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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen.
nahmen die Abendländer von den Orientalen das Krummschwert, den
leichten Reiterspiess (pennon), den verbesserten Bogen und die Armrust.
Das wichtigste Ergebnis aber war die Entwickelung des Rittertums im
normanischen Geiste, gefördert durch die dort aufgetretene Notwendig-
keit eines engen Zusammenhaltens und durch das nachahmenswerte
Beispiel ritterlichen Sinnes unter den Orientalen. Das Rittertum ist
auf der Schätzung des persönlichen Wertes aufgebaut, dieser Grund-
zug seines Wesens wurzelt in alten deutschen und nordischen Tra-
ditionen einer den späteren Generationen ehrwürdigen Heldenzeit.
Auf den Sandfeldern Palästinas unter französischen, normannischen und
deutschen Herren entstand das Turnier als Scheinkampf zwischen
Scharen oder Einzelnen. Es fand seinen Ursprung nicht in dem Streben,
sich im Gebrauche der Waffe zu üben, sondern in der Rivalität der hier
vereinten nationalen Parteien, in denen jeder einzelne seine kriege-
rische Tüchtigkeit vor den anderen darzuthun bestrebt war. Das
Turnier als Scheinkampf ist nicht aus romanischem Geiste erwachsen.
Schon Tacitus erwähnt in seiner Germania (Kap. 24) die Lieb-
haberei der Deutschen an Scheinkämpfen, und Nithart, der 844 schrieb,
erzählt von den Waffenspielen im Heere Ludwigs des Deutschen.
Diese älteren Waffenspiele waren Kämpfe in geteilten Haufen, die
man mit dem Namen "buhurt" bezeichnete. Aus der Selbstschätzung
des einzelnen und durch den Umstand, dass später der Ritter durch
seine Bewaffnung vollständig vermummt erschien, erwuchs das Bedürfnis,
sich durch bestimmte Abzeichen zu unterscheiden. Damit bildete sich
die Heraldik heraus, die, anfänglich so einfach, schön und sinnig,
später als Kunst von dunkler Symbolik eingezwängt, ihren ursprüng-
lichen Charakter verlor. Bis ins 14. Jahrhundert bestand kein Unter-
schied in der Bewaffnung des Turniers mit jener im Kriege. Von
da an trennten sich allmählich die Formen. Mit der Verschiedenheit
der Streitmittel erhielt das Turnier eine eigenartige Physiognomie; es
verlor den ernsten, bedeutsamen Untergrund und wurde unversehens
zum inhaltlosen Spiele nach gewählten Regeln, die mit dem Kriegs-
handwerke nichts mehr gemein hatten. Damit entgeistigt, ging das
Turnier den Weg aller müssigen Spiele. Zunächst erkennt man das
Streben nach äusserlichem Effekt bei möglichster Gefahrlosigkeit,
endlich wird es zur aufgeputzten Komödie, und die Bemühungen der
Besten jener Zeit, wie Gastons de Foix, Wilhelms IV. von Baiern,
Albrecht Achilles von Brandenburg, Maximilians I. u. a., vermochten
dem Turnier nimmermehr jene ernste Bedeutung zu verleihen, die es
im 14. Jahrhundert noch besass; es war mit dem Rittertume selbst
zu Grabe gegangen.

Hoch bemerkenswert sind uns die Kreuzzüge im Hinblicke auf
die Erfahrungen im Kriegswesen und die auf selben beruhende Be-
waffnung. Gegen die meist aus leichten Reitern bestehenden Heer-
haufen des Feindes und ihre eigentümliche Gefechtsweise schien sich

Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen.
nahmen die Abendländer von den Orientalen das Krummschwert, den
leichten Reiterspieſs (pennon), den verbesserten Bogen und die Armrust.
Das wichtigste Ergebnis aber war die Entwickelung des Rittertums im
normanischen Geiste, gefördert durch die dort aufgetretene Notwendig-
keit eines engen Zusammenhaltens und durch das nachahmenswerte
Beispiel ritterlichen Sinnes unter den Orientalen. Das Rittertum ist
auf der Schätzung des persönlichen Wertes aufgebaut, dieser Grund-
zug seines Wesens wurzelt in alten deutschen und nordischen Tra-
ditionen einer den späteren Generationen ehrwürdigen Heldenzeit.
Auf den Sandfeldern Palästinas unter französischen, normannischen und
deutschen Herren entstand das Turnier als Scheinkampf zwischen
Scharen oder Einzelnen. Es fand seinen Ursprung nicht in dem Streben,
sich im Gebrauche der Waffe zu üben, sondern in der Rivalität der hier
vereinten nationalen Parteien, in denen jeder einzelne seine kriege-
rische Tüchtigkeit vor den anderen darzuthun bestrebt war. Das
Turnier als Scheinkampf ist nicht aus romanischem Geiste erwachsen.
Schon Tacitus erwähnt in seiner Germania (Kap. 24) die Lieb-
haberei der Deutschen an Scheinkämpfen, und Nithart, der 844 schrieb,
erzählt von den Waffenspielen im Heere Ludwigs des Deutschen.
Diese älteren Waffenspiele waren Kämpfe in geteilten Haufen, die
man mit dem Namen »buhurt« bezeichnete. Aus der Selbstschätzung
des einzelnen und durch den Umstand, daſs später der Ritter durch
seine Bewaffnung vollständig vermummt erschien, erwuchs das Bedürfnis,
sich durch bestimmte Abzeichen zu unterscheiden. Damit bildete sich
die Heraldik heraus, die, anfänglich so einfach, schön und sinnig,
später als Kunst von dunkler Symbolik eingezwängt, ihren ursprüng-
lichen Charakter verlor. Bis ins 14. Jahrhundert bestand kein Unter-
schied in der Bewaffnung des Turniers mit jener im Kriege. Von
da an trennten sich allmählich die Formen. Mit der Verschiedenheit
der Streitmittel erhielt das Turnier eine eigenartige Physiognomie; es
verlor den ernsten, bedeutsamen Untergrund und wurde unversehens
zum inhaltlosen Spiele nach gewählten Regeln, die mit dem Kriegs-
handwerke nichts mehr gemein hatten. Damit entgeistigt, ging das
Turnier den Weg aller müſsigen Spiele. Zunächst erkennt man das
Streben nach äuſserlichem Effekt bei möglichster Gefahrlosigkeit,
endlich wird es zur aufgeputzten Komödie, und die Bemühungen der
Besten jener Zeit, wie Gastons de Foix, Wilhelms IV. von Baiern,
Albrecht Achilles von Brandenburg, Maximilians I. u. a., vermochten
dem Turnier nimmermehr jene ernste Bedeutung zu verleihen, die es
im 14. Jahrhundert noch besaſs; es war mit dem Rittertume selbst
zu Grabe gegangen.

