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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.

Als eine niedere Aristokratie bezeichnet er die vornehm-
lich durch Reichthum ausgezeichnete Ritterschaft, welche
in ähnlicher Weise aus den angesehenen Männern von zweitem
Range zu bilden sei. Damit auch die Söhne der Senatoren
fähig werden, den Rang der Väter später einzunehmen, fordert
er eine ihres Standes würdige Erziehung in den Wissenschaften
und den Waffen. 1

Die Geschichte des französischen Adels ist sehr
wechselreich. Wir können folgende Perioden unterscheiden,
von denen jede ihren besondern Charakter hat.

1. Der Merowingischen Zeit (481 bis 752) gehört
die Begründung des französischen Adels an. Auffallender
Weise sind die Spuren eines alten fränkischen Geschlechts-
adels
nur unsicher. Dagegen bildete sich damals ein persön-
licher Treuadel
aus, welcher seine Entstehung vorzugsweise
dem Verhältnisse zu dem Könige zu verdanken hatte. Es
mochten zwar die alten Adelsgeschlechter auch hier vorzugs-
weise bedacht worden sein. Aber auszer ihnen wurden auch
andere freie Franken und Germanen von dem Könige unter
die Antrustionen aufgenommen, und selbst Romanen er-
hielten als "Gäste des Königs" (convivae regis) ähnlichen
Rang. Es sind sogar die Beispiele nicht ganz selten, dasz
Personen von ganz niederer Geburt, vormalige Sclaven und
Hörige, zu den höchsten Aemtern im Reiche und daher unter
die Magnaten emporstiegen.

Dieser Adel war somit aus sehr gemischten Bestandtheilen
erwachsen. Er war mindestens in seiner Mehrheit, wie Schäff-
ner 2 näher nachgewiesen hat, kein Erb- sondern ein persön-
licher Dienstadel
, dem Könige durch den Eid der Treue
verbunden. Das erhöhte Wergeld, dessen er genosz, war ein
Zeichen und eine Folge der höheren Werthschätzung, die man
seinen Gliedern beilegte. Im übrigen hatte er wenig privat-

1 Dio Cass. 52.
2 Geschichte der Rechtsverfassung Frankreichs I. S. 217 fg.
Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.

Als eine niedere Aristokratie bezeichnet er die vornehm-
lich durch Reichthum ausgezeichnete Ritterschaft, welche
in ähnlicher Weise aus den angesehenen Männern von zweitem
Range zu bilden sei. Damit auch die Söhne der Senatoren
fähig werden, den Rang der Väter später einzunehmen, fordert
er eine ihres Standes würdige Erziehung in den Wissenschaften
und den Waffen. 1

Die Geschichte des französischen Adels ist sehr
wechselreich. Wir können folgende Perioden unterscheiden,
von denen jede ihren besondern Charakter hat.

1. Der Merowingischen Zeit (481 bis 752) gehört
die Begründung des französischen Adels an. Auffallender
Weise sind die Spuren eines alten fränkischen Geschlechts-
adels
nur unsicher. Dagegen bildete sich damals ein persön-
licher Treuadel
aus, welcher seine Entstehung vorzugsweise
dem Verhältnisse zu dem Könige zu verdanken hatte. Es
mochten zwar die alten Adelsgeschlechter auch hier vorzugs-
weise bedacht worden sein. Aber auszer ihnen wurden auch
andere freie Franken und Germanen von dem Könige unter
die Antrustionen aufgenommen, und selbst Romanen er-
hielten als „Gäste des Königs“ (convivae regis) ähnlichen
Rang. Es sind sogar die Beispiele nicht ganz selten, dasz
Personen von ganz niederer Geburt, vormalige Sclaven und
Hörige, zu den höchsten Aemtern im Reiche und daher unter
die Magnaten emporstiegen.

Dieser Adel war somit aus sehr gemischten Bestandtheilen
erwachsen. Er war mindestens in seiner Mehrheit, wie Schäff-
ner 2 näher nachgewiesen hat, kein Erb- sondern ein persön-
licher Dienstadel
, dem Könige durch den Eid der Treue
verbunden. Das erhöhte Wergeld, dessen er genosz, war ein
Zeichen und eine Folge der höheren Werthschätzung, die man
seinen Gliedern beilegte. Im übrigen hatte er wenig privat-

1 Dio Cass. 52.
2 Geschichte der Rechtsverfassung Frankreichs I. S. 217 fg.
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[143/0161] Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel. Als eine niedere Aristokratie bezeichnet er die vornehm- lich durch Reichthum ausgezeichnete Ritterschaft, welche in ähnlicher Weise aus den angesehenen Männern von zweitem Range zu bilden sei. Damit auch die Söhne der Senatoren fähig werden, den Rang der Väter später einzunehmen, fordert er eine ihres Standes würdige Erziehung in den Wissenschaften und den Waffen. 1 Die Geschichte des französischen Adels ist sehr wechselreich. Wir können folgende Perioden unterscheiden, von denen jede ihren besondern Charakter hat. 1. Der Merowingischen Zeit (481 bis 752) gehört die Begründung des französischen Adels an. Auffallender Weise sind die Spuren eines alten fränkischen Geschlechts- adels nur unsicher. Dagegen bildete sich damals ein persön- licher Treuadel aus, welcher seine Entstehung vorzugsweise dem Verhältnisse zu dem Könige zu verdanken hatte. Es mochten zwar die alten Adelsgeschlechter auch hier vorzugs- weise bedacht worden sein. Aber auszer ihnen wurden auch andere freie Franken und Germanen von dem Könige unter die Antrustionen aufgenommen, und selbst Romanen er- hielten als „Gäste des Königs“ (convivae regis) ähnlichen Rang. Es sind sogar die Beispiele nicht ganz selten, dasz Personen von ganz niederer Geburt, vormalige Sclaven und Hörige, zu den höchsten Aemtern im Reiche und daher unter die Magnaten emporstiegen. Dieser Adel war somit aus sehr gemischten Bestandtheilen erwachsen. Er war mindestens in seiner Mehrheit, wie Schäff- ner 2 näher nachgewiesen hat, kein Erb- sondern ein persön- licher Dienstadel, dem Könige durch den Eid der Treue verbunden. Das erhöhte Wergeld, dessen er genosz, war ein Zeichen und eine Folge der höheren Werthschätzung, die man seinen Gliedern beilegte. Im übrigen hatte er wenig privat- 1 Dio Cass. 52. 2 Geschichte der Rechtsverfassung Frankreichs I. S. 217 fg.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/161>, abgerufen am 28.03.2024.