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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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I. Die Schutzwaffen.
deren Ende sich ein Knebel befand, der durch das Loch gezogen
wurde.

Es ist interessant, die mannigfachen Bestrebungen zu verfolgen,
welche dahin zielten, ein so plumpes, schweres Rüststück, wie es der
Topfhelm darstellt, für den Träger leidlicher zu gestalten, ohne die
vermeinten Vorteile einzubüssen. Schon im 2. Kreuzzuge, zu welcher
Periode die ersten Topfhelme von noch geringen Dimensionen vor
Augen treten, sahen sich die Reiter genötigt, über den Helm einen
Leinenstoff zu breiten, um die Erhitzung des Eisens im Sonnenbrande
wenigstens zu mässigen. (Fig. 15.) Dieser weit über die Schultern herab-
wallende Stoff, die Helmdecke, wurde bei längerem Tragen unter dem
Einflusse der Witterung und des Lagerlebens beschädigt. Die Schuss-

[Abbildung] Fig. 14.
[Abbildung] Fig. 14a.

Topfhelm mit Zimier von einer kleinen Reiterstatuette,
ausgegraben auf der Insel Texel. Anfang des 14. Jahrhunderts. Samm-
lung J. P. Six in Amsterdam. Nach van der Kellen.

[Abbildung] 14 b.

Rückseite.

fäden trennten sich und es wurde daraus ein an den Rändern viel-
fältig eingerissenes schmutziges Gewebe. Wie später die Fahne, so
bildete damals eine verrissene Helmdecke ein den Ritter ehrendes
Zeichen seiner Tapferkeit. Sie wurde mit dem Helme und später
dem Zimiere typisch für den adeligen Reiter, ein Attribut seiner
Mannhaftigkeit, die Kunst nahm diese herabhängenden Fetzen als
stilistisches Motiv für ihre Darstellungen und so entstand die gezottete
oder "gezaddelte" Helmdecke (lambrequin), wie wir sie an heraldischen
Darstellungen vom 14. Jahrhundert ersehen. Zuletzt wurden selbst
neu gefertigte Helmdecken nicht anders als am Rande ausgezackt
getragen, so sehr hatte sich eine ehrwürdige Tradition eingelebt. Am

I. Die Schutzwaffen.
deren Ende sich ein Knebel befand, der durch das Loch gezogen
wurde.

Es ist interessant, die mannigfachen Bestrebungen zu verfolgen,
welche dahin zielten, ein so plumpes, schweres Rüststück, wie es der
Topfhelm darstellt, für den Träger leidlicher zu gestalten, ohne die
vermeinten Vorteile einzubüſsen. Schon im 2. Kreuzzuge, zu welcher
Periode die ersten Topfhelme von noch geringen Dimensionen vor
Augen treten, sahen sich die Reiter genötigt, über den Helm einen
Leinenstoff zu breiten, um die Erhitzung des Eisens im Sonnenbrande
wenigstens zu mäſsigen. (Fig. 15.) Dieser weit über die Schultern herab-
wallende Stoff, die Helmdecke, wurde bei längerem Tragen unter dem
Einflusse der Witterung und des Lagerlebens beschädigt. Die Schuſs-

[Abbildung] Fig. 14.
[Abbildung] Fig. 14a.

Topfhelm mit Zimier von einer kleinen Reiterstatuette,
ausgegraben auf der Insel Texel. Anfang des 14. Jahrhunderts. Samm-
lung J. P. Six in Amsterdam. Nach van der Kellen.

[Abbildung] 14 b.

Rückseite.

fäden trennten sich und es wurde daraus ein an den Rändern viel-
fältig eingerissenes schmutziges Gewebe. Wie später die Fahne, so
bildete damals eine verrissene Helmdecke ein den Ritter ehrendes
Zeichen seiner Tapferkeit. Sie wurde mit dem Helme und später
dem Zimiere typisch für den adeligen Reiter, ein Attribut seiner
Mannhaftigkeit, die Kunst nahm diese herabhängenden Fetzen als
stilistisches Motiv für ihre Darstellungen und so entstand die gezottete
oder „gezaddelte“ Helmdecke (lambrequin), wie wir sie an heraldischen
Darstellungen vom 14. Jahrhundert ersehen. Zuletzt wurden selbst
neu gefertigte Helmdecken nicht anders als am Rande ausgezackt
getragen, so sehr hatte sich eine ehrwürdige Tradition eingelebt. Am

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[32/0050] I. Die Schutzwaffen. deren Ende sich ein Knebel befand, der durch das Loch gezogen wurde. Es ist interessant, die mannigfachen Bestrebungen zu verfolgen, welche dahin zielten, ein so plumpes, schweres Rüststück, wie es der Topfhelm darstellt, für den Träger leidlicher zu gestalten, ohne die vermeinten Vorteile einzubüſsen. Schon im 2. Kreuzzuge, zu welcher Periode die ersten Topfhelme von noch geringen Dimensionen vor Augen treten, sahen sich die Reiter genötigt, über den Helm einen Leinenstoff zu breiten, um die Erhitzung des Eisens im Sonnenbrande wenigstens zu mäſsigen. (Fig. 15.) Dieser weit über die Schultern herab- wallende Stoff, die Helmdecke, wurde bei längerem Tragen unter dem Einflusse der Witterung und des Lagerlebens beschädigt. Die Schuſs- [Abbildung Topfhelm mit Zimier von einer kleinen Reiterstatuette, ausgegraben auf der Insel Texel. Anfang des 14. Jahrhunderts. Samm- lung J. P. Six in Amsterdam. Nach van der Kellen. Rückseite.Fig. 14. [Abbildung Fig. 14a. Topfhelm mit Zimier von einer kleinen Reiterstatuette, ausgegraben auf der Insel Texel. Anfang des 14. Jahrhunderts. Samm- lung J. P. Six in Amsterdam. Nach van der Kellen.] [Abbildung 14 b. Rückseite.] ] fäden trennten sich und es wurde daraus ein an den Rändern viel- fältig eingerissenes schmutziges Gewebe. Wie später die Fahne, so bildete damals eine verrissene Helmdecke ein den Ritter ehrendes Zeichen seiner Tapferkeit. Sie wurde mit dem Helme und später dem Zimiere typisch für den adeligen Reiter, ein Attribut seiner Mannhaftigkeit, die Kunst nahm diese herabhängenden Fetzen als stilistisches Motiv für ihre Darstellungen und so entstand die gezottete oder „gezaddelte“ Helmdecke (lambrequin), wie wir sie an heraldischen Darstellungen vom 14. Jahrhundert ersehen. Zuletzt wurden selbst neu gefertigte Helmdecken nicht anders als am Rande ausgezackt getragen, so sehr hatte sich eine ehrwürdige Tradition eingelebt. Am

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/50>, abgerufen am 25.04.2024.