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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
angeschlagen werden. Daher hat der Stat nicht allein, wie
in dem übrigen Privatrecht, die Pflicht, das Familienrecht zu
schützen und zu erhalten, sondern er hat zugleich ein hohes
Interesse, so viel bei ihm steht, die Gesundheit des Familien-
lebens zu fördern und zu erhalten. Es ist zwar seine Macht
hier eine geringe -- eben weil die Familie keine Statsinsti-
tution ist -- meistens auch nur eine mittelbar wirkende; in
einigen Beziehungen aber kann und darf der Stat wohl die
individuelle Willkür beschränken:

I. Mit Bezug auf die Ehe:

1. Die politisch höher gebildeten Völker legen alle einen
entschiedenen Werth auf die Monogamie. Mehrere Männer
verwirren sogar die Abstammung, mehrere Frauen bringen
Zwietracht in die Familie. Die volle Einheit der Ehe ist nur
gedenkbar in der Einigung eines Mannes und einer Frau.
Die Zweiheit der Geschlechter, in welche die Menschheit ge-
theilt ist, wird in der Monogamie zur Einheit verbunden.
Eine Mehrheit von Ehegenossen entspricht daher weder der
Natur, noch der sittlichen Idee. Daher soll der Stat sie nicht
dulden. Als die gallischen Bischöfe gegen die Doppelehen
der Merowingischen Könige eiferten, und nicht nachlieszen,
bis dieselben auf das alte Privilegium germanischer Fürsten,
mehrere Frauen zu halten, verzichteten, vertheidigten sie
nicht blosz ein christliches, sondern zugleich ein statliches
Princip
. Die Monogamie hebt die Frau zu voller Genossen-
schaft mit dem Manne empor und die erhobenen Frauen ver-
edeln hinwieder die Männer. Die Polygamie dagegen drückt
die Frauen zu bloszen Werkzeugen der sinnlichen Lust der
Männer nieder, und die ungebildeten entwürdigten Frauen
ziehen hinwieder die Männer abwärts. Die Monogamie ist
der Vorzug der europäischen und der christlichen Nationen.
Die Polygamie ist das Erbübel vieler orientalischer Nationen.

2. Eine würdige Auffassung des rechtlichen Ver-
hältnisses der Ehegatten
ist nicht minder wichtig.


Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
angeschlagen werden. Daher hat der Stat nicht allein, wie
in dem übrigen Privatrecht, die Pflicht, das Familienrecht zu
schützen und zu erhalten, sondern er hat zugleich ein hohes
Interesse, so viel bei ihm steht, die Gesundheit des Familien-
lebens zu fördern und zu erhalten. Es ist zwar seine Macht
hier eine geringe — eben weil die Familie keine Statsinsti-
tution ist — meistens auch nur eine mittelbar wirkende; in
einigen Beziehungen aber kann und darf der Stat wohl die
individuelle Willkür beschränken:

I. Mit Bezug auf die Ehe:

1. Die politisch höher gebildeten Völker legen alle einen
entschiedenen Werth auf die Monogamie. Mehrere Männer
verwirren sogar die Abstammung, mehrere Frauen bringen
Zwietracht in die Familie. Die volle Einheit der Ehe ist nur
gedenkbar in der Einigung eines Mannes und einer Frau.
Die Zweiheit der Geschlechter, in welche die Menschheit ge-
theilt ist, wird in der Monogamie zur Einheit verbunden.
Eine Mehrheit von Ehegenossen entspricht daher weder der
Natur, noch der sittlichen Idee. Daher soll der Stat sie nicht
dulden. Als die gallischen Bischöfe gegen die Doppelehen
der Merowingischen Könige eiferten, und nicht nachlieszen,
bis dieselben auf das alte Privilegium germanischer Fürsten,
mehrere Frauen zu halten, verzichteten, vertheidigten sie
nicht blosz ein christliches, sondern zugleich ein statliches
Princip
. Die Monogamie hebt die Frau zu voller Genossen-
schaft mit dem Manne empor und die erhobenen Frauen ver-
edeln hinwieder die Männer. Die Polygamie dagegen drückt
die Frauen zu bloszen Werkzeugen der sinnlichen Lust der
Männer nieder, und die ungebildeten entwürdigten Frauen
ziehen hinwieder die Männer abwärts. Die Monogamie ist
der Vorzug der europäischen und der christlichen Nationen.
Die Polygamie ist das Erbübel vieler orientalischer Nationen.

2. Eine würdige Auffassung des rechtlichen Ver-
hältnisses der Ehegatten
ist nicht minder wichtig.


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[220/0238] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. angeschlagen werden. Daher hat der Stat nicht allein, wie in dem übrigen Privatrecht, die Pflicht, das Familienrecht zu schützen und zu erhalten, sondern er hat zugleich ein hohes Interesse, so viel bei ihm steht, die Gesundheit des Familien- lebens zu fördern und zu erhalten. Es ist zwar seine Macht hier eine geringe — eben weil die Familie keine Statsinsti- tution ist — meistens auch nur eine mittelbar wirkende; in einigen Beziehungen aber kann und darf der Stat wohl die individuelle Willkür beschränken: I. Mit Bezug auf die Ehe: 1. Die politisch höher gebildeten Völker legen alle einen entschiedenen Werth auf die Monogamie. Mehrere Männer verwirren sogar die Abstammung, mehrere Frauen bringen Zwietracht in die Familie. Die volle Einheit der Ehe ist nur gedenkbar in der Einigung eines Mannes und einer Frau. Die Zweiheit der Geschlechter, in welche die Menschheit ge- theilt ist, wird in der Monogamie zur Einheit verbunden. Eine Mehrheit von Ehegenossen entspricht daher weder der Natur, noch der sittlichen Idee. Daher soll der Stat sie nicht dulden. Als die gallischen Bischöfe gegen die Doppelehen der Merowingischen Könige eiferten, und nicht nachlieszen, bis dieselben auf das alte Privilegium germanischer Fürsten, mehrere Frauen zu halten, verzichteten, vertheidigten sie nicht blosz ein christliches, sondern zugleich ein statliches Princip. Die Monogamie hebt die Frau zu voller Genossen- schaft mit dem Manne empor und die erhobenen Frauen ver- edeln hinwieder die Männer. Die Polygamie dagegen drückt die Frauen zu bloszen Werkzeugen der sinnlichen Lust der Männer nieder, und die ungebildeten entwürdigten Frauen ziehen hinwieder die Männer abwärts. Die Monogamie ist der Vorzug der europäischen und der christlichen Nationen. Die Polygamie ist das Erbübel vieler orientalischer Nationen. 2. Eine würdige Auffassung des rechtlichen Ver- hältnisses der Ehegatten ist nicht minder wichtig.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/238>, abgerufen am 24.04.2024.