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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechszehntes Capitel. 5. Die Sclaverei und ihre Aufhebung.
lassung als Wiederherstellung des natürlichen Rechtes. 2
Die römische Jurisprudenz wuszte das, und hielt dennoch mit
starrer Consequenz über ein Jahrtausend an dem gewaltsam
eingeführten Eigenthum über die Sclaven fest. Die kaiser-
lichen Verordnungen, dasz es den Herren nicht mehr gestattet
sei, ohne Masz und ohne Grund wider ihre Sclaven zu
wüthen, 3 schützten vor den Excessen roher Grausamkeit,
etwa so wie neuere Gesetze gegen die Thierquälerei gegeben
sind, sie änderten aber nichts an dem Grundbegriffe; und
nach wie vor war der Sclave nicht nur eigenthumslos, sondern
es waren ihm selbst die Rechte der Ehe und der Blutsver-
wandtschaft versagt.

Ebenso war es dem deutschen Rechtsbewusztsein klar,
dasz, wie der Verfasser des Sachsenspiegels 4 sich energisch
ausdrückt, alle Eigenschaft von Zwang, Gefangennehmung
und unrechtmäsziger Gewalt ihren Anfang genommen, und
dasz man später das für Recht ausgegeben habe, was nur
eine alte aber ungerechte Gewohnheit sei. Auch erkannten die
germanischen Völker von jeher eine relative Berech-
tigung
der Eigenen 5 an. Die Vermögens- und Familien-

2 Ulpianus L. 4. de Just. et Jure. "(Manumissio) a jure gentium
originem sumsit, utpote quum jure naturali omnes liberi nascerentur,
nec esset nota manumissio, quum servitus esset incognita; sed posteaquam
jure gentium servitus invasit, secutum est beneficium manumissionis."
3 Gajus L. 1. §. 2. de his qui sui vel alieni. "Sed hoc tempore
nullis hominibus, qui sub imperio Romano sunt, licet supra modum et
sine causa legibus cognita in servos suos saevire."
4 Sachsenspiegel III. §. 3: "An minen sinnen ne kan ik is nicht
upgenemen na der warheit, dat ieman des anderen sole sin, ok ne
hebbe wir's nen urkünde. §. 6. Na rechter warheit so hevet egenscap
begin von gedvange unde von vengnisse vnde von unrechter walt, die man
von aldere in unrechte wonheit getogen hevet unde nu vore recht heben wil."
5 Die Gleichstellung der Eigenen mit Hausthieren, die auch in deut-
schen Rechtsquellen gelegentlich gefunden wird, bezeichnet durchaus
nicht das Wesen des ältern Verhältnisses, das Tacitus mit scharfem
Kennerblick mehr dem römischen Colonat als der römischen Servitus
verglichen hat.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 13

Sechszehntes Capitel. 5. Die Sclaverei und ihre Aufhebung.
lassung als Wiederherstellung des natürlichen Rechtes. 2
Die römische Jurisprudenz wuszte das, und hielt dennoch mit
starrer Consequenz über ein Jahrtausend an dem gewaltsam
eingeführten Eigenthum über die Sclaven fest. Die kaiser-
lichen Verordnungen, dasz es den Herren nicht mehr gestattet
sei, ohne Masz und ohne Grund wider ihre Sclaven zu
wüthen, 3 schützten vor den Excessen roher Grausamkeit,
etwa so wie neuere Gesetze gegen die Thierquälerei gegeben
sind, sie änderten aber nichts an dem Grundbegriffe; und
nach wie vor war der Sclave nicht nur eigenthumslos, sondern
es waren ihm selbst die Rechte der Ehe und der Blutsver-
wandtschaft versagt.

