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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
dass der Normane wie der Sachse seinen nationalen grossen Schild,
das lange Schwert, die beide sich in der damaligen Fechtweise bewährt
hatten, beibehalten hat. Im schweren Fussvolke erscheinen neben den
langen, starken Spiessen noch immer, wenn auch geringer an Zahl, die
Streitäxte, und den Fernwaffen, dem Bogen, der Schleuder, wird ganz
im Geiste des Rittertums nur zur Einleitung des Gefechtes eine Ver-
wendung gegeben. In der Ausrüstung der Reiterei ist gegenüber
jener des Fussvolkes noch wenig Unterschied zu bemerken, nur der
lange Schild wird unterhalb spitz zugeschnitten; diese Form erschien
zu Pferde bequemer. Noch wird der Spiess mit freiem Arme geführt
und das Schwert, gleich den Orientalen, erst in dem Augenblicke ge-
zogen, wenn der Einbruch in die feindliche Linie erfolgt war, wobei
jeder einzelne seinen Gegner sich suchte, mit dem allein er um die
Siegespalme rang.

Um den kräftigen Einfluss des Orientes auf die Bewaffnung der
Normanen erklärlich zu finden, darf man unter anderem nur an
Harald III., Haardraade erinnern, der zehn Jahre (1033--1043)
unter fortwährenden Kämpfen mit den Sarazenen in der kaiserlichen
Leibwache zu Byzanz diente.

Das Ende des 11. Jahrhunderts bezeichnet den Beginn der
Kreuzzüge. Der kriegerische Sinn, der Drang nach Thätigkeit, der
alte Hang nach einem abenteuerlichen Leben waren Ursache, dass die
Normanen die Idee einer Eroberung des Heiligen Landes mit Be-
geisterung ergriffen und rasch auch die Franzosen für selbe gewannen.

Die langen und erbitterten Kriege mit den Seldschukken und Arabern
bildeten eine tüchtige Schule für die abendländischen Völker. Schon
die ersten Berührungen mit dem Feinde erregten das Staunen der
abendländischen Ritterschaft. Sie sah sich einer Reiterei von un-
gemeiner Zahl gegenüber, die jedem ihrer schwerfälligen Stösse aus-
wich, um, rasch wieder gesammelt, gegenteilig anzugreifen. Eine solche
Reiterei erschien unbesiegbar. Der Bogen war längst bekannt, aber
einen solchen Pfeilhagel, von Reitern und Fusstruppen ausgegangen,
hatte sie nie gesehen. Die Wirkung der Fernwaffe war erschreckend,
und besonders litt der Pferdestand darunter. Mit Entsetzen sahen
die Ritter eine Reiterei vor sich, beweglich, ausdauernd, die alle
Waffen handhabte: Spiess, Streitkolben, Beil und Bogen; ein Fuss-
volk, das, in einigermassen günstiger Stellung, sich eher vernichten
liess, als dass es gewichen wäre. Ein grosser Teil desselben führte
eine ungekannte Fernwaffe, deren Geschosse selbst in den Haubert
einzudringen vermochten, die Armrust. In England und Brabant
suchte man die orientalische Fechtweise nachzuahmen und errichtete
schon um 1280 berittene Bogenschützen. Wie in der Taktik, so
lernten die Europäer auch in der Bewaffnung den weitaus kriegs-
gewandteren Orientalen manches ab, manches änderten sie selbst-
ständig daran, um ihren Gegnern ebenbürtig zu begegnen. So ent-

Einleitung.
daſs der Normane wie der Sachse seinen nationalen groſsen Schild,
das lange Schwert, die beide sich in der damaligen Fechtweise bewährt
hatten, beibehalten hat. Im schweren Fuſsvolke erscheinen neben den
langen, starken Spieſsen noch immer, wenn auch geringer an Zahl, die
Streitäxte, und den Fernwaffen, dem Bogen, der Schleuder, wird ganz
im Geiste des Rittertums nur zur Einleitung des Gefechtes eine Ver-
wendung gegeben. In der Ausrüstung der Reiterei ist gegenüber
jener des Fuſsvolkes noch wenig Unterschied zu bemerken, nur der
lange Schild wird unterhalb spitz zugeschnitten; diese Form erschien
zu Pferde bequemer. Noch wird der Spieſs mit freiem Arme geführt
und das Schwert, gleich den Orientalen, erst in dem Augenblicke ge-
zogen, wenn der Einbruch in die feindliche Linie erfolgt war, wobei
jeder einzelne seinen Gegner sich suchte, mit dem allein er um die
Siegespalme rang.

Um den kräftigen Einfluſs des Orientes auf die Bewaffnung der
Normanen erklärlich zu finden, darf man unter anderem nur an
Harald III., Haardraade erinnern, der zehn Jahre (1033—1043)
unter fortwährenden Kämpfen mit den Sarazenen in der kaiserlichen
Leibwache zu Byzanz diente.

Das Ende des 11. Jahrhunderts bezeichnet den Beginn der
Kreuzzüge. Der kriegerische Sinn, der Drang nach Thätigkeit, der
alte Hang nach einem abenteuerlichen Leben waren Ursache, daſs die
Normanen die Idee einer Eroberung des Heiligen Landes mit Be-
geisterung ergriffen und rasch auch die Franzosen für selbe gewannen.

