und blaue Meer.
Laß alles dunkel werden -- und erinnere dich.

An zwei Ereignisse in deinem Leben -- erlebte, wieder¬
kehrende, wieder verschwimmende -- muß ich dich mahnen,
damit du im Kern verstehst, was ich will. Zweierlei Augen¬
blicke, da du dein Ich verloren hast in der Liebe. Verloren
in vollkommener Seligkeit des pulsenden Lebens ohne jede Spur
von Todesangst. Da du starbest als "du", aber starbest ins
Leben hinein. Einmal im Körper. Und ein andermal im Geist.

Erinnere dich .....

Du hast Liebe geübt, Liebe genossen im Leben. Sinnen¬
liebe. Rohe Bilder -- oder wenigstens solche, die du einmal
für roh hieltest -- steigen herauf. Aber auch wunderbar süße.
An Ängste und Irrtümer der Jugend denkst du. An erbärm¬
liche Stunden, die das Gold deiner Träume erbarmungslos in
den Staub traten, wie goldenes Laub in eine Pfütze sinkt. Und
doch auch an goldene Stunden, die aus dir einen neuen Men¬
schen machten weit über alle deine unerfahrenen Träume hinaus.
An Stunden der Wahrheit in der Sinnenliebe. Die heilig
waren wie jede echte Wahrheitsstunde. Wo es über dich kam wie
ein herber Glanz, aber doch strahlendes Licht, Licht, das Seelen
schmiedet und die Erze des Ich aus der Schlacke schweißt .....

heimniſſe, die dich durchſpinnen wie ein dunkles Schickſalsnetz,
wie ein ſchwarzes Spinngewebe, an dem deine Thränen wie
Tautropfen blinken.

Dort liegt auch die Löſung deiner Liebe. Der Segel¬
falter, der wie berauſcht von all der Feiertagsſonne reglos jetzt
auf den violetten Blüten liegt, ſagt dir mehr davon als alle
altersgrünen Glocken der Welt. Von ihm und ſeinesgleichen
laß mich dir erzählen. Unter den neuen Zeichen, die noch nie
eine Zeit vor uns beſeſſen hat.

Aber ſchließe deine Augen erſt noch auf einen Moment.

Laß das ganze feierſtille Bild da draußen verſchwinden,
das einſame weiße Kirchlein mit dem Kreuz und dem Blitz¬
ableiter, die ſchwarzen Cypreſſen, das ſilberne und blaue Meer.
Laß alles dunkel werden — und erinnere dich.

An zwei Ereigniſſe in deinem Leben — erlebte, wieder¬
kehrende, wieder verſchwimmende — muß ich dich mahnen,
damit du im Kern verſtehſt, was ich will. Zweierlei Augen¬
blicke, da du dein Ich verloren haſt in der Liebe. Verloren
in vollkommener Seligkeit des pulſenden Lebens ohne jede Spur
von Todesangſt. Da du ſtarbeſt als „du“, aber ſtarbeſt ins
Leben hinein. Einmal im Körper. Und ein andermal im Geiſt.

Erinnere dich .....

Du haſt Liebe geübt, Liebe genoſſen im Leben. Sinnen¬
liebe. Rohe Bilder — oder wenigſtens ſolche, die du einmal
für roh hielteſt — ſteigen herauf. Aber auch wunderbar ſüße.
An Ängſte und Irrtümer der Jugend denkſt du. An erbärm¬
liche Stunden, die das Gold deiner Träume erbarmungslos in
den Staub traten, wie goldenes Laub in eine Pfütze ſinkt. Und
doch auch an goldene Stunden, die aus dir einen neuen Men¬
ſchen machten weit über alle deine unerfahrenen Träume hinaus.
An Stunden der Wahrheit in der Sinnenliebe. Die heilig
waren wie jede echte Wahrheitsſtunde. Wo es über dich kam wie
ein herber Glanz, aber doch ſtrahlendes Licht, Licht, das Seelen
ſchmiedet und die Erze des Ich aus der Schlacke ſchweißt .....

