Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
und nach den hörigen Bauern gleichgestellt, und beide Be-
standtheile unter dem gemeinsamen Namen der Bauerschaft
zusammengefaszt. Der alte Erbstand wurde somit in einen
Berufsstand umgewandelt, und die politischen Rechte des
Bauernstandes meistens sehr verkürzt. Nur ein Theil der
freien Bauern, meistens die gröszeren Grundeigenthümer,
stieg unter die neu erstandene Classe der Ritterschaft empor.

Ausnahmsweise nur, unter günstigen Verhältnissen, ge-
lang es einzelnen Gemeinden von Freien sowohl ihr freies
Eigen als ihre höhere politische Berechtigung vor den drohen-
den Gefahren des Mittelalters in die neuere Zeit hinüber zu
erhalten. Eines der merkwürdigsten Beispiele der Art ist die
Schwyzer Markgenossenschaft, welche den Impuls gegeben
hat zu der nach ihr benannten schweizerischen Freiheit.

Während so auf dem Lande die alte Freiheit gewöhnlich
niedergedrückt wurde und unterging, so wurden im Gegen-
satze während des Mittelalters die Städte zum Sitz einer
neuen Bürgerfreiheit.

Die Geschichte der Städte ist für die Entwicklung des
Begriffs der modernen Freiheit und des Bürgerthums von ent-
scheidendem Einflusse geworden. Beide Begriffe waren früher
städtische, bevor sie zu allgemeinen Statsbegriffen ge-
worden sind. Es bedurfte jahrhundertelanger Kämpfe und
Umwandlungen, bis das städtische Bürgerthum zu voller
Ausbildung gelangte, und wieder nach Jahrhunderten wurde
es zum Statsbürgerthum erweitert.

Die Mannichfaltigkeit und Gesondertheit des aus romani-
schen und mehr noch aus germanischen Wurzeln erwachsenen
Ständelebens, welches das Mittelalter vornehmlich charakteri-
sirt, spiegelte sich anfangs auch in den Städten wieder. Sie
zeigte sich gerade in den Städten, welche eine gröszere Be-
völkerung auf engem Raume zusammenfaszten, ursprünglich
in ihrer buntesten Gestalt. Da fanden sich, von denselben
Graben und Mauern umschlossen, oft beisammen:


Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
und nach den hörigen Bauern gleichgestellt, und beide Be-
standtheile unter dem gemeinsamen Namen der Bauerschaft
zusammengefaszt. Der alte Erbstand wurde somit in einen
Berufsstand umgewandelt, und die politischen Rechte des
Bauernstandes meistens sehr verkürzt. Nur ein Theil der
freien Bauern, meistens die gröszeren Grundeigenthümer,
stieg unter die neu erstandene Classe der Ritterschaft empor.

Ausnahmsweise nur, unter günstigen Verhältnissen, ge-
lang es einzelnen Gemeinden von Freien sowohl ihr freies
Eigen als ihre höhere politische Berechtigung vor den drohen-
den Gefahren des Mittelalters in die neuere Zeit hinüber zu
erhalten. Eines der merkwürdigsten Beispiele der Art ist die
Schwyzer Markgenossenschaft, welche den Impuls gegeben
hat zu der nach ihr benannten schweizerischen Freiheit.

Während so auf dem Lande die alte Freiheit gewöhnlich
niedergedrückt wurde und unterging, so wurden im Gegen-
satze während des Mittelalters die Städte zum Sitz einer
neuen Bürgerfreiheit.

Die Geschichte der Städte ist für die Entwicklung des
Begriffs der modernen Freiheit und des Bürgerthums von ent-
scheidendem Einflusse geworden. Beide Begriffe waren früher
städtische, bevor sie zu allgemeinen Statsbegriffen ge-
worden sind. Es bedurfte jahrhundertelanger Kämpfe und
Umwandlungen, bis das städtische Bürgerthum zu voller
Ausbildung gelangte, und wieder nach Jahrhunderten wurde
es zum Statsbürgerthum erweitert.

