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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von den deutschen Poeten.
muth sagen, und das, was wir thun, mit gu-
ter Art thun. Es ist die geschickte Wahl, das
feine Wesen, das scharfsinnige Urtheil, kurtz
etwas nicht genug bestimmtes, das unsren Ge-
dancken und Begriffen eine gewisse Zierlichkeit
mittheilet; das auszieret, was die Vernunft
erfindet, und ausschmücket, was der Verstand
hervorbringt.

Aber es ist nicht genug, daß man erkläre,
was Geist sey, es giebt verschiedene Arten die-
ses Geistes, welche man von einander, oder
besser zu sagen, von etwas, das ihm ähnlich ist,
unterscheiden muß. Es ist eine Art rauhes Gei-
stes, von welchem die platten und eckelhaften
Possen und Zoten entstehen, die doch auch ge-
wissen Leuten angenehm sind, welche selbst nur
diese Geistesart besitzen. Diese ist derjenigen
gantz ungleich, welche die Franzosen haben wol-
len, und die ich oben erklärt habe.

Unter dem rauhen und dem feinen Geist herr-
schet der Unterschied, daß jener die Miltze, und
dieser das Hertz rühret; jener das wilde Geläch-
ter, dieser die Verwunderung erwecket; der
erste einen Augenblick Lust machet, hernach Ver-
druß verursachet, da hingegen der andere ein
reines und desto gründlicheres Ergetzen mit sich
führet. Da nun die grossen Herren in Deutsch-
land auf diese lezte Eigenschaft nicht viel hal-
ten, so erforschet auch niemand sich selber, ob
er nicht etwa dieselbe von der gütigen Natur em-
pfangen habe; man streitet nur um den Vor-
zug, wer die plattesten Pritschmeisterpossen sa-

gen

von den deutſchen Poeten.
muth ſagen, und das, was wir thun, mit gu-
ter Art thun. Es iſt die geſchickte Wahl, das
feine Weſen, das ſcharfſinnige Urtheil, kurtz
etwas nicht genug beſtimmtes, das unſren Ge-
dancken und Begriffen eine gewiſſe Zierlichkeit
mittheilet; das auszieret, was die Vernunft
erfindet, und ausſchmuͤcket, was der Verſtand
hervorbringt.

Aber es iſt nicht genug, daß man erklaͤre,
was Geiſt ſey, es giebt verſchiedene Arten die-
ſes Geiſtes, welche man von einander, oder
beſſer zu ſagen, von etwas, das ihm aͤhnlich iſt,
unterſcheiden muß. Es iſt eine Art rauhes Gei-
ſtes, von welchem die platten und eckelhaften
Poſſen und Zoten entſtehen, die doch auch ge-
wiſſen Leuten angenehm ſind, welche ſelbſt nur
dieſe Geiſtesart beſitzen. Dieſe iſt derjenigen
gantz ungleich, welche die Franzoſen haben wol-
len, und die ich oben erklaͤrt habe.

Unter dem rauhen und dem feinen Geiſt herr-
ſchet der Unterſchied, daß jener die Miltze, und
dieſer das Hertz ruͤhret; jener das wilde Gelaͤch-
ter, dieſer die Verwunderung erwecket; der
erſte einen Augenblick Luſt machet, hernach Ver-
druß verurſachet, da hingegen der andere ein
reines und deſto gruͤndlicheres Ergetzen mit ſich
fuͤhret. Da nun die groſſen Herren in Deutſch-
land auf dieſe lezte Eigenſchaft nicht viel hal-
ten, ſo erforſchet auch niemand ſich ſelber, ob
er nicht etwa dieſelbe von der guͤtigen Natur em-
pfangen habe; man ſtreitet nur um den Vor-
zug, wer die platteſten Pritſchmeiſterpoſſen ſa-

gen
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[45/0045] von den deutſchen Poeten. muth ſagen, und das, was wir thun, mit gu- ter Art thun. Es iſt die geſchickte Wahl, das feine Weſen, das ſcharfſinnige Urtheil, kurtz etwas nicht genug beſtimmtes, das unſren Ge- dancken und Begriffen eine gewiſſe Zierlichkeit mittheilet; das auszieret, was die Vernunft erfindet, und ausſchmuͤcket, was der Verſtand hervorbringt. Aber es iſt nicht genug, daß man erklaͤre, was Geiſt ſey, es giebt verſchiedene Arten die- ſes Geiſtes, welche man von einander, oder beſſer zu ſagen, von etwas, das ihm aͤhnlich iſt, unterſcheiden muß. Es iſt eine Art rauhes Gei- ſtes, von welchem die platten und eckelhaften Poſſen und Zoten entſtehen, die doch auch ge- wiſſen Leuten angenehm ſind, welche ſelbſt nur dieſe Geiſtesart beſitzen. Dieſe iſt derjenigen gantz ungleich, welche die Franzoſen haben wol- len, und die ich oben erklaͤrt habe. Unter dem rauhen und dem feinen Geiſt herr- ſchet der Unterſchied, daß jener die Miltze, und dieſer das Hertz ruͤhret; jener das wilde Gelaͤch- ter, dieſer die Verwunderung erwecket; der erſte einen Augenblick Luſt machet, hernach Ver- druß verurſachet, da hingegen der andere ein reines und deſto gruͤndlicheres Ergetzen mit ſich fuͤhret. Da nun die groſſen Herren in Deutſch- land auf dieſe lezte Eigenſchaft nicht viel hal- ten, ſo erforſchet auch niemand ſich ſelber, ob er nicht etwa dieſelbe von der guͤtigen Natur em- pfangen habe; man ſtreitet nur um den Vor- zug, wer die platteſten Pritſchmeiſterpoſſen ſa- gen

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/45>, abgerufen am 16.04.2024.