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="7"/>
heimni&#x017F;&#x017F;e, die dich durch&#x017F;pinnen wie ein dunkles Schick&#x017F;alsnetz,<lb/>
wie ein &#x017F;chwarzes Spinngewebe, an dem deine Thränen wie<lb/>
Tautropfen blinken.</p><lb/>
        <p>Dort liegt auch die Lö&#x017F;ung deiner Liebe. Der Segel¬<lb/>
falter, der wie berau&#x017F;cht von all der Feiertags&#x017F;onne reglos jetzt<lb/>
auf den violetten Blüten liegt, &#x017F;agt dir mehr davon als alle<lb/>
altersgrünen Glocken der Welt. Von ihm und &#x017F;einesgleichen<lb/>
laß mich dir erzählen. Unter den neuen Zeichen, die noch nie<lb/>
eine Zeit vor uns be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hat.</p><lb/>
        <p>Aber &#x017F;chließe deine Augen er&#x017F;t noch auf einen Moment.</p><lb/>
        <p>Laß das ganze feier&#x017F;tille Bild da draußen ver&#x017F;chwinden,<lb/>
das ein&#x017F;ame weiße Kirchlein mit dem Kreuz und dem Blitz¬<lb/>
ableiter, die &#x017F;chwarzen Cypre&#x017F;&#x017F;en, das &#x017F;ilberne und blaue Meer.<lb/>
Laß alles dunkel werden &#x2014; und erinnere dich.</p><lb/>
        <p>An zwei Ereigni&#x017F;&#x017F;e in deinem Leben &#x2014; erlebte, wieder¬<lb/>
kehrende, wieder ver&#x017F;chwimmende &#x2014; muß ich dich mahnen,<lb/>
damit du im Kern ver&#x017F;teh&#x017F;t, was ich will. Zweierlei Augen¬<lb/>
blicke, da du dein <hi rendition="#g">Ich verloren</hi> ha&#x017F;t in der <hi rendition="#g">Liebe</hi>. Verloren<lb/>
in vollkommener Seligkeit des pul&#x017F;enden Lebens ohne jede Spur<lb/>
von Todesang&#x017F;t. Da du &#x017F;tarbe&#x017F;t als &#x201E;du&#x201C;, aber &#x017F;tarbe&#x017F;t ins<lb/>
Leben hinein. Einmal im Körper. Und ein andermal im Gei&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Erinnere dich .....</p><lb/>
        <p>Du ha&#x017F;t Liebe geübt, Liebe geno&#x017F;&#x017F;en im Leben. Sinnen¬<lb/>
liebe. Rohe Bilder &#x2014; oder wenig&#x017F;tens &#x017F;olche, die du einmal<lb/>
für roh hielte&#x017F;t &#x2014; &#x017F;teigen herauf. Aber auch wunderbar &#x017F;üße.<lb/>
An Äng&#x017F;te und Irrtümer der Jugend denk&#x017F;t du. An erbärm¬<lb/>
liche Stunden, die das Gold deiner Träume erbarmungslos in<lb/>
den Staub traten, wie goldenes Laub in eine Pfütze &#x017F;inkt. Und<lb/>
doch auch an goldene Stunden, die aus dir einen neuen Men¬<lb/>
&#x017F;chen machten weit über alle deine unerfahrenen Träume hinaus.<lb/>
An Stunden der <hi rendition="#g">Wahrheit</hi> in der Sinnenliebe. Die heilig<lb/>
waren wie jede echte Wahrheits&#x017F;tunde. Wo es über dich kam wie<lb/>
ein herber Glanz, aber doch &#x017F;trahlendes Licht, Licht, das Seelen<lb/>
&#x017F;chmiedet und die Erze des Ich aus der Schlacke &#x017F;chweißt .....</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0023] heimniſſe, die dich durchſpinnen wie ein dunkles Schickſalsnetz, wie ein ſchwarzes Spinngewebe, an dem deine Thränen wie Tautropfen blinken. Dort liegt auch die Löſung deiner Liebe. Der Segel¬ falter, der wie berauſcht von all der Feiertagsſonne reglos jetzt auf den violetten Blüten liegt, ſagt dir mehr davon als alle altersgrünen Glocken der Welt. Von ihm und ſeinesgleichen laß mich dir erzählen. Unter den neuen Zeichen, die noch nie eine Zeit vor uns beſeſſen hat. Aber ſchließe deine Augen erſt noch auf einen Moment. Laß das ganze feierſtille Bild da draußen verſchwinden, das einſame weiße Kirchlein mit dem Kreuz und dem Blitz¬ ableiter, die ſchwarzen Cypreſſen, das ſilberne und blaue Meer. Laß alles dunkel werden — und erinnere dich. An zwei Ereigniſſe in deinem Leben — erlebte, wieder¬ kehrende, wieder verſchwimmende — muß ich dich mahnen, damit du im Kern verſtehſt, was ich will. Zweierlei Augen¬ blicke, da du dein Ich verloren haſt in der Liebe. Verloren in vollkommener Seligkeit des pulſenden Lebens ohne jede Spur von Todesangſt. Da du ſtarbeſt als „du“, aber ſtarbeſt ins Leben hinein. Einmal im Körper. Und ein andermal im Geiſt. Erinnere dich ..... Du haſt Liebe geübt, Liebe genoſſen im Leben. Sinnen¬ liebe. Rohe Bilder — oder wenigſtens ſolche, die du einmal für roh hielteſt — ſteigen herauf. Aber auch wunderbar ſüße. An Ängſte und Irrtümer der Jugend denkſt du. An erbärm¬ liche Stunden, die das Gold deiner Träume erbarmungslos in den Staub traten, wie goldenes Laub in eine Pfütze ſinkt. Und doch auch an goldene Stunden, die aus dir einen neuen Men¬ ſchen machten weit über alle deine unerfahrenen Träume hinaus. An Stunden der Wahrheit in der Sinnenliebe. Die heilig waren wie jede echte Wahrheitsſtunde. Wo es über dich kam wie ein herber Glanz, aber doch ſtrahlendes Licht, Licht, das Seelen ſchmiedet und die Erze des Ich aus der Schlacke ſchweißt .....

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/23
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/23>, abgerufen am 28.03.2024.