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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Theil I. Von der Bestrafung der Verbrechen u. Vergehen im Allg.

An diese Uebersicht schließen sich folgende allgemeine Bemer-
kungen an.

I. Die Strafe der Verbrechen ist nicht nothwendig entehrend, wie
nach dem Rheinischen Recht; das Zuchthaus hat freilich immer den
Verlust der bürgerlichen Ehre zur Folge, aber die Todesstrafe nur aus-
nahmsweise, die Einschließung nie.

II. Die Verwandlung einer Freiheitsstrafe in eine andere findet
nur statt, wenn von den Geschworenen das Vorhandensein mildernder
Umstände festgestellt worden ist. Die Art der Freiheitsstrafen ist in
jedem Fall bestimmt angegeben, und dem Gericht nie eine Wahl zwi-
schen mehreren Freiheitsstrafen überlassen. Nur in bestimmten Fällen
kann vom Gericht zwischen Geldbuße und Gefängniß gewählt werden,
so daß die erstere die mildere Strafe ist, -- und zwar bei einigen Ver-
gehen regelmäßig, bei andern nur in Folge mildernder Umstände. Wo
diese letzteren eine Strafverwandlung herbeiführen, könnte man die Ein-
theilung der Strafen in ordentliche und außerordentliche anwen-
den; doch kennt das Gesetzbuch diese Bezeichnung nicht.

III. Auch auf die Nebenstrafen, namentlich auf die Konfiskation
einzelner Gegenstände, muß im Strafurtheile ausdrücklich erkannt werden.

IV. Die früheren Entwürfe nahmen bei Zumessung der Freiheits-
strafen Rücksicht auf die unverschuldete Untersuchungshaft; der Entwurf
von 1847. bestimmt hierüber

§. 18. "Wenn die Untersuchungshaft gegen einen Angeklagten
ohne sein Verschulden verhängt oder verlängert worden ist, so
kann hierauf bei einer demnächst zu erkennenden Freiheitsstrafe
oder Geldbuße dergestalt Rücksicht genommen werden, daß diese
Strafe durch jene Haft für ganz oder theilweise abgebüßt zu
erklären ist."

Diese Vorschrift ist nicht in das Gesetzbuch übergegangen, und es
fragt sich nun, ob dadurch jede Anrechnung der unverschuldeten Unter-
suchungshaft ausgeschlossen ist. Schon früher ist dieß Gegenstand nä-
herer Erwägung geworden, da eine ähnliche Bestimmung in dem Ent-
wurf von 1843. als überflüssig angefochten war. Dagegen erklärte sich
aber das Ministerium für die Gesetz-Revision. "Ohne besondere gesetz-
liche Erlaubniß kann der Richter weder unter das Strafminimum gehen,
wo ein solches fixirt ist, noch auch innerhalb der Strafskala bei Zu-
messung der Strafe Rücksicht auf unverschuldet erlittene Haft
nehmen." r)
-- Daß diese Ansicht, soweit ein Heruntergehen unter das Minimum

r) Revision des Entwurfs von 1843. I. S. 117.
Theil I. Von der Beſtrafung der Verbrechen u. Vergehen im Allg.

An dieſe Ueberſicht ſchließen ſich folgende allgemeine Bemer-
kungen an.

I. Die Strafe der Verbrechen iſt nicht nothwendig entehrend, wie
nach dem Rheiniſchen Recht; das Zuchthaus hat freilich immer den
Verluſt der bürgerlichen Ehre zur Folge, aber die Todesſtrafe nur aus-
nahmsweiſe, die Einſchließung nie.

II. Die Verwandlung einer Freiheitsſtrafe in eine andere findet
nur ſtatt, wenn von den Geſchworenen das Vorhandenſein mildernder
Umſtände feſtgeſtellt worden iſt. Die Art der Freiheitsſtrafen iſt in
jedem Fall beſtimmt angegeben, und dem Gericht nie eine Wahl zwi-
ſchen mehreren Freiheitsſtrafen überlaſſen. Nur in beſtimmten Fällen
kann vom Gericht zwiſchen Geldbuße und Gefängniß gewählt werden,
ſo daß die erſtere die mildere Strafe iſt, — und zwar bei einigen Ver-
gehen regelmäßig, bei andern nur in Folge mildernder Umſtände. Wo
dieſe letzteren eine Strafverwandlung herbeiführen, könnte man die Ein-
theilung der Strafen in ordentliche und außerordentliche anwen-
den; doch kennt das Geſetzbuch dieſe Bezeichnung nicht.

III. Auch auf die Nebenſtrafen, namentlich auf die Konfiskation
einzelner Gegenſtände, muß im Strafurtheile ausdrücklich erkannt werden.

