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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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Mauvillons Brief
gen ein bekannter Beschützer aller geistreichen
Männer war, die er auch von den Pritschmei-
stern wohl zu unterscheiden wußte. Aber der
Geschmack der Deutschen Fürsten ist überhaupt
so beschaffen, daß sie zwey Dinge, die an Art
so verschieden sind, mit einander vermischen,
und sich nur das schmecken lassen, was unter den
Wercken des Geistes am ungesaltzensten und mat-
testen ist.

Jn Franckreich liebet man das, was der Witz
feines und leckeres hat; nur dadurch kan man
sich hervorthun. Wer nur Geist hat, ist bey al-
len Franzosen willkommen, und kan sie nur vor
seine Gönner ansehen. Er hat keinen andern
Titel nöthig, als daß er ein geistreicher Kopf
sey, so wird ihm jedermann wohlgewogen wer-
den. Das ist der Geschmack der französischen
Nation überhaupt; und niemand wird meines
Bedunckens so unvernünftig seyn, und ihm nicht
den Vorzug vor dem Geschmacke der Deutschen
geben; denn es ist gewiß, daß man nichts ge-
schicktes ausrichten kan, wenn man es ohne
Geist vornimmt. Die gelehrtesten Wercke tau-
gen nichts, wenn sie nicht mit Witze verfertiget
sind; und der gröste Lehrer wird nur ein verdrüß-
licher Schmierer seyn, wenn er seine Belesen-
heit ohne Geist auskramet; so wie der grösseste
Weltweise nur ein langweiliger Schwatzer seyn
wird, wenn er seine Schlußreden nicht mit Geist
würtzet, ob sie gleich sonst bündig sind. Der
Geist ist das Vermögen des Verstandes, das
macht, daß wir das, was wir sagen, mit An-

muth

Mauvillons Brief
gen ein bekannter Beſchuͤtzer aller geiſtreichen
Maͤnner war, die er auch von den Pritſchmei-
ſtern wohl zu unterſcheiden wußte. Aber der
Geſchmack der Deutſchen Fuͤrſten iſt uͤberhaupt
ſo beſchaffen, daß ſie zwey Dinge, die an Art
ſo verſchieden ſind, mit einander vermiſchen,
und ſich nur das ſchmecken laſſen, was unter den
Wercken des Geiſtes am ungeſaltzenſten und mat-
teſten iſt.

Jn Franckreich liebet man das, was der Witz
feines und leckeres hat; nur dadurch kan man
ſich hervorthun. Wer nur Geiſt hat, iſt bey al-
len Franzoſen willkommen, und kan ſie nur vor
ſeine Goͤnner anſehen. Er hat keinen andern
Titel noͤthig, als daß er ein geiſtreicher Kopf
ſey, ſo wird ihm jedermann wohlgewogen wer-
den. Das iſt der Geſchmack der franzoͤſiſchen
Nation uͤberhaupt; und niemand wird meines
Bedunckens ſo unvernuͤnftig ſeyn, und ihm nicht
den Vorzug vor dem Geſchmacke der Deutſchen
geben; denn es iſt gewiß, daß man nichts ge-
ſchicktes ausrichten kan, wenn man es ohne
Geiſt vornimmt. Die gelehrteſten Wercke tau-
gen nichts, wenn ſie nicht mit Witze verfertiget
ſind; und der groͤſte Lehrer wird nur ein verdruͤß-
licher Schmierer ſeyn, wenn er ſeine Beleſen-
heit ohne Geiſt auskramet; ſo wie der groͤſſeſte
Weltweiſe nur ein langweiliger Schwatzer ſeyn
wird, wenn er ſeine Schlußreden nicht mit Geiſt
wuͤrtzet, ob ſie gleich ſonſt buͤndig ſind. Der
Geiſt iſt das Vermoͤgen des Verſtandes, das
macht, daß wir das, was wir ſagen, mit An-

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[44/0044] Mauvillons Brief gen ein bekannter Beſchuͤtzer aller geiſtreichen Maͤnner war, die er auch von den Pritſchmei- ſtern wohl zu unterſcheiden wußte. Aber der Geſchmack der Deutſchen Fuͤrſten iſt uͤberhaupt ſo beſchaffen, daß ſie zwey Dinge, die an Art ſo verſchieden ſind, mit einander vermiſchen, und ſich nur das ſchmecken laſſen, was unter den Wercken des Geiſtes am ungeſaltzenſten und mat- teſten iſt. Jn Franckreich liebet man das, was der Witz feines und leckeres hat; nur dadurch kan man ſich hervorthun. Wer nur Geiſt hat, iſt bey al- len Franzoſen willkommen, und kan ſie nur vor ſeine Goͤnner anſehen. Er hat keinen andern Titel noͤthig, als daß er ein geiſtreicher Kopf ſey, ſo wird ihm jedermann wohlgewogen wer- den. Das iſt der Geſchmack der franzoͤſiſchen Nation uͤberhaupt; und niemand wird meines Bedunckens ſo unvernuͤnftig ſeyn, und ihm nicht den Vorzug vor dem Geſchmacke der Deutſchen geben; denn es iſt gewiß, daß man nichts ge- ſchicktes ausrichten kan, wenn man es ohne Geiſt vornimmt. Die gelehrteſten Wercke tau- gen nichts, wenn ſie nicht mit Witze verfertiget ſind; und der groͤſte Lehrer wird nur ein verdruͤß- licher Schmierer ſeyn, wenn er ſeine Beleſen- heit ohne Geiſt auskramet; ſo wie der groͤſſeſte Weltweiſe nur ein langweiliger Schwatzer ſeyn wird, wenn er ſeine Schlußreden nicht mit Geiſt wuͤrtzet, ob ſie gleich ſonſt buͤndig ſind. Der Geiſt iſt das Vermoͤgen des Verſtandes, das macht, daß wir das, was wir ſagen, mit An- muth

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/44>, abgerufen am 24.04.2024.