Die Mannichfaltigkeit und Gesondertheit des aus romani-
schen und mehr noch aus germanischen Wurzeln erwachsenen
Ständelebens, welches das Mittelalter vornehmlich charakteri-
sirt, spiegelte sich anfangs auch in den Städten wieder. Sie
zeigte sich gerade in den Städten, welche eine gröszere Be-
völkerung auf engem Raume zusammenfaszten, ursprünglich
in ihrer buntesten Gestalt. Da fanden sich, von denselben
Graben und Mauern umschlossen, oft beisammen:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="178"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.</fw><lb/>
und nach den hörigen Bauern gleichgestellt, und beide Be-<lb/>
standtheile unter dem gemeinsamen Namen der <hi rendition="#g">Bauerschaft</hi><lb/>
zusammengefaszt. Der alte <hi rendition="#g">Erbstand</hi> wurde somit in einen<lb/><hi rendition="#g">Berufsstand</hi> umgewandelt, und die politischen Rechte des<lb/>
Bauernstandes meistens sehr verkürzt. Nur ein Theil der<lb/>
freien Bauern, meistens die gröszeren Grundeigenthümer,<lb/>
stieg unter die neu erstandene Classe der Ritterschaft empor.</p><lb/>
          <p>Ausnahmsweise nur, unter günstigen Verhältnissen, ge-<lb/>
lang es einzelnen Gemeinden von Freien sowohl ihr freies<lb/>
Eigen als ihre höhere politische Berechtigung vor den drohen-<lb/>
den Gefahren des Mittelalters in die neuere Zeit hinüber zu<lb/>
erhalten. Eines der merkwürdigsten Beispiele der Art ist die<lb/>
Schwyzer Markgenossenschaft, welche den Impuls gegeben<lb/>
hat zu der nach ihr benannten schweizerischen Freiheit.</p><lb/>
          <p>Während so auf dem Lande die alte Freiheit gewöhnlich<lb/>
niedergedrückt wurde und unterging, so wurden im Gegen-<lb/>
satze während des Mittelalters die <hi rendition="#g">Städte</hi> zum Sitz einer<lb/><hi rendition="#g">neuen Bürgerfreiheit</hi>.</p><lb/>
          <p>Die Geschichte der Städte ist für die Entwicklung des<lb/>
Begriffs der modernen Freiheit und des Bürgerthums von ent-<lb/>
scheidendem Einflusse geworden. Beide Begriffe waren früher<lb/><hi rendition="#g">städtische</hi>, bevor sie zu allgemeinen <hi rendition="#g">Statsbegriffen</hi> ge-<lb/>
worden sind. Es bedurfte jahrhundertelanger Kämpfe und<lb/>
Umwandlungen, bis das <hi rendition="#g">städtische Bürgerthum</hi> zu voller<lb/>
Ausbildung gelangte, und wieder nach Jahrhunderten wurde<lb/>
es zum <hi rendition="#g">Statsbürgerthum</hi> erweitert.</p><lb/>
          <p>Die Mannichfaltigkeit und Gesondertheit des aus romani-<lb/>
schen und mehr noch aus germanischen Wurzeln erwachsenen<lb/>
Ständelebens, welches das Mittelalter vornehmlich charakteri-<lb/>
sirt, spiegelte sich anfangs auch in den Städten wieder. Sie<lb/>
zeigte sich gerade in den Städten, welche eine gröszere Be-<lb/>
völkerung auf engem Raume zusammenfaszten, ursprünglich<lb/>
in ihrer buntesten Gestalt. Da fanden sich, von denselben<lb/>
Graben und Mauern umschlossen, oft beisammen:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0196] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. und nach den hörigen Bauern gleichgestellt, und beide Be- standtheile unter dem gemeinsamen Namen der Bauerschaft zusammengefaszt. Der alte Erbstand wurde somit in einen Berufsstand umgewandelt, und die politischen Rechte des Bauernstandes meistens sehr verkürzt. Nur ein Theil der freien Bauern, meistens die gröszeren Grundeigenthümer, stieg unter die neu erstandene Classe der Ritterschaft empor. Ausnahmsweise nur, unter günstigen Verhältnissen, ge- lang es einzelnen Gemeinden von Freien sowohl ihr freies Eigen als ihre höhere politische Berechtigung vor den drohen- den Gefahren des Mittelalters in die neuere Zeit hinüber zu erhalten. Eines der merkwürdigsten Beispiele der Art ist die Schwyzer Markgenossenschaft, welche den Impuls gegeben hat zu der nach ihr benannten schweizerischen Freiheit. Während so auf dem Lande die alte Freiheit gewöhnlich niedergedrückt wurde und unterging, so wurden im Gegen- satze während des Mittelalters die Städte zum Sitz einer neuen Bürgerfreiheit. Die Geschichte der Städte ist für die Entwicklung des Begriffs der modernen Freiheit und des Bürgerthums von ent- scheidendem Einflusse geworden. Beide Begriffe waren früher städtische, bevor sie zu allgemeinen Statsbegriffen ge- worden sind. Es bedurfte jahrhundertelanger Kämpfe und Umwandlungen, bis das städtische Bürgerthum zu voller Ausbildung gelangte, und wieder nach Jahrhunderten wurde es zum Statsbürgerthum erweitert. Die Mannichfaltigkeit und Gesondertheit des aus romani- schen und mehr noch aus germanischen Wurzeln erwachsenen Ständelebens, welches das Mittelalter vornehmlich charakteri- sirt, spiegelte sich anfangs auch in den Städten wieder. Sie zeigte sich gerade in den Städten, welche eine gröszere Be- völkerung auf engem Raume zusammenfaszten, ursprünglich in ihrer buntesten Gestalt. Da fanden sich, von denselben Graben und Mauern umschlossen, oft beisammen:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/196
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/196>, abgerufen am 29.03.2024.