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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von den poetischen Zeiten
sie noch auf den heutigen Tag treffliche Bequem-
lichkeiten hätte.

Jn der Bürgerbibliothek zu Zürch wird ein
Codex von Papier aufbehalten, worinnen eine
ziemliche Anzahl Fabeln aus Avienus und andern
in deutschen Versen enthalten ist. Der Spra-
che und Orthographie nach hat der Verfasser des
Wercks zu den Zeiten Kaiser Rudolfs des ersten
aus dem Hause Habsburg gelebt, wiewohl das
Buch zu hundert Jahren später, und zwar nicht
von dem geschicktesten Abschreiber geschrieben ist.
Es verdiente wegen seiner natürlichen Einfalt und
ungekünstelten obgleich nachdrücklichen Erzehlung
von unsern neuangehenden Scribenten gelesen zu
werden. Unter andern hat mich die Fabel von
dem Hunde, der nach dem Fleische im Schat-
ten schnappet, geschickt erzehlet bedünket:

Man liset von ainem Hunde
Der trug in seinem Munde
Ain stuk flaisch das was groß
Des sein geschlechte nie verdroß
An ainen bach trug in sin weg
Do vand er weder brugg noch steg
Do was weder schiff noch man
Ze fuß so must er uber gan
Do er kam fer in den bach
Den schatten er des flaisches sach
Das er in seinem munde trug
Er sprach ich hette wol genug
Moecht ich das Stuck zu diesem han
Vil schier er ginen began
Vnd

Von den poetiſchen Zeiten
ſie noch auf den heutigen Tag treffliche Bequem-
lichkeiten haͤtte.

Jn der Buͤrgerbibliothek zu Zuͤrch wird ein
Codex von Papier aufbehalten, worinnen eine
ziemliche Anzahl Fabeln aus Avienus und andern
in deutſchen Verſen enthalten iſt. Der Spra-
che und Orthographie nach hat der Verfaſſer des
Wercks zu den Zeiten Kaiſer Rudolfs des erſten
aus dem Hauſe Habsburg gelebt, wiewohl das
Buch zu hundert Jahren ſpaͤter, und zwar nicht
von dem geſchickteſten Abſchreiber geſchrieben iſt.
Es verdiente wegen ſeiner natuͤrlichen Einfalt und
ungekuͤnſtelten obgleich nachdruͤcklichen Erzehlung
von unſern neuangehenden Scribenten geleſen zu
werden. Unter andern hat mich die Fabel von
dem Hunde, der nach dem Fleiſche im Schat-
ten ſchnappet, geſchickt erzehlet beduͤnket:

Man liſet von ainem Hunde
Der trug in ſeinem Munde
Ain ſtúk flaiſch das was groß
Des ſein geſchlechte nie verdroß
An ainen bach trug in ſin weg
Do vand er weder brugg noch ſteg
Do was weder ſchiff noch man
Ze fuß ſo muſt er úber gan
Do er kam fer in den bach
Den ſchatten er des flaiſches ſach
Das er in ſeinem munde trug
Er ſprach ich hette wol genug
Moecht ich das Stuck zu dieſem han
Vil ſchier er ginen began
Vnd
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[48/0048] Von den poetiſchen Zeiten ſie noch auf den heutigen Tag treffliche Bequem- lichkeiten haͤtte. Jn der Buͤrgerbibliothek zu Zuͤrch wird ein Codex von Papier aufbehalten, worinnen eine ziemliche Anzahl Fabeln aus Avienus und andern in deutſchen Verſen enthalten iſt. Der Spra- che und Orthographie nach hat der Verfaſſer des Wercks zu den Zeiten Kaiſer Rudolfs des erſten aus dem Hauſe Habsburg gelebt, wiewohl das Buch zu hundert Jahren ſpaͤter, und zwar nicht von dem geſchickteſten Abſchreiber geſchrieben iſt. Es verdiente wegen ſeiner natuͤrlichen Einfalt und ungekuͤnſtelten obgleich nachdruͤcklichen Erzehlung von unſern neuangehenden Scribenten geleſen zu werden. Unter andern hat mich die Fabel von dem Hunde, der nach dem Fleiſche im Schat- ten ſchnappet, geſchickt erzehlet beduͤnket: Man liſet von ainem Hunde Der trug in ſeinem Munde Ain ſtúk flaiſch das was groß Des ſein geſchlechte nie verdroß An ainen bach trug in ſin weg Do vand er weder brugg noch ſteg Do was weder ſchiff noch man Ze fuß ſo muſt er úber gan Do er kam fer in den bach Den ſchatten er des flaiſches ſach Das er in ſeinem munde trug Er ſprach ich hette wol genug Moecht ich das Stuck zu dieſem han Vil ſchier er ginen began Vnd

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/48>, abgerufen am 16.04.2024.