Ebenso war es dem deutschen Rechtsbewusztsein klar,
dasz, wie der Verfasser des Sachsenspiegels 4 sich energisch
ausdrückt, alle Eigenschaft von Zwang, Gefangennehmung
und unrechtmäsziger Gewalt ihren Anfang genommen, und
dasz man später das für Recht ausgegeben habe, was nur
eine alte aber ungerechte Gewohnheit sei. Auch erkannten die
germanischen Völker von jeher eine relative Berech-
tigung
der Eigenen 5 an. Die Vermögens- und Familien-

2 Ulpianus L. 4. de Just. et Jure. „(Manumissio) a jure gentium
originem sumsit, utpote quum jure naturali omnes liberi nascerentur,
nec esset nota manumissio, quum servitus esset incognita; sed posteaquam
jure gentium servitus invasit, secutum est beneficium manumissionis.“
3 Gajus L. 1. §. 2. de his qui sui vel alieni. „Sed hoc tempore
nullis hominibus, qui sub imperio Romano sunt, licet supra modum et
sine causa legibus cognita in servos suos saevire.“
4 Sachsenspiegel III. §. 3: „An minen sinnen ne kan ik is nicht
upgenemen na der warheit, dat ieman des anderen sole sin, ok ne
hebbe wir's nen urkünde. §. 6. Na rechter warheit so hevet egenscap
begin von gedvange unde von vengnisse vnde von unrechter walt, die man
von aldere in unrechte wonheit getogen hevet unde nu vore recht heben wil.“
5 Die Gleichstellung der Eigenen mit Hausthieren, die auch in deut-
schen Rechtsquellen gelegentlich gefunden wird, bezeichnet durchaus
nicht das Wesen des ältern Verhältnisses, das Tacitus mit scharfem
Kennerblick mehr dem römischen Colonat als der römischen Servitus
verglichen hat.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 13
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[193/0211] Sechszehntes Capitel. 5. Die Sclaverei und ihre Aufhebung. lassung als Wiederherstellung des natürlichen Rechtes. 2 Die römische Jurisprudenz wuszte das, und hielt dennoch mit starrer Consequenz über ein Jahrtausend an dem gewaltsam eingeführten Eigenthum über die Sclaven fest. Die kaiser- lichen Verordnungen, dasz es den Herren nicht mehr gestattet sei, ohne Masz und ohne Grund wider ihre Sclaven zu wüthen, 3 schützten vor den Excessen roher Grausamkeit, etwa so wie neuere Gesetze gegen die Thierquälerei gegeben sind, sie änderten aber nichts an dem Grundbegriffe; und nach wie vor war der Sclave nicht nur eigenthumslos, sondern es waren ihm selbst die Rechte der Ehe und der Blutsver- wandtschaft versagt. Ebenso war es dem deutschen Rechtsbewusztsein klar, dasz, wie der Verfasser des Sachsenspiegels 4 sich energisch ausdrückt, alle Eigenschaft von Zwang, Gefangennehmung und unrechtmäsziger Gewalt ihren Anfang genommen, und dasz man später das für Recht ausgegeben habe, was nur eine alte aber ungerechte Gewohnheit sei. Auch erkannten die germanischen Völker von jeher eine relative Berech- tigung der Eigenen 5 an. Die Vermögens- und Familien- 2 Ulpianus L. 4. de Just. et Jure. „(Manumissio) a jure gentium originem sumsit, utpote quum jure naturali omnes liberi nascerentur, nec esset nota manumissio, quum servitus esset incognita; sed posteaquam jure gentium servitus invasit, secutum est beneficium manumissionis.“ 3 Gajus L. 1. §. 2. de his qui sui vel alieni. „Sed hoc tempore nullis hominibus, qui sub imperio Romano sunt, licet supra modum et sine causa legibus cognita in servos suos saevire.“ 4 Sachsenspiegel III. §. 3: „An minen sinnen ne kan ik is nicht upgenemen na der warheit, dat ieman des anderen sole sin, ok ne hebbe wir's nen urkünde. §. 6. Na rechter warheit so hevet egenscap begin von gedvange unde von vengnisse vnde von unrechter walt, die man von aldere in unrechte wonheit getogen hevet unde nu vore recht heben wil.“ 5 Die Gleichstellung der Eigenen mit Hausthieren, die auch in deut- schen Rechtsquellen gelegentlich gefunden wird, bezeichnet durchaus nicht das Wesen des ältern Verhältnisses, das Tacitus mit scharfem Kennerblick mehr dem römischen Colonat als der römischen Servitus verglichen hat. Bluntschli, allgemeine Statslehre. 13

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/211>, abgerufen am 18.04.2024.