Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

Mauvillons Brief
will: Man hat ihn getödet, so kan man wohl
sagen, man hat ihn abgethan. Die Lateiner
sagten: Man hat ihn kalt gemachet; und im
Deutschen bedient man sich dieses Ausdruckes
ebenfalls, und noch vieler andern, die eben das-
selbe sagen. Was der Deutsche ausdrücken kan,
das drückt er auf verschiedene Weise aus, und
darf weder die Puristen noch die spitzfündigen
Köpfe fürchten, die nichts als tadeln können,
und mehr auf dem halten, was in der Sprache
neu, als auf dem, was darinnen bequem und
brauchbar ist. Die Deutschen können in ihrer
Sprache ma Sororite sagen, wenn sie alle ihre
Brüder und Schwestern
andeuten wollen; ma
Valetterie,
wenn sie sagen wollen, alle meine
Knechte.
Nichts steht ihnen im Wege, daß sie
in dem gemeinen Umgange Wörter schmieden,
und niemand widersezt sich ihnen, statt daß un-
ter unsren Franzosen allemahl irgend ein kleiner
Hofmeister ist, der euch bey allen Redensarten
ins Wort fällt, euch zu erinnern, daß dieses
und jenes Wort dem herrschenden Gebrauche zu-
wider läuft.

Jn der deutschen Sprache geht es auch an,
so wohl als in der griechischen, daß man ein
Wort aus viel andern zusammensetzen, und die-
se zusammengesezten Wörter ohne Ende vermeh-
ren kan. Sie ist voller verkleinernder Wörter,
und es ist kaum ein Wort, aus welchem sie mit-
telst Zusetzung der Sylbe gen, oder lein, nicht
ein verkleinerndes machen könne. Wäre sie
bey allen diesen Vortheilen so sanft, so zierlich,

und

Mauvillons Brief
will: Man hat ihn getoͤdet, ſo kan man wohl
ſagen, man hat ihn abgethan. Die Lateiner
ſagten: Man hat ihn kalt gemachet; und im
Deutſchen bedient man ſich dieſes Ausdruckes
ebenfalls, und noch vieler andern, die eben daſ-
ſelbe ſagen. Was der Deutſche ausdruͤcken kan,
das druͤckt er auf verſchiedene Weiſe aus, und
darf weder die Puriſten noch die ſpitzfuͤndigen
Koͤpfe fuͤrchten, die nichts als tadeln koͤnnen,
und mehr auf dem halten, was in der Sprache
neu, als auf dem, was darinnen bequem und
brauchbar iſt. Die Deutſchen koͤnnen in ihrer
Sprache ma Sororité ſagen, wenn ſie alle ihre
Bruͤder und Schweſtern
andeuten wollen; ma
Valetterie,
wenn ſie ſagen wollen, alle meine
Knechte.
Nichts ſteht ihnen im Wege, daß ſie
in dem gemeinen Umgange Woͤrter ſchmieden,
und niemand widerſezt ſich ihnen, ſtatt daß un-
ter unſren Franzoſen allemahl irgend ein kleiner
Hofmeiſter iſt, der euch bey allen Redensarten
ins Wort faͤllt, euch zu erinnern, daß dieſes
und jenes Wort dem herrſchenden Gebrauche zu-
wider laͤuft.