IV. Die früheren Entwürfe nahmen bei Zumeſſung der Freiheits-
ſtrafen Rückſicht auf die unverſchuldete Unterſuchungshaft; der Entwurf
von 1847. beſtimmt hierüber

§. 18. „Wenn die Unterſuchungshaft gegen einen Angeklagten
ohne ſein Verſchulden verhängt oder verlängert worden iſt, ſo
kann hierauf bei einer demnächſt zu erkennenden Freiheitsſtrafe
oder Geldbuße dergeſtalt Rückſicht genommen werden, daß dieſe
Strafe durch jene Haft für ganz oder theilweiſe abgebüßt zu
erklären iſt.“

Dieſe Vorſchrift iſt nicht in das Geſetzbuch übergegangen, und es
fragt ſich nun, ob dadurch jede Anrechnung der unverſchuldeten Unter-
ſuchungshaft ausgeſchloſſen iſt. Schon früher iſt dieß Gegenſtand nä-
herer Erwägung geworden, da eine ähnliche Beſtimmung in dem Ent-
wurf von 1843. als überflüſſig angefochten war. Dagegen erklärte ſich
aber das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion. „Ohne beſondere geſetz-
liche Erlaubniß kann der Richter weder unter das Strafminimum gehen,
wo ein ſolches fixirt iſt, noch auch innerhalb der Strafſkala bei Zu-
meſſung der Strafe Rückſicht auf unverſchuldet erlittene Haft
nehmen.“ r)
— Daß dieſe Anſicht, ſoweit ein Heruntergehen unter das Minimum

r) Reviſion des Entwurfs von 1843. I. S. 117.
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[88/0098] Theil I. Von der Beſtrafung der Verbrechen u. Vergehen im Allg. An dieſe Ueberſicht ſchließen ſich folgende allgemeine Bemer- kungen an. I. Die Strafe der Verbrechen iſt nicht nothwendig entehrend, wie nach dem Rheiniſchen Recht; das Zuchthaus hat freilich immer den Verluſt der bürgerlichen Ehre zur Folge, aber die Todesſtrafe nur aus- nahmsweiſe, die Einſchließung nie. II. Die Verwandlung einer Freiheitsſtrafe in eine andere findet nur ſtatt, wenn von den Geſchworenen das Vorhandenſein mildernder Umſtände feſtgeſtellt worden iſt. Die Art der Freiheitsſtrafen iſt in jedem Fall beſtimmt angegeben, und dem Gericht nie eine Wahl zwi- ſchen mehreren Freiheitsſtrafen überlaſſen. Nur in beſtimmten Fällen kann vom Gericht zwiſchen Geldbuße und Gefängniß gewählt werden, ſo daß die erſtere die mildere Strafe iſt, — und zwar bei einigen Ver- gehen regelmäßig, bei andern nur in Folge mildernder Umſtände. Wo dieſe letzteren eine Strafverwandlung herbeiführen, könnte man die Ein- theilung der Strafen in ordentliche und außerordentliche anwen- den; doch kennt das Geſetzbuch dieſe Bezeichnung nicht. III. Auch auf die Nebenſtrafen, namentlich auf die Konfiskation einzelner Gegenſtände, muß im Strafurtheile ausdrücklich erkannt werden. IV. Die früheren Entwürfe nahmen bei Zumeſſung der Freiheits- ſtrafen Rückſicht auf die unverſchuldete Unterſuchungshaft; der Entwurf von 1847. beſtimmt hierüber §. 18. „Wenn die Unterſuchungshaft gegen einen Angeklagten ohne ſein Verſchulden verhängt oder verlängert worden iſt, ſo kann hierauf bei einer demnächſt zu erkennenden Freiheitsſtrafe oder Geldbuße dergeſtalt Rückſicht genommen werden, daß dieſe Strafe durch jene Haft für ganz oder theilweiſe abgebüßt zu erklären iſt.“ Dieſe Vorſchrift iſt nicht in das Geſetzbuch übergegangen, und es fragt ſich nun, ob dadurch jede Anrechnung der unverſchuldeten Unter- ſuchungshaft ausgeſchloſſen iſt. Schon früher iſt dieß Gegenſtand nä- herer Erwägung geworden, da eine ähnliche Beſtimmung in dem Ent- wurf von 1843. als überflüſſig angefochten war. Dagegen erklärte ſich aber das Miniſterium für die Geſetz-Reviſion. „Ohne beſondere geſetz- liche Erlaubniß kann der Richter weder unter das Strafminimum gehen, wo ein ſolches fixirt iſt, noch auch innerhalb der Strafſkala bei Zu- meſſung der Strafe Rückſicht auf unverſchuldet erlittene Haft nehmen.“ r) — Daß dieſe Anſicht, ſoweit ein Heruntergehen unter das Minimum r) Reviſion des Entwurfs von 1843. I. S. 117.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/98>, abgerufen am 19.04.2024.