Hoch bemerkenswert sind uns die Kreuzzüge im Hinblicke auf
die Erfahrungen im Kriegswesen und die auf selben beruhende Be-
waffnung. Gegen die meist aus leichten Reitern bestehenden Heer-
haufen des Feindes und ihre eigentümliche Gefechtsweise schien sich

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[9/0027] Die Entwickelung des Waffenwesens in ihren Grundzügen. nahmen die Abendländer von den Orientalen das Krummschwert, den leichten Reiterspieſs (pennon), den verbesserten Bogen und die Armrust. Das wichtigste Ergebnis aber war die Entwickelung des Rittertums im normanischen Geiste, gefördert durch die dort aufgetretene Notwendig- keit eines engen Zusammenhaltens und durch das nachahmenswerte Beispiel ritterlichen Sinnes unter den Orientalen. Das Rittertum ist auf der Schätzung des persönlichen Wertes aufgebaut, dieser Grund- zug seines Wesens wurzelt in alten deutschen und nordischen Tra- ditionen einer den späteren Generationen ehrwürdigen Heldenzeit. Auf den Sandfeldern Palästinas unter französischen, normannischen und deutschen Herren entstand das Turnier als Scheinkampf zwischen Scharen oder Einzelnen. Es fand seinen Ursprung nicht in dem Streben, sich im Gebrauche der Waffe zu üben, sondern in der Rivalität der hier vereinten nationalen Parteien, in denen jeder einzelne seine kriege- rische Tüchtigkeit vor den anderen darzuthun bestrebt war. Das Turnier als Scheinkampf ist nicht aus romanischem Geiste erwachsen. Schon Tacitus erwähnt in seiner Germania (Kap. 24) die Lieb- haberei der Deutschen an Scheinkämpfen, und Nithart, der 844 schrieb, erzählt von den Waffenspielen im Heere Ludwigs des Deutschen. Diese älteren Waffenspiele waren Kämpfe in geteilten Haufen, die man mit dem Namen »buhurt« bezeichnete. Aus der Selbstschätzung des einzelnen und durch den Umstand, daſs später der Ritter durch seine Bewaffnung vollständig vermummt erschien, erwuchs das Bedürfnis, sich durch bestimmte Abzeichen zu unterscheiden. Damit bildete sich die Heraldik heraus, die, anfänglich so einfach, schön und sinnig, später als Kunst von dunkler Symbolik eingezwängt, ihren ursprüng- lichen Charakter verlor. Bis ins 14. Jahrhundert bestand kein Unter- schied in der Bewaffnung des Turniers mit jener im Kriege. Von da an trennten sich allmählich die Formen. Mit der Verschiedenheit der Streitmittel erhielt das Turnier eine eigenartige Physiognomie; es verlor den ernsten, bedeutsamen Untergrund und wurde unversehens zum inhaltlosen Spiele nach gewählten Regeln, die mit dem Kriegs- handwerke nichts mehr gemein hatten. Damit entgeistigt, ging das Turnier den Weg aller müſsigen Spiele. Zunächst erkennt man das Streben nach äuſserlichem Effekt bei möglichster Gefahrlosigkeit, endlich wird es zur aufgeputzten Komödie, und die Bemühungen der Besten jener Zeit, wie Gastons de Foix, Wilhelms IV. von Baiern, Albrecht Achilles von Brandenburg, Maximilians I. u. a., vermochten dem Turnier nimmermehr jene ernste Bedeutung zu verleihen, die es im 14. Jahrhundert noch besaſs; es war mit dem Rittertume selbst zu Grabe gegangen. Hoch bemerkenswert sind uns die Kreuzzüge im Hinblicke auf die Erfahrungen im Kriegswesen und die auf selben beruhende Be- waffnung. Gegen die meist aus leichten Reitern bestehenden Heer- haufen des Feindes und ihre eigentümliche Gefechtsweise schien sich

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/27>, abgerufen am 19.04.2024.