Jn der deutſchen Sprache geht es auch an,
ſo wohl als in der griechiſchen, daß man ein
Wort aus viel andern zuſammenſetzen, und die-
ſe zuſammengeſezten Woͤrter ohne Ende vermeh-
ren kan. Sie iſt voller verkleinernder Woͤrter,
und es iſt kaum ein Wort, aus welchem ſie mit-
telſt Zuſetzung der Sylbe gen, oder lein, nicht
ein verkleinerndes machen koͤnne. Waͤre ſie
bey allen dieſen Vortheilen ſo ſanft, ſo zierlich,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="26"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Mauvillons Brief</hi></fw><lb/>
will: <hi rendition="#fr">Man hat ihn geto&#x0364;det,</hi> &#x017F;o kan man wohl<lb/>
&#x017F;agen, <hi rendition="#fr">man hat ihn abgethan.</hi> Die Lateiner<lb/>
&#x017F;agten: <hi rendition="#fr">Man hat ihn kalt gemachet;</hi> und im<lb/>
Deut&#x017F;chen bedient man &#x017F;ich die&#x017F;es Ausdruckes<lb/>
ebenfalls, und noch vieler andern, die eben da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe &#x017F;agen. Was der Deut&#x017F;che ausdru&#x0364;cken kan,<lb/>
das dru&#x0364;ckt er auf ver&#x017F;chiedene Wei&#x017F;e aus, und<lb/>
darf weder die Puri&#x017F;ten noch die &#x017F;pitzfu&#x0364;ndigen<lb/>
Ko&#x0364;pfe fu&#x0364;rchten, die nichts als tadeln ko&#x0364;nnen,<lb/>
und mehr auf dem halten, was in der Sprache<lb/>
neu, als auf dem, was darinnen bequem und<lb/>
brauchbar i&#x017F;t. Die Deut&#x017F;chen ko&#x0364;nnen in ihrer<lb/>
Sprache <hi rendition="#aq">ma Sororité</hi> &#x017F;agen, wenn &#x017F;ie <hi rendition="#fr">alle ihre<lb/>
Bru&#x0364;der und Schwe&#x017F;tern</hi> andeuten wollen; <hi rendition="#aq">ma<lb/>
Valetterie,</hi> wenn &#x017F;ie &#x017F;agen wollen, <hi rendition="#fr">alle meine<lb/>
Knechte.</hi> Nichts &#x017F;teht ihnen im Wege, daß &#x017F;ie<lb/>
in dem gemeinen Umgange Wo&#x0364;rter &#x017F;chmieden,<lb/>
und niemand wider&#x017F;ezt &#x017F;ich ihnen, &#x017F;tatt daß un-<lb/>
ter un&#x017F;ren Franzo&#x017F;en allemahl irgend ein kleiner<lb/>
Hofmei&#x017F;ter i&#x017F;t, der euch bey allen Redensarten<lb/>
ins Wort fa&#x0364;llt, euch zu erinnern, daß die&#x017F;es<lb/>
und jenes Wort dem herr&#x017F;chenden Gebrauche zu-<lb/>
wider la&#x0364;uft.</p><lb/>
          <p>Jn der deut&#x017F;chen Sprache geht es auch an,<lb/>
&#x017F;o wohl als in der griechi&#x017F;chen, daß man ein<lb/>
Wort aus viel andern zu&#x017F;ammen&#x017F;etzen, und die-<lb/>
&#x017F;e zu&#x017F;ammenge&#x017F;ezten Wo&#x0364;rter ohne Ende vermeh-<lb/>
ren kan. Sie i&#x017F;t voller verkleinernder Wo&#x0364;rter,<lb/>
und es i&#x017F;t kaum ein Wort, aus welchem &#x017F;ie mit-<lb/>
tel&#x017F;t Zu&#x017F;etzung der Sylbe <hi rendition="#fr">gen,</hi> oder lein, nicht<lb/>
ein verkleinerndes machen ko&#x0364;nne. Wa&#x0364;re &#x017F;ie<lb/>
bey allen die&#x017F;en Vortheilen &#x017F;o &#x017F;anft, &#x017F;o zierlich,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0026] Mauvillons Brief will: Man hat ihn getoͤdet, ſo kan man wohl ſagen, man hat ihn abgethan. Die Lateiner ſagten: Man hat ihn kalt gemachet; und im Deutſchen bedient man ſich dieſes Ausdruckes ebenfalls, und noch vieler andern, die eben daſ- ſelbe ſagen. Was der Deutſche ausdruͤcken kan, das druͤckt er auf verſchiedene Weiſe aus, und darf weder die Puriſten noch die ſpitzfuͤndigen Koͤpfe fuͤrchten, die nichts als tadeln koͤnnen, und mehr auf dem halten, was in der Sprache neu, als auf dem, was darinnen bequem und brauchbar iſt. Die Deutſchen koͤnnen in ihrer Sprache ma Sororité ſagen, wenn ſie alle ihre Bruͤder und Schweſtern andeuten wollen; ma Valetterie, wenn ſie ſagen wollen, alle meine Knechte. Nichts ſteht ihnen im Wege, daß ſie in dem gemeinen Umgange Woͤrter ſchmieden, und niemand widerſezt ſich ihnen, ſtatt daß un- ter unſren Franzoſen allemahl irgend ein kleiner Hofmeiſter iſt, der euch bey allen Redensarten ins Wort faͤllt, euch zu erinnern, daß dieſes und jenes Wort dem herrſchenden Gebrauche zu- wider laͤuft. Jn der deutſchen Sprache geht es auch an, ſo wohl als in der griechiſchen, daß man ein Wort aus viel andern zuſammenſetzen, und die- ſe zuſammengeſezten Woͤrter ohne Ende vermeh- ren kan. Sie iſt voller verkleinernder Woͤrter, und es iſt kaum ein Wort, aus welchem ſie mit- telſt Zuſetzung der Sylbe gen, oder lein, nicht ein verkleinerndes machen koͤnne. Waͤre ſie bey allen dieſen Vortheilen ſo ſanft, ſo zierlich, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/26
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/26>, abgerufen am 29.03.2024.