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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von den poetischen Zeiten
glück hat obiger Dichter Erzehlungen von Otteni-
ten, von Wolfdietrichen, von dem kleinen Rosen-
garten, und dem König Laurin, die Uebersetzung
der Verwandlungen des Ovidius, und Freydanks
moralisches Gedichte von der Bescheidenheit starck
getroffen. Wikram hat sich am meisten Frey-
heit mit ihnen genommen; und Burckard Wal-
dis hat eben dieses mit Pfinzings Theuerdanck
gethan, der doch von seinen Zeiten nicht gar weit
entfernt gewesen. Sebastian Brand selbst hat in
Freydancks Wercke die Sprache mehr geändert,
als es dienlich war; wiewohl er den Sachen und
Gedancken am wenigsten genommen hat.

Das ächteste, das wir aus dem Schwäbi-
schen Weltalter haben, sind Winsbeckes Gedich-
te, wovon uns Goldast und Schertz gute Auf-
lagen geliefert haben. Wir finden theils in den-
selbigen, theils in einzelen Zeilen, welche Goldast
hier und da angezogen hat, so ungekünstelte Ori-
ginale von den eigenen und ursprünglichen Sitten
der damahligen Deutschen, und diese werden mit
einer solchen Art und Kraft der Redensart, so wohl
durch Metaphern von den natürlichsten Gegenstän-
den, als durch einen glücklichen Schatz der Spra-
che, ausgedrücket, daß wir gnugsam daraus er-
kennen, daß der Character der damahligen Zei-
ten und Umständen eine Würkung seiner Na-
tur gemäß gethan, und sich in die Schriften er-
gossen habe. Wir haben Recht aus diesen weni-
gen guten Stücken, die uns übrig geblieben sind,
zu schliessen, daß noch so gute verlohren gegangen
seyn. Die Nachreue wegen dieses Verlustes wird

dadurch

Von den poetiſchen Zeiten
gluͤck hat obiger Dichter Erzehlungen von Otteni-
ten, von Wolfdietrichen, von dem kleinen Roſen-
garten, und dem Koͤnig Laurin, die Ueberſetzung
der Verwandlungen des Ovidius, und Freydanks
moraliſches Gedichte von der Beſcheidenheit ſtarck
getroffen. Wikram hat ſich am meiſten Frey-
heit mit ihnen genommen; und Burckard Wal-
dis hat eben dieſes mit Pfinzings Theuerdanck
gethan, der doch von ſeinen Zeiten nicht gar weit
entfernt geweſen. Sebaſtian Brand ſelbſt hat in
Freydancks Wercke die Sprache mehr geaͤndert,
als es dienlich war; wiewohl er den Sachen und
Gedancken am wenigſten genommen hat.

Das aͤchteſte, das wir aus dem Schwaͤbi-
ſchen Weltalter haben, ſind Winsbeckes Gedich-
te, wovon uns Goldaſt und Schertz gute Auf-
lagen geliefert haben. Wir finden theils in den-
ſelbigen, theils in einzelen Zeilen, welche Goldaſt
hier und da angezogen hat, ſo ungekuͤnſtelte Ori-
ginale von den eigenen und urſpruͤnglichen Sitten
der damahligen Deutſchen, und dieſe werden mit
einer ſolchen Art und Kraft der Redensart, ſo wohl
durch Metaphern von den natuͤrlichſten Gegenſtaͤn-
den, als durch einen gluͤcklichen Schatz der Spra-
che, ausgedruͤcket, daß wir gnugſam daraus er-
kennen, daß der Character der damahligen Zei-
ten und Umſtaͤnden eine Wuͤrkung ſeiner Na-
tur gemaͤß gethan, und ſich in die Schriften er-
goſſen habe. Wir haben Recht aus dieſen weni-
gen guten Stuͤcken, die uns uͤbrig geblieben ſind,
zu ſchlieſſen, daß noch ſo gute verlohren gegangen
ſeyn. Die Nachreue wegen dieſes Verluſtes wird

dadurch
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[34/0034] Von den poetiſchen Zeiten gluͤck hat obiger Dichter Erzehlungen von Otteni- ten, von Wolfdietrichen, von dem kleinen Roſen- garten, und dem Koͤnig Laurin, die Ueberſetzung der Verwandlungen des Ovidius, und Freydanks moraliſches Gedichte von der Beſcheidenheit ſtarck getroffen. Wikram hat ſich am meiſten Frey- heit mit ihnen genommen; und Burckard Wal- dis hat eben dieſes mit Pfinzings Theuerdanck gethan, der doch von ſeinen Zeiten nicht gar weit entfernt geweſen. Sebaſtian Brand ſelbſt hat in Freydancks Wercke die Sprache mehr geaͤndert, als es dienlich war; wiewohl er den Sachen und Gedancken am wenigſten genommen hat. Das aͤchteſte, das wir aus dem Schwaͤbi- ſchen Weltalter haben, ſind Winsbeckes Gedich- te, wovon uns Goldaſt und Schertz gute Auf- lagen geliefert haben. Wir finden theils in den- ſelbigen, theils in einzelen Zeilen, welche Goldaſt hier und da angezogen hat, ſo ungekuͤnſtelte Ori- ginale von den eigenen und urſpruͤnglichen Sitten der damahligen Deutſchen, und dieſe werden mit einer ſolchen Art und Kraft der Redensart, ſo wohl durch Metaphern von den natuͤrlichſten Gegenſtaͤn- den, als durch einen gluͤcklichen Schatz der Spra- che, ausgedruͤcket, daß wir gnugſam daraus er- kennen, daß der Character der damahligen Zei- ten und Umſtaͤnden eine Wuͤrkung ſeiner Na- tur gemaͤß gethan, und ſich in die Schriften er- goſſen habe. Wir haben Recht aus dieſen weni- gen guten Stuͤcken, die uns uͤbrig geblieben ſind, zu ſchlieſſen, daß noch ſo gute verlohren gegangen ſeyn. Die Nachreue wegen dieſes Verluſtes wird dadurch

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/34>, abgerufen am 29.03.2024.