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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von den deutschen Poeten.

Jhr sehet also, zu was vor Posten man geistrei-
che Köpfe in Deutschland tüchtig hält, wiewohl
diejenige, die auf diesen Posten stehen, nicht
allemahl geistreiche Köpfe sind. Man muß es
bekennen, es giebt in Deutschland mehr Ge-
lehrte, als in vielen andern Ländern; aber geist-
reich zu seyn ist ihnen verboten, falls sie nicht
vor Narren angesehen seyn wollen. Ein geschick-
ter Professor, der in der gelehrten Welt wohl-
bekannt ist, wollte einmahl zeigen, daß er Geist
hätte. Sogleich foderte man von ihm, daß er
Hofnarr würde, und der Fürst nöthigte ihn mit
Gewalt dazu. Einer von meinen Freunden hat-
te Gedancken bey dieser Gelegenheit eine Comö-
die zu schreiben, die den Titel führen sollte: Der
Hofnarre wider seinen Willen.
Jch hintertrieb
es mit allen ersinnlichen Vorstellungen der Klug-
heit. Es ist hier nichts neues, daß ein Hofnarre,
der den Titel eines solchen führet, zugleich Pro-
fessor in der Philosophie, oder in der Beredt-
samkeit ist. Da die Wissenschaften auf diese
Weise entweihet und verhudelt werden, so ist
es nicht möglich, daß das Naturell keinen Scha-
den davon empfange, und daß man nicht mit
der Muttermilch eine unüberwindliche Abneigung
gegen die Wissenschaften, und alles, was geist-
reich ist, in sich sauge.

Jn Franckreich hat man dieses nicht zu befürch-
ten. Daselbst hält man den Geist hoch, wenn
er gleich der Gelehrsamkeit beraubet ist. Lude-
wig der vierzehnte war ein so grosser Feind der
Zotenreisser, und Lustigmacher, als er hinge-

gen
von den deutſchen Poeten.

Jhr ſehet alſo, zu was vor Poſten man geiſtrei-
che Koͤpfe in Deutſchland tuͤchtig haͤlt, wiewohl
diejenige, die auf dieſen Poſten ſtehen, nicht
allemahl geiſtreiche Koͤpfe ſind. Man muß es
bekennen, es giebt in Deutſchland mehr Ge-
lehrte, als in vielen andern Laͤndern; aber geiſt-
reich zu ſeyn iſt ihnen verboten, falls ſie nicht
vor Narren angeſehen ſeyn wollen. Ein geſchick-
ter Profeſſor, der in der gelehrten Welt wohl-
bekannt iſt, wollte einmahl zeigen, daß er Geiſt
haͤtte. Sogleich foderte man von ihm, daß er
Hofnarr wuͤrde, und der Fuͤrſt noͤthigte ihn mit
Gewalt dazu. Einer von meinen Freunden hat-
te Gedancken bey dieſer Gelegenheit eine Comoͤ-
die zu ſchreiben, die den Titel fuͤhren ſollte: Der
Hofnarre wider ſeinen Willen.
Jch hintertrieb
es mit allen erſinnlichen Vorſtellungen der Klug-
heit. Es iſt hier nichts neues, daß ein Hofnarre,
der den Titel eines ſolchen fuͤhret, zugleich Pro-
feſſor in der Philoſophie, oder in der Beredt-
ſamkeit iſt. Da die Wiſſenſchaften auf dieſe
Weiſe entweihet und verhudelt werden, ſo iſt
es nicht moͤglich, daß das Naturell keinen Scha-
den davon empfange, und daß man nicht mit
der Muttermilch eine unuͤberwindliche Abneigung
gegen die Wiſſenſchaften, und alles, was geiſt-
reich iſt, in ſich ſauge.

Jn Franckreich hat man dieſes nicht zu befuͤrch-
ten. Daſelbſt haͤlt man den Geiſt hoch, wenn
er gleich der Gelehrſamkeit beraubet iſt. Lude-
wig der vierzehnte war ein ſo groſſer Feind der
Zotenreiſſer, und Luſtigmacher, als er hinge-

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[43/0043] von den deutſchen Poeten. Jhr ſehet alſo, zu was vor Poſten man geiſtrei- che Koͤpfe in Deutſchland tuͤchtig haͤlt, wiewohl diejenige, die auf dieſen Poſten ſtehen, nicht allemahl geiſtreiche Koͤpfe ſind. Man muß es bekennen, es giebt in Deutſchland mehr Ge- lehrte, als in vielen andern Laͤndern; aber geiſt- reich zu ſeyn iſt ihnen verboten, falls ſie nicht vor Narren angeſehen ſeyn wollen. Ein geſchick- ter Profeſſor, der in der gelehrten Welt wohl- bekannt iſt, wollte einmahl zeigen, daß er Geiſt haͤtte. Sogleich foderte man von ihm, daß er Hofnarr wuͤrde, und der Fuͤrſt noͤthigte ihn mit Gewalt dazu. Einer von meinen Freunden hat- te Gedancken bey dieſer Gelegenheit eine Comoͤ- die zu ſchreiben, die den Titel fuͤhren ſollte: Der Hofnarre wider ſeinen Willen. Jch hintertrieb es mit allen erſinnlichen Vorſtellungen der Klug- heit. Es iſt hier nichts neues, daß ein Hofnarre, der den Titel eines ſolchen fuͤhret, zugleich Pro- feſſor in der Philoſophie, oder in der Beredt- ſamkeit iſt. Da die Wiſſenſchaften auf dieſe Weiſe entweihet und verhudelt werden, ſo iſt es nicht moͤglich, daß das Naturell keinen Scha- den davon empfange, und daß man nicht mit der Muttermilch eine unuͤberwindliche Abneigung gegen die Wiſſenſchaften, und alles, was geiſt- reich iſt, in ſich ſauge. Jn Franckreich hat man dieſes nicht zu befuͤrch- ten. Daſelbſt haͤlt man den Geiſt hoch, wenn er gleich der Gelehrſamkeit beraubet iſt. Lude- wig der vierzehnte war ein ſo groſſer Feind der Zotenreiſſer, und Luſtigmacher, als er hinge- gen

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/43>, abgerufen am 28.03.2024.