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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zwölftes Capitel. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. I. Herrenadel.
bekamen diese gräflichen Dynastien höheres Ansehen. Der
Form nach beruhte die Grafenwürde auf der Verleihung des
Königsbanns durch den König, dem Wesen nach war sie erb-
liche Landesherrschaft.

c) Daneben gab es eine Anzahl von groszen Allodial-
herrschaften
, deren Herrn wieder durch Immunitäten und
Verleihung von Hoheitsrechten eine den Grafen ähnliche Hoheit
und Gerichtsmacht erlangt hatten, die sogenannten freien
Herrn
(Barone).

Die Familien des alten Stammesadels, die nicht eine der-
artige Reichsstellung erwarben, konnten sich auf die Dauer
nicht als Glieder des hohen Reichsadels behaupten, sondern
verschwanden unter den übrigen Classen, vorzüglich des ritter-
schaftlichen Adels.

Dieser Reichsadel ist in seinen Häuptern hauptsächlich
durch zwei politische Rechte ausgezeichnet: 1) durch die
Landeshoheit; 2) durch die Reichsstandschaft. Er
ist also ein herrschender Stand im höchsten Sinn des
Worts, in den eigenen Ländern alleinherrschend, im Reiche
mitherrschend.

Dieser Zug nach Herrschaft ist charakteristisch für den
deutschen hohen Adel. Die Geschichte des deutschen Reiches
zeigt die unglücklichen Wirkungen dieses mächtigen Triebes,
welcher die angesehensten Geschlechter verführte, die Hoheit
des Kaiserthums den Anmaszungen des römischen Papstthums
Preis zu geben, das deutsche Königthum vollständig zu ent-
kräften und lahm zu legen, die nationale Einheit gänzlich
aufzulösen und deutsches Gebiet den Fremden dienstbar zu
machen. Diese schwere Verschuldung gegen das Gesammt-
vaterland und die Weltgeschichte wird nicht aufgewogen durch
die Blüthe der Höfe und der fürstlichen Residenzen und nicht
gut gemacht durch die veredelnden Werke der Cultur, welche
unter dem Schutz und mit der Förderung der Dynasten glück-
lich gediehen.


Zwölftes Capitel. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. I. Herrenadel.
bekamen diese gräflichen Dynastien höheres Ansehen. Der
Form nach beruhte die Grafenwürde auf der Verleihung des
Königsbanns durch den König, dem Wesen nach war sie erb-
liche Landesherrschaft.

c) Daneben gab es eine Anzahl von groszen Allodial-
herrschaften
, deren Herrn wieder durch Immunitäten und
Verleihung von Hoheitsrechten eine den Grafen ähnliche Hoheit
und Gerichtsmacht erlangt hatten, die sogenannten freien
Herrn
(Barone).

Die Familien des alten Stammesadels, die nicht eine der-
artige Reichsstellung erwarben, konnten sich auf die Dauer
nicht als Glieder des hohen Reichsadels behaupten, sondern
verschwanden unter den übrigen Classen, vorzüglich des ritter-
schaftlichen Adels.

Dieser Reichsadel ist in seinen Häuptern hauptsächlich
durch zwei politische Rechte ausgezeichnet: 1) durch die
Landeshoheit; 2) durch die Reichsstandschaft. Er
ist also ein herrschender Stand im höchsten Sinn des
Worts, in den eigenen Ländern alleinherrschend, im Reiche
mitherrschend.

Dieser Zug nach Herrschaft ist charakteristisch für den
deutschen hohen Adel. Die Geschichte des deutschen Reiches
zeigt die unglücklichen Wirkungen dieses mächtigen Triebes,
welcher die angesehensten Geschlechter verführte, die Hoheit
des Kaiserthums den Anmaszungen des römischen Papstthums
Preis zu geben, das deutsche Königthum vollständig zu ent-
kräften und lahm zu legen, die nationale Einheit gänzlich
aufzulösen und deutsches Gebiet den Fremden dienstbar zu
machen. Diese schwere Verschuldung gegen das Gesammt-
vaterland und die Weltgeschichte wird nicht aufgewogen durch
die Blüthe der Höfe und der fürstlichen Residenzen und nicht
gut gemacht durch die veredelnden Werke der Cultur, welche
unter dem Schutz und mit der Förderung der Dynasten glück-
lich gediehen.


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[165/0183] Zwölftes Capitel. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. I. Herrenadel. bekamen diese gräflichen Dynastien höheres Ansehen. Der Form nach beruhte die Grafenwürde auf der Verleihung des Königsbanns durch den König, dem Wesen nach war sie erb- liche Landesherrschaft. c) Daneben gab es eine Anzahl von groszen Allodial- herrschaften, deren Herrn wieder durch Immunitäten und Verleihung von Hoheitsrechten eine den Grafen ähnliche Hoheit und Gerichtsmacht erlangt hatten, die sogenannten freien Herrn (Barone). Die Familien des alten Stammesadels, die nicht eine der- artige Reichsstellung erwarben, konnten sich auf die Dauer nicht als Glieder des hohen Reichsadels behaupten, sondern verschwanden unter den übrigen Classen, vorzüglich des ritter- schaftlichen Adels. Dieser Reichsadel ist in seinen Häuptern hauptsächlich durch zwei politische Rechte ausgezeichnet: 1) durch die Landeshoheit; 2) durch die Reichsstandschaft. Er ist also ein herrschender Stand im höchsten Sinn des Worts, in den eigenen Ländern alleinherrschend, im Reiche mitherrschend. Dieser Zug nach Herrschaft ist charakteristisch für den deutschen hohen Adel. Die Geschichte des deutschen Reiches zeigt die unglücklichen Wirkungen dieses mächtigen Triebes, welcher die angesehensten Geschlechter verführte, die Hoheit des Kaiserthums den Anmaszungen des römischen Papstthums Preis zu geben, das deutsche Königthum vollständig zu ent- kräften und lahm zu legen, die nationale Einheit gänzlich aufzulösen und deutsches Gebiet den Fremden dienstbar zu machen. Diese schwere Verschuldung gegen das Gesammt- vaterland und die Weltgeschichte wird nicht aufgewogen durch die Blüthe der Höfe und der fürstlichen Residenzen und nicht gut gemacht durch die veredelnden Werke der Cultur, welche unter dem Schutz und mit der Förderung der Dynasten glück- lich gediehen.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/183>, abgerufen am 24.04.2024.