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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von den glücklichen Umständen
einheimischen Krieges, wo die Gesetze schweigen;
und doch bey allem dem Jammer und der Ver-
wirrung, welche dieses gröste Uebel begleiten, ist
die Zeit, da es wüthet, ein bequemerer Stof für
ein episches Gedichte, als der rühmlichste Feldzug,
der jemahls in Flandern gemachet worden. Eben
die Dinge, die in einer eingerichteten Regierung
den grösten Ruhm bringen, die grössesten Ehren
und höchsten Bedienungen, werden sich schwerlich
für die Poesie schicken; die Muse weigert sich
ihren Zierrath an die Patenten eines Herzogs,
oder die Commission eines Generals zu wenden.
Diese können weder in Verwunderung setzen, noch
das Hertz einnehmen: Denn Friede, Harmonie,
und gute Ordnung, welche ein Volck glückselig
machen, sind Gift für ein Gedichte, welches durch
Ueberraschen und Verwunderung lebet.

Die Wohlfarth eines Volckes beschneidet dem-
nach seinen Poeten die Flügel. Sie giebt wenig
Stof für die Verwunderuug, oder das Mitlei-
den an die Hand. Aber wie, kan ein Poet nicht
dichten? Kan er nicht Sitten nachmachen, und
Begegnisse ersinnen, wie er es gutfindet. Jst er
nicht genugsam berechtiget, Scenen zu eröffnen,
und Leute und Sitten nach Belieben aufzuführen.
Lasset ihn nur sein Vorrecht ausüben, so wird es
ihm gerathen, unsre Sitten werden ihn nicht hin-
dern, er kan seinen neuen Geschöpfen eine Form
und Gestalt geben, welche er will.

Allein, wiewohl dieses viel zu versprechen scheint,
so darf ich doch sagen, daß ein Poet nichts glük-
licher beschreibt, als was er selbst gesehen, und

daß

Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden
einheimiſchen Krieges, wo die Geſetze ſchweigen;
und doch bey allem dem Jammer und der Ver-
wirrung, welche dieſes groͤſte Uebel begleiten, iſt
die Zeit, da es wuͤthet, ein bequemerer Stof fuͤr
ein epiſches Gedichte, als der ruͤhmlichſte Feldzug,
der jemahls in Flandern gemachet worden. Eben
die Dinge, die in einer eingerichteten Regierung
den groͤſten Ruhm bringen, die groͤſſeſten Ehren
und hoͤchſten Bedienungen, werden ſich ſchwerlich
fuͤr die Poeſie ſchicken; die Muſe weigert ſich
ihren Zierrath an die Patenten eines Herzogs,
oder die Commiſſion eines Generals zu wenden.
Dieſe koͤnnen weder in Verwunderung ſetzen, noch
das Hertz einnehmen: Denn Friede, Harmonie,
und gute Ordnung, welche ein Volck gluͤckſelig
machen, ſind Gift fuͤr ein Gedichte, welches durch
Ueberraſchen und Verwunderung lebet.

Die Wohlfarth eines Volckes beſchneidet dem-
nach ſeinen Poeten die Fluͤgel. Sie giebt wenig
Stof fuͤr die Verwunderuug, oder das Mitlei-
den an die Hand. Aber wie, kan ein Poet nicht
dichten? Kan er nicht Sitten nachmachen, und
Begegniſſe erſinnen, wie er es gutfindet. Jſt er
nicht genugſam berechtiget, Scenen zu eroͤffnen,
und Leute und Sitten nach Belieben aufzufuͤhren.
Laſſet ihn nur ſein Vorrecht ausuͤben, ſo wird es
ihm gerathen, unſre Sitten werden ihn nicht hin-
dern, er kan ſeinen neuen Geſchoͤpfen eine Form
und Geſtalt geben, welche er will.

Allein, wiewohl dieſes viel zu verſprechen ſcheint,
ſo darf ich doch ſagen, daß ein Poet nichts gluͤk-
licher beſchreibt, als was er ſelbſt geſehen, und

daß
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[12/0012] Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden einheimiſchen Krieges, wo die Geſetze ſchweigen; und doch bey allem dem Jammer und der Ver- wirrung, welche dieſes groͤſte Uebel begleiten, iſt die Zeit, da es wuͤthet, ein bequemerer Stof fuͤr ein epiſches Gedichte, als der ruͤhmlichſte Feldzug, der jemahls in Flandern gemachet worden. Eben die Dinge, die in einer eingerichteten Regierung den groͤſten Ruhm bringen, die groͤſſeſten Ehren und hoͤchſten Bedienungen, werden ſich ſchwerlich fuͤr die Poeſie ſchicken; die Muſe weigert ſich ihren Zierrath an die Patenten eines Herzogs, oder die Commiſſion eines Generals zu wenden. Dieſe koͤnnen weder in Verwunderung ſetzen, noch das Hertz einnehmen: Denn Friede, Harmonie, und gute Ordnung, welche ein Volck gluͤckſelig machen, ſind Gift fuͤr ein Gedichte, welches durch Ueberraſchen und Verwunderung lebet. Die Wohlfarth eines Volckes beſchneidet dem- nach ſeinen Poeten die Fluͤgel. Sie giebt wenig Stof fuͤr die Verwunderuug, oder das Mitlei- den an die Hand. Aber wie, kan ein Poet nicht dichten? Kan er nicht Sitten nachmachen, und Begegniſſe erſinnen, wie er es gutfindet. Jſt er nicht genugſam berechtiget, Scenen zu eroͤffnen, und Leute und Sitten nach Belieben aufzufuͤhren. Laſſet ihn nur ſein Vorrecht ausuͤben, ſo wird es ihm gerathen, unſre Sitten werden ihn nicht hin- dern, er kan ſeinen neuen Geſchoͤpfen eine Form und Geſtalt geben, welche er will. Allein, wiewohl dieſes viel zu verſprechen ſcheint, ſo darf ich doch ſagen, daß ein Poet nichts gluͤk- licher beſchreibt, als was er ſelbſt geſehen, und daß

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/12>, abgerufen am 18.04.2024.