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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen.

8) Die groszen Gutsbesitzer, die nicht zur Aristo-
kratie gehören.

Eine höhere Erziehung und Bildung -- wenn auch nicht
nothwendig die Bildung, welche die Universität und polytech-
nischen Schulen verbreiten -- ist für die Bestimmung dieser
Classe ein wesentliches Moment, und eine behaglichere Stel-
lung im Leben, welche auch für öffentliche Geschäfte Musze
gewährt, eine gewöhnliche Eigenschaft derselben. Die Wähl-
barkeit zu Statsämtern setzt regelmäszig Universitätsbildung
voraus, und die erhöhte Fähigkeit der Mitglieder dieser Classe,
an den Verhandlungen repräsentativer Körper Theil zu neh-
men, begründet meistens, wenn nicht durch besondere Ge-
setze Vorsorge getroffen wird, ein Uebergewicht derselben in
den Nationalversammlungen und gesetzgebenden Kammern.

In dem jetzigen Statsleben ist diese Classe meistens die
einfluszreichste und in dem gewöhnlichen Gang des öffent-
lichen Lebens geht sie voran. Die öffentliche Meinung ist
regelmäszig die Meinung dieser Classe. Sie läszt sich auch,
obwohl nun Bildung, Vermögen und Beruf entscheiden
und die Abstammung von Eltern desselben Standes nicht
mehr als nothwendiges Erfordernisz gilt, füglich mit dem
alten Stande der Vollfreien oder der mittelalterlichen Mit-
telfreien
vergleichen. Wie dieser im alten State die Grund-
lage des politisch berechtigten Volkes gewesen war, so wer-
den die Gebildeten vorzüglich bei der heutigen Organisation
des Stats berücksichtigt und mehr noch bei der thatsäch-
lichen Besetzung der Aemter und der Stellen, denen die
öffentlichen Angelegenheiten anvertraut sind.

4. Die groszen Volksclassen, der sogenannte vierte
Stand
und das Proletariat.

Wir fassen in der vierten Classe die ganze grosze Masse
des Volks zusammen, die nicht zu den drei oberen Classen
gehören, und die man zuweilen auch "das Volk" im eng-
sten Sinne nennt.


Bluntschli, allgemeine Statslehre. 14
Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen.

8) Die groszen Gutsbesitzer, die nicht zur Aristo-
kratie gehören.

Eine höhere Erziehung und Bildung — wenn auch nicht
nothwendig die Bildung, welche die Universität und polytech-
nischen Schulen verbreiten — ist für die Bestimmung dieser
Classe ein wesentliches Moment, und eine behaglichere Stel-
lung im Leben, welche auch für öffentliche Geschäfte Musze
gewährt, eine gewöhnliche Eigenschaft derselben. Die Wähl-
barkeit zu Statsämtern setzt regelmäszig Universitätsbildung
voraus, und die erhöhte Fähigkeit der Mitglieder dieser Classe,
an den Verhandlungen repräsentativer Körper Theil zu neh-
men, begründet meistens, wenn nicht durch besondere Ge-
setze Vorsorge getroffen wird, ein Uebergewicht derselben in
den Nationalversammlungen und gesetzgebenden Kammern.

In dem jetzigen Statsleben ist diese Classe meistens die
einfluszreichste und in dem gewöhnlichen Gang des öffent-
lichen Lebens geht sie voran. Die öffentliche Meinung ist
regelmäszig die Meinung dieser Classe. Sie läszt sich auch,
obwohl nun Bildung, Vermögen und Beruf entscheiden
und die Abstammung von Eltern desselben Standes nicht
mehr als nothwendiges Erfordernisz gilt, füglich mit dem
alten Stande der Vollfreien oder der mittelalterlichen Mit-
telfreien
vergleichen. Wie dieser im alten State die Grund-
lage des politisch berechtigten Volkes gewesen war, so wer-
den die Gebildeten vorzüglich bei der heutigen Organisation
des Stats berücksichtigt und mehr noch bei der thatsäch-
lichen Besetzung der Aemter und der Stellen, denen die
öffentlichen Angelegenheiten anvertraut sind.

4. Die groszen Volksclassen, der sogenannte vierte
Stand
und das Proletariat.

Wir fassen in der vierten Classe die ganze grosze Masse
des Volks zusammen, die nicht zu den drei oberen Classen
gehören, und die man zuweilen auch „das Volk“ im eng-
sten Sinne nennt.


Bluntschli, allgemeine Statslehre. 14
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[209/0227] Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen. 8) Die groszen Gutsbesitzer, die nicht zur Aristo- kratie gehören. Eine höhere Erziehung und Bildung — wenn auch nicht nothwendig die Bildung, welche die Universität und polytech- nischen Schulen verbreiten — ist für die Bestimmung dieser Classe ein wesentliches Moment, und eine behaglichere Stel- lung im Leben, welche auch für öffentliche Geschäfte Musze gewährt, eine gewöhnliche Eigenschaft derselben. Die Wähl- barkeit zu Statsämtern setzt regelmäszig Universitätsbildung voraus, und die erhöhte Fähigkeit der Mitglieder dieser Classe, an den Verhandlungen repräsentativer Körper Theil zu neh- men, begründet meistens, wenn nicht durch besondere Ge- setze Vorsorge getroffen wird, ein Uebergewicht derselben in den Nationalversammlungen und gesetzgebenden Kammern. In dem jetzigen Statsleben ist diese Classe meistens die einfluszreichste und in dem gewöhnlichen Gang des öffent- lichen Lebens geht sie voran. Die öffentliche Meinung ist regelmäszig die Meinung dieser Classe. Sie läszt sich auch, obwohl nun Bildung, Vermögen und Beruf entscheiden und die Abstammung von Eltern desselben Standes nicht mehr als nothwendiges Erfordernisz gilt, füglich mit dem alten Stande der Vollfreien oder der mittelalterlichen Mit- telfreien vergleichen. Wie dieser im alten State die Grund- lage des politisch berechtigten Volkes gewesen war, so wer- den die Gebildeten vorzüglich bei der heutigen Organisation des Stats berücksichtigt und mehr noch bei der thatsäch- lichen Besetzung der Aemter und der Stellen, denen die öffentlichen Angelegenheiten anvertraut sind. 4. Die groszen Volksclassen, der sogenannte vierte Stand und das Proletariat. Wir fassen in der vierten Classe die ganze grosze Masse des Volks zusammen, die nicht zu den drei oberen Classen gehören, und die man zuweilen auch „das Volk“ im eng- sten Sinne nennt. Bluntschli, allgemeine Statslehre. 14

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/227>, abgerufen am 29.03.2024.