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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

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auf den Weisen.
Der Weise.
I
EJn Midas trotzt auf den Besitz der Schätze,
Um die der Geitz nach fernen Ufern reis't.
Prüft auch der Thor der Wahrheit ew'ge Sätze,
Des Weisen Glück, den echten Helden-Geist,
5Den Schatz, an dem kein Diebes-Finger klebet,

Nach dem allein der Reichen Neid nicht strebet?
II.
Ein Weiser lebt, obgleich nicht krumme Griffe
Jhm Geld und Trost in Schränk' und Kasten ziehn;
Beschwe-
V. 1. Auf den Besitz der Schätze)
[Spaltenumbruch] Das Possessivum mein, dein,
sein, kann öfters, wie hier ge-
schehen, mit gutem Nachdruck
durch ein Substantivum gegeben
werden. Und da der Poet hier
[Spaltenumbruch] von dem Besitz nicht aber von
dem Genuß redet, so dienet die
Wahl dieses Wortes den Trotz
eines solchen Midas recht lä-
cherlich zu machen.
V. 5. An dem kein Diebes-Finger klebet)
[Spaltenumbruch] Jeder Verständiger kan merken,
daß der Verfasser den Werth
des verborgenen und geheimen
Schatzes der Weisheit durch den
Gegensatz der Unbeständigkeit des
[Spaltenumbruch] betrüglichen Reichthums erhö-
hen will: Da jener nicht wie
dieser durch tausend Zufälle ge-
raubet werden kan.
V. 7. Ein Weiser lebt)
[Spaltenumbruch] Das Wort leben muß hier mit
Nachdruck und in seinem wahren
Begriff genommen werden. Er
lebt vernünftig und vergnügt.
Folglich ist alles andere, was
[Spaltenumbruch] die Menschen als die grösten
Schätze suchen, zu dem wahren
Leben eines Menschen gantz über-
flüssig.
V. 8. Jhm Geld und Trost etc.)
Diese Figur ist zwar kühn, lei- an Wahrscheinlichkeit: Son-
det aber darum keinen Abgang dern dienet den Geitzigen, der
seinen
B 5
auf den Weiſen.
Der Weiſe.
I
EJn Midas trotzt auf den Beſitz der Schaͤtze,
Um die der Geitz nach fernen Ufern reiſ’t.
Pruͤft auch der Thor der Wahrheit ew’ge Saͤtze,
Des Weiſen Gluͤck, den echten Helden-Geiſt,
5Den Schatz, an dem kein Diebes-Finger klebet,

Nach dem allein der Reichen Neid nicht ſtrebet?
II.
Ein Weiſer lebt, obgleich nicht krumme Griffe
Jhm Geld und Troſt in Schraͤnk’ und Kaſten ziehn;
Beſchwe-
V. 1. Auf den Beſitz der Schaͤtze)
[Spaltenumbruch] Das Poſſeſſivum mein, dein,
ſein, kann oͤfters, wie hier ge-
ſchehen, mit gutem Nachdruck
durch ein Subſtantivum gegeben
werden. Und da der Poet hier
[Spaltenumbruch] von dem Beſitz nicht aber von
dem Genuß redet, ſo dienet die
Wahl dieſes Wortes den Trotz
eines ſolchen Midas recht laͤ-
cherlich zu machen.
V. 5. An dem kein Diebes-Finger klebet)
[Spaltenumbruch] Jeder Verſtaͤndiger kan merken,
daß der Verfaſſer den Werth
des verborgenen und geheimen
Schatzes der Weisheit durch den
Gegenſatz der Unbeſtaͤndigkeit des
[Spaltenumbruch] betruͤglichen Reichthums erhoͤ-
hen will: Da jener nicht wie
dieſer durch tauſend Zufaͤlle ge-
raubet werden kan.
V. 7. Ein Weiſer lebt)
[Spaltenumbruch] Das Wort leben muß hier mit
Nachdruck und in ſeinem wahren
Begriff genommen werden. Er
lebt vernuͤnftig und vergnuͤgt.
Folglich iſt alles andere, was
[Spaltenumbruch] die Menſchen als die groͤſten
Schaͤtze ſuchen, zu dem wahren
Leben eines Menſchen gantz uͤber-
fluͤſſig.
V. 8. Jhm Geld und Troſt ꝛc.)
Dieſe Figur iſt zwar kuͤhn, lei- an Wahrſcheinlichkeit: Son-
det aber darum keinen Abgang dern dienet den Geitzigen, der
ſeinen
B 5
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[25/0025] auf den Weiſen. Der Weiſe. I EJn Midas trotzt auf den Beſitz der Schaͤtze, Um die der Geitz nach fernen Ufern reiſ’t. Pruͤft auch der Thor der Wahrheit ew’ge Saͤtze, Des Weiſen Gluͤck, den echten Helden-Geiſt, Den Schatz, an dem kein Diebes-Finger klebet, Nach dem allein der Reichen Neid nicht ſtrebet? II. Ein Weiſer lebt , obgleich nicht krumme Griffe Jhm Geld und Troſt in Schraͤnk’ und Kaſten ziehn; Beſchwe- V. 1. Auf den Beſitz der Schaͤtze) Das Poſſeſſivum mein, dein, ſein, kann oͤfters, wie hier ge- ſchehen, mit gutem Nachdruck durch ein Subſtantivum gegeben werden. Und da der Poet hier von dem Beſitz nicht aber von dem Genuß redet, ſo dienet die Wahl dieſes Wortes den Trotz eines ſolchen Midas recht laͤ- cherlich zu machen. V. 5. An dem kein Diebes-Finger klebet) Jeder Verſtaͤndiger kan merken, daß der Verfaſſer den Werth des verborgenen und geheimen Schatzes der Weisheit durch den Gegenſatz der Unbeſtaͤndigkeit des betruͤglichen Reichthums erhoͤ- hen will: Da jener nicht wie dieſer durch tauſend Zufaͤlle ge- raubet werden kan. V. 7. Ein Weiſer lebt) Das Wort leben muß hier mit Nachdruck und in ſeinem wahren Begriff genommen werden. Er lebt vernuͤnftig und vergnuͤgt. Folglich iſt alles andere, was die Menſchen als die groͤſten Schaͤtze ſuchen, zu dem wahren Leben eines Menſchen gantz uͤber- fluͤſſig. V. 8. Jhm Geld und Troſt ꝛc.) Dieſe Figur iſt zwar kuͤhn, lei- an Wahrſcheinlichkeit: Son- det aber darum keinen Abgang dern dienet den Geitzigen, der ſeinen B 5

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/25>, abgerufen am 24.04.2024.