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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Fünfzehntes Capitel. 4. Der Bauernstand.
den Boden knüpfte, und welcher den Vasallen ihren Lehens-
herren gegenüber gesicherte und dauerhafte Rechte an den
Beneficien verlieh, stärkte und befestigte auch die Rechte der
hofhörigen Bauern an den verliehenen Gütern, und bildete
das hofrechtliche Erbe und eine eigenthümliche patrimoniale
Gerichtsverfassung aus, an welcher auch die Bauern unter
Leitung ihrer Maires oder Meyer (villici majores) Theil
hatten. Gedrückter war wohl die Lage der französischen Serfs
und Vilains, als die der deutschen Hofleute und Grund-
holden
, wie schon die Sprache den Gegensatz andeutet, aber
immerhin ähnlich, und später als in Frankreich ging in
Deutschland die Entwicklung zu höherer Freiheit vor sich.
Doch standen auch in Frankreich die Coutumiers und
Roturiers, unter denen die Ostes (Hospites) als höhere
Classen berechtigter Bauern den Gemeinfreien ganz nahe.
In England dagegen erlangten die hörigen Leute nach der
groszen Pest 1348-49 wohl persönliche Freiheit, aber
ohne Grundbesitz. So wurde nicht ein Stand freier Bauern,
sondern freier Arbeiter geschaffen. 3

Diese bäuerliche Halbfreiheit bezog sich übrigens ge-
meiniglich nur auf das Privatrecht und auf die Gemeinde-
und Gerichtsverfassung.

Mit den freien Bauern, die unter die erbliche Vogtei-
herrschaft gerathen waren, und deren Güter nun auch man-
cherlei ewige Lasten zu Gunsten der "Herrn" zu tragen hatten,
schmolzen sie zu dem Einen sogenannten Bauernstande
zusammen.

Zu einem politischen Stand im vollen Sinn wurde
der Bauernstand nur ausnahmsweise in wenig Ländern, nur
da, wo er, wie in dem skandinavischen Norden die alte Ge-
meinfreiheit und die alte Verfassung glücklich behauptet hatte,
oder im Tyrol von den Landesfürsten zu den Landtagen zu-

3 Seebohm de la
reforme du Droit des Gens 1873. S. 63. f.

Fünfzehntes Capitel. 4. Der Bauernstand.
den Boden knüpfte, und welcher den Vasallen ihren Lehens-
herren gegenüber gesicherte und dauerhafte Rechte an den
Beneficien verlieh, stärkte und befestigte auch die Rechte der
hofhörigen Bauern an den verliehenen Gütern, und bildete
das hofrechtliche Erbe und eine eigenthümliche patrimoniale
Gerichtsverfassung aus, an welcher auch die Bauern unter
Leitung ihrer Maires oder Meyer (villici majores) Theil
hatten. Gedrückter war wohl die Lage der französischen Serfs
und Vilains, als die der deutschen Hofleute und Grund-
holden
, wie schon die Sprache den Gegensatz andeutet, aber
immerhin ähnlich, und später als in Frankreich ging in
Deutschland die Entwicklung zu höherer Freiheit vor sich.
Doch standen auch in Frankreich die Coutumiers und
Roturiers, unter denen die Ostes (Hospites) als höhere
Classen berechtigter Bauern den Gemeinfreien ganz nahe.
In England dagegen erlangten die hörigen Leute nach der
groszen Pest 1348-49 wohl persönliche Freiheit, aber
ohne Grundbesitz. So wurde nicht ein Stand freier Bauern,
sondern freier Arbeiter geschaffen. 3

Diese bäuerliche Halbfreiheit bezog sich übrigens ge-
meiniglich nur auf das Privatrecht und auf die Gemeinde-
und Gerichtsverfassung.

Mit den freien Bauern, die unter die erbliche Vogtei-
herrschaft gerathen waren, und deren Güter nun auch man-
cherlei ewige Lasten zu Gunsten der „Herrn“ zu tragen hatten,
schmolzen sie zu dem Einen sogenannten Bauernstande
zusammen.

Zu einem politischen Stand im vollen Sinn wurde
der Bauernstand nur ausnahmsweise in wenig Ländern, nur
da, wo er, wie in dem skandinavischen Norden die alte Ge-
meinfreiheit und die alte Verfassung glücklich behauptet hatte,
oder im Tyrol von den Landesfürsten zu den Landtagen zu-

3 Seebohm de la
réforme du Droit des Gens 1873. S. 63. f.
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[189/0207] Fünfzehntes Capitel. 4. Der Bauernstand. den Boden knüpfte, und welcher den Vasallen ihren Lehens- herren gegenüber gesicherte und dauerhafte Rechte an den Beneficien verlieh, stärkte und befestigte auch die Rechte der hofhörigen Bauern an den verliehenen Gütern, und bildete das hofrechtliche Erbe und eine eigenthümliche patrimoniale Gerichtsverfassung aus, an welcher auch die Bauern unter Leitung ihrer Maires oder Meyer (villici majores) Theil hatten. Gedrückter war wohl die Lage der französischen Serfs und Vilains, als die der deutschen Hofleute und Grund- holden, wie schon die Sprache den Gegensatz andeutet, aber immerhin ähnlich, und später als in Frankreich ging in Deutschland die Entwicklung zu höherer Freiheit vor sich. Doch standen auch in Frankreich die Coutumiers und Roturiers, unter denen die Ostes (Hospites) als höhere Classen berechtigter Bauern den Gemeinfreien ganz nahe. In England dagegen erlangten die hörigen Leute nach der groszen Pest 1348-49 wohl persönliche Freiheit, aber ohne Grundbesitz. So wurde nicht ein Stand freier Bauern, sondern freier Arbeiter geschaffen. 3 Diese bäuerliche Halbfreiheit bezog sich übrigens ge- meiniglich nur auf das Privatrecht und auf die Gemeinde- und Gerichtsverfassung. Mit den freien Bauern, die unter die erbliche Vogtei- herrschaft gerathen waren, und deren Güter nun auch man- cherlei ewige Lasten zu Gunsten der „Herrn“ zu tragen hatten, schmolzen sie zu dem Einen sogenannten Bauernstande zusammen. Zu einem politischen Stand im vollen Sinn wurde der Bauernstand nur ausnahmsweise in wenig Ländern, nur da, wo er, wie in dem skandinavischen Norden die alte Ge- meinfreiheit und die alte Verfassung glücklich behauptet hatte, oder im Tyrol von den Landesfürsten zu den Landtagen zu- 3 Seebohm de la réforme du Droit des Gens 1873. S. 63. f.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/207>, abgerufen am 28.03.2024.