Die langen und erbitterten Kriege mit den Seldschukken und Arabern
bildeten eine tüchtige Schule für die abendländischen Völker. Schon
die ersten Berührungen mit dem Feinde erregten das Staunen der
abendländischen Ritterschaft. Sie sah sich einer Reiterei von un-
gemeiner Zahl gegenüber, die jedem ihrer schwerfälligen Stöſse aus-
wich, um, rasch wieder gesammelt, gegenteilig anzugreifen. Eine solche
Reiterei erschien unbesiegbar. Der Bogen war längst bekannt, aber
einen solchen Pfeilhagel, von Reitern und Fuſstruppen ausgegangen,
hatte sie nie gesehen. Die Wirkung der Fernwaffe war erschreckend,
und besonders litt der Pferdestand darunter. Mit Entsetzen sahen
die Ritter eine Reiterei vor sich, beweglich, ausdauernd, die alle
Waffen handhabte: Spieſs, Streitkolben, Beil und Bogen; ein Fuſs-
volk, das, in einigermaſsen günstiger Stellung, sich eher vernichten
lieſs, als daſs es gewichen wäre. Ein groſser Teil desselben führte
eine ungekannte Fernwaffe, deren Geschosse selbst in den Haubert
einzudringen vermochten, die Armrust. In England und Brabant
suchte man die orientalische Fechtweise nachzuahmen und errichtete
schon um 1280 berittene Bogenschützen. Wie in der Taktik, so
lernten die Europäer auch in der Bewaffnung den weitaus kriegs-
gewandteren Orientalen manches ab, manches änderten sie selbst-
ständig daran, um ihren Gegnern ebenbürtig zu begegnen. So ent-

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[8/0026] Einleitung. daſs der Normane wie der Sachse seinen nationalen groſsen Schild, das lange Schwert, die beide sich in der damaligen Fechtweise bewährt hatten, beibehalten hat. Im schweren Fuſsvolke erscheinen neben den langen, starken Spieſsen noch immer, wenn auch geringer an Zahl, die Streitäxte, und den Fernwaffen, dem Bogen, der Schleuder, wird ganz im Geiste des Rittertums nur zur Einleitung des Gefechtes eine Ver- wendung gegeben. In der Ausrüstung der Reiterei ist gegenüber jener des Fuſsvolkes noch wenig Unterschied zu bemerken, nur der lange Schild wird unterhalb spitz zugeschnitten; diese Form erschien zu Pferde bequemer. Noch wird der Spieſs mit freiem Arme geführt und das Schwert, gleich den Orientalen, erst in dem Augenblicke ge- zogen, wenn der Einbruch in die feindliche Linie erfolgt war, wobei jeder einzelne seinen Gegner sich suchte, mit dem allein er um die Siegespalme rang. Um den kräftigen Einfluſs des Orientes auf die Bewaffnung der Normanen erklärlich zu finden, darf man unter anderem nur an Harald III., Haardraade erinnern, der zehn Jahre (1033—1043) unter fortwährenden Kämpfen mit den Sarazenen in der kaiserlichen Leibwache zu Byzanz diente. Das Ende des 11. Jahrhunderts bezeichnet den Beginn der Kreuzzüge. Der kriegerische Sinn, der Drang nach Thätigkeit, der alte Hang nach einem abenteuerlichen Leben waren Ursache, daſs die Normanen die Idee einer Eroberung des Heiligen Landes mit Be- geisterung ergriffen und rasch auch die Franzosen für selbe gewannen. Die langen und erbitterten Kriege mit den Seldschukken und Arabern bildeten eine tüchtige Schule für die abendländischen Völker. Schon die ersten Berührungen mit dem Feinde erregten das Staunen der abendländischen Ritterschaft. Sie sah sich einer Reiterei von un- gemeiner Zahl gegenüber, die jedem ihrer schwerfälligen Stöſse aus- wich, um, rasch wieder gesammelt, gegenteilig anzugreifen. Eine solche Reiterei erschien unbesiegbar. Der Bogen war längst bekannt, aber einen solchen Pfeilhagel, von Reitern und Fuſstruppen ausgegangen, hatte sie nie gesehen. Die Wirkung der Fernwaffe war erschreckend, und besonders litt der Pferdestand darunter. Mit Entsetzen sahen die Ritter eine Reiterei vor sich, beweglich, ausdauernd, die alle Waffen handhabte: Spieſs, Streitkolben, Beil und Bogen; ein Fuſs- volk, das, in einigermaſsen günstiger Stellung, sich eher vernichten lieſs, als daſs es gewichen wäre. Ein groſser Teil desselben führte eine ungekannte Fernwaffe, deren Geschosse selbst in den Haubert einzudringen vermochten, die Armrust. In England und Brabant suchte man die orientalische Fechtweise nachzuahmen und errichtete schon um 1280 berittene Bogenschützen. Wie in der Taktik, so lernten die Europäer auch in der Bewaffnung den weitaus kriegs- gewandteren Orientalen manches ab, manches änderten sie selbst- ständig daran, um ihren Gegnern ebenbürtig zu begegnen. So ent-

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/26>, abgerufen am 25.04.2024.