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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebenzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. I. Das Princip.
noch wünschenswerth, dasz Classen und Stände zusammen treffen.
Wenn sie zusammen fallen, so ist die ständische Ordnung zur
Statsordnung erhoben, wie wir das zum Theil im Mittelalter
finden. Damit ist aber auch die ständische Gebundenheit und die
Spaltung des Stats unvermeidlich mitbegründet. Die ständischen
Interessen und die ständischen Vorurtheile bekommen, weil sie
zugleich politische Macht erhalten, allzu leicht das Ueber-
gewicht über die allgemeinen Volksinteressen und die bessere
Volkseinsicht. Wenn dagegen einzelne Classen die Stände
durchschneiden und Bruchtheile aus verschiedenen Ständen
zusammen fassen, so ist das eine schätzbare Garantie der
nationalen Gemeinschaft und des höheren politischen Lebens,
welches eine vielseitigere Anregung empfängt.

Sehr oft sind die Classen je nach der Grösze des Ver-
mögens unterschieden worden. Es ist das die Censusver-
fassung
. Dadurch wird aber das Vermögen zu der wichtig-
sten politischen Potenz erklärt und der Werth der Bürger für
den Stat nach der Zahl der Geldstücke abgestuft, über welche
sie verfügen, was doch selten der Wahrheit entspricht. Auch
dieses Eintheilungsprincip ist doch wieder in erster Linie
wirthschaftlich und privatrechtlich, und nur in zweiter Linie
mittelbar statsrechtlich und politisch. Daher ist eine orga-
nische Eintheilung
, welche vorzugsweise die Fähigkeit
und Tauglichkeit für den Stat, soweit dieselbe überhaupt in
verschiedenen Abstufungen sichtbar wird, beachtet, jenem blos
mathematischen Princip vorzuziehen. Das aber richtig zu er-
kennen und zu bestimmen, ist eine schwere Aufgabe für den
Statsmann.

Im Groszen lassen sich für den modernen Stat haupt-
sächlich folgende vier Classen des Volks unterscheiden:

1) Die regierende Classe: Fürsten und Beamte, mit
obrigkeitlicher Gewalt. Ihre Stellung überragt alle anderen
Classen durch die Statsmacht, die in ihren Händen ist. Sie
stehen an der Spitze des Stats.


Siebenzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. I. Das Princip.
noch wünschenswerth, dasz Classen und Stände zusammen treffen.
Wenn sie zusammen fallen, so ist die ständische Ordnung zur
Statsordnung erhoben, wie wir das zum Theil im Mittelalter
finden. Damit ist aber auch die ständische Gebundenheit und die
Spaltung des Stats unvermeidlich mitbegründet. Die ständischen
Interessen und die ständischen Vorurtheile bekommen, weil sie
zugleich politische Macht erhalten, allzu leicht das Ueber-
gewicht über die allgemeinen Volksinteressen und die bessere
Volkseinsicht. Wenn dagegen einzelne Classen die Stände
durchschneiden und Bruchtheile aus verschiedenen Ständen
zusammen fassen, so ist das eine schätzbare Garantie der
nationalen Gemeinschaft und des höheren politischen Lebens,
welches eine vielseitigere Anregung empfängt.

Sehr oft sind die Classen je nach der Grösze des Ver-
mögens unterschieden worden. Es ist das die Censusver-
fassung
. Dadurch wird aber das Vermögen zu der wichtig-
sten politischen Potenz erklärt und der Werth der Bürger für
den Stat nach der Zahl der Geldstücke abgestuft, über welche
sie verfügen, was doch selten der Wahrheit entspricht. Auch
dieses Eintheilungsprincip ist doch wieder in erster Linie
wirthschaftlich und privatrechtlich, und nur in zweiter Linie
mittelbar statsrechtlich und politisch. Daher ist eine orga-
nische Eintheilung
, welche vorzugsweise die Fähigkeit
und Tauglichkeit für den Stat, soweit dieselbe überhaupt in
verschiedenen Abstufungen sichtbar wird, beachtet, jenem blos
mathematischen Princip vorzuziehen. Das aber richtig zu er-
kennen und zu bestimmen, ist eine schwere Aufgabe für den
Statsmann.

Im Groszen lassen sich für den modernen Stat haupt-
sächlich folgende vier Classen des Volks unterscheiden:

1) Die regierende Classe: Fürsten und Beamte, mit
obrigkeitlicher Gewalt. Ihre Stellung überragt alle anderen
Classen durch die Statsmacht, die in ihren Händen ist. Sie
stehen an der Spitze des Stats.


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[201/0219] Siebenzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. I. Das Princip. noch wünschenswerth, dasz Classen und Stände zusammen treffen. Wenn sie zusammen fallen, so ist die ständische Ordnung zur Statsordnung erhoben, wie wir das zum Theil im Mittelalter finden. Damit ist aber auch die ständische Gebundenheit und die Spaltung des Stats unvermeidlich mitbegründet. Die ständischen Interessen und die ständischen Vorurtheile bekommen, weil sie zugleich politische Macht erhalten, allzu leicht das Ueber- gewicht über die allgemeinen Volksinteressen und die bessere Volkseinsicht. Wenn dagegen einzelne Classen die Stände durchschneiden und Bruchtheile aus verschiedenen Ständen zusammen fassen, so ist das eine schätzbare Garantie der nationalen Gemeinschaft und des höheren politischen Lebens, welches eine vielseitigere Anregung empfängt. Sehr oft sind die Classen je nach der Grösze des Ver- mögens unterschieden worden. Es ist das die Censusver- fassung. Dadurch wird aber das Vermögen zu der wichtig- sten politischen Potenz erklärt und der Werth der Bürger für den Stat nach der Zahl der Geldstücke abgestuft, über welche sie verfügen, was doch selten der Wahrheit entspricht. Auch dieses Eintheilungsprincip ist doch wieder in erster Linie wirthschaftlich und privatrechtlich, und nur in zweiter Linie mittelbar statsrechtlich und politisch. Daher ist eine orga- nische Eintheilung, welche vorzugsweise die Fähigkeit und Tauglichkeit für den Stat, soweit dieselbe überhaupt in verschiedenen Abstufungen sichtbar wird, beachtet, jenem blos mathematischen Princip vorzuziehen. Das aber richtig zu er- kennen und zu bestimmen, ist eine schwere Aufgabe für den Statsmann. Im Groszen lassen sich für den modernen Stat haupt- sächlich folgende vier Classen des Volks unterscheiden: 1) Die regierende Classe: Fürsten und Beamte, mit obrigkeitlicher Gewalt. Ihre Stellung überragt alle anderen Classen durch die Statsmacht, die in ihren Händen ist. Sie stehen an der Spitze des Stats.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/219>, abgerufen am 19.04.2024.