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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.

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Von dem Zustande der Poesie
Wer nur des Tods begehrt, wer nur frisch geht anhin,
Der hat den Sieg, und dann das Leben zu Gewinn.

Tyrtäus hat etliche Gedichte verfertiget, wor-
innen er der Dapferkeit ein ungemeines Lob bey-
legete; er erhob die Liebe des Vaterlandes, und
die Unerschrockenheit derer wackern Kriegesmän-
ner, welche in dem Gefechte das Schrecken und
den Tod durch alle Glieder und Reihen mit sich
führeten, bis in den Himmel. Er ermunterte
diejenigen, welche den Muth verlohren hatten,
auf ein neues, und belebete sie mit neuer Hoff-
nung, wann sie in etlichen Schlachten das Hertz
sowohl als das Feld verlohren hatten. Er stellete
in seinen Gedichten die Vortheile vor, welche ein
Krieges Mann dem Vaterlande mittheilet, wann
er mit Verachtung aller Gefahr und des Todes
selbst vornen an dem Heere dapfer streitet.

"Ein
"solcher, sagt Tyrtäus in einem Gedicht, bele-
"bet alle, die um ihn herum sechten, mit einer
"großmüthigen Kühnheit, und man sieht gantze
"Regimenter vor ihm fliehen: Fällt er unter den
"Streichen des Feindes, was vor Ruhm em-
"pfängt nicht daher sein Vaterland, seine Mit-
"bürger, und seine Verwandten? Alte und Jun-
"ge beweinen ihn; Jedermann ist in der Trauer,
"sein Grab bleibt auf ewig berühmt, und der
"Nachklang seiner großmüthigen Thaten kömmt
"auf die späthesten Nachkommen. Die helden-
"müthigen Thaten werden nicht in den Staub
"begraben, und der Tod selbst wird diesen uner-
"schrockenen Kriegern zu einem Gewährmann
"der
Von dem Zuſtande der Poeſie
Wer nur des Tods begehrt, wer nur friſch geht anhin,
Der hat den Sieg, und dann das Leben zu Gewinn.

Tyrtaͤus hat etliche Gedichte verfertiget, wor-
innen er der Dapferkeit ein ungemeines Lob bey-
legete; er erhob die Liebe des Vaterlandes, und
die Unerſchrockenheit derer wackern Kriegesmaͤn-
ner, welche in dem Gefechte das Schrecken und
den Tod durch alle Glieder und Reihen mit ſich
fuͤhreten, bis in den Himmel. Er ermunterte
diejenigen, welche den Muth verlohren hatten,
auf ein neues, und belebete ſie mit neuer Hoff-
nung, wann ſie in etlichen Schlachten das Hertz
ſowohl als das Feld verlohren hatten. Er ſtellete
in ſeinen Gedichten die Vortheile vor, welche ein
Krieges Mann dem Vaterlande mittheilet, wann
er mit Verachtung aller Gefahr und des Todes
ſelbſt vornen an dem Heere dapfer ſtreitet.

„Ein
„ſolcher, ſagt Tyrtaͤus in einem Gedicht, bele-
„bet alle, die um ihn herum ſechten, mit einer
„großmuͤthigen Kuͤhnheit, und man ſieht gantze
„Regimenter vor ihm fliehen: Faͤllt er unter den
„Streichen des Feindes, was vor Ruhm em-
„pfaͤngt nicht daher ſein Vaterland, ſeine Mit-
„buͤrger, und ſeine Verwandten? Alte und Jun-
„ge beweinen ihn; Jedermann iſt in der Trauer,
„ſein Grab bleibt auf ewig beruͤhmt, und der
„Nachklang ſeiner großmuͤthigen Thaten koͤmmt
„auf die ſpaͤtheſten Nachkommen. Die helden-
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[40/0040] Von dem Zuſtande der Poeſie Wer nur des Tods begehrt, wer nur friſch geht anhin, Der hat den Sieg, und dann das Leben zu Gewinn. Tyrtaͤus hat etliche Gedichte verfertiget, wor- innen er der Dapferkeit ein ungemeines Lob bey- legete; er erhob die Liebe des Vaterlandes, und die Unerſchrockenheit derer wackern Kriegesmaͤn- ner, welche in dem Gefechte das Schrecken und den Tod durch alle Glieder und Reihen mit ſich fuͤhreten, bis in den Himmel. Er ermunterte diejenigen, welche den Muth verlohren hatten, auf ein neues, und belebete ſie mit neuer Hoff- nung, wann ſie in etlichen Schlachten das Hertz ſowohl als das Feld verlohren hatten. Er ſtellete in ſeinen Gedichten die Vortheile vor, welche ein Krieges Mann dem Vaterlande mittheilet, wann er mit Verachtung aller Gefahr und des Todes ſelbſt vornen an dem Heere dapfer ſtreitet. „Ein „ſolcher, ſagt Tyrtaͤus in einem Gedicht, bele- „bet alle, die um ihn herum ſechten, mit einer „großmuͤthigen Kuͤhnheit, und man ſieht gantze „Regimenter vor ihm fliehen: Faͤllt er unter den „Streichen des Feindes, was vor Ruhm em- „pfaͤngt nicht daher ſein Vaterland, ſeine Mit- „buͤrger, und ſeine Verwandten? Alte und Jun- „ge beweinen ihn; Jedermann iſt in der Trauer, „ſein Grab bleibt auf ewig beruͤhmt, und der „Nachklang ſeiner großmuͤthigen Thaten koͤmmt „auf die ſpaͤtheſten Nachkommen. Die helden- „muͤthigen Thaten werden nicht in den Staub „begraben, und der Tod ſelbſt wird dieſen uner- „ſchrockenen Kriegern zu einem Gewaͤhrmann „der

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung09_1743/40>, abgerufen am 18.04.2024.