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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. VIII. Vorsatz und Fahrlässigkeit.

"Zur Unterstützung meines Vorschlags muß ich noch auf die gro-
ßen Uebelstände aufmerksam machen, welche jeder Versuch einer nähe-
ren Bestimmung mit sich führen würde. Man könnte nämlich entweder
im Allgemeinen Theil, oder aber bei den einzelnen fahrlässigen Verbre-
chen eine besondere Vorsorge versuchen."

1) "Im Allgemeinen Theil die Fahrlässigkeit näher zu bestimmen
und zu begrenzen, würde als eine auffallende Inkonsequenz erscheinen,
nachdem man durch die sorgfältigste Erwägung bestimmt worden ist,
die Natur des Vorsatzes im Gesetz zu übergehen und dem richterlichen
Ermessen zu überlassen, obgleich der Vorsatz, verglichen mit der Fahr-
lässigkeit, an sich viel wichtiger, und obgleich die Natur desselben grö-
ßeren Mißverständnissen unterworfen ist."
2) "Es würde also nichts übrig bleiben, als eine nähere Bestim-
mung der strafbaren Fahrlässigkeit in folgenden einzelnen Paragraphen
auszusprechen:

§§. 126. 144. 158. 222. 237. 326. 327. 328. 329. 330. 332.
336. 341. k)

Ein solcher Zusatz müßte in allen Paragraphen gleichglautend gemacht
werden, weil außerdem neue Zweifel entstehen würden."

"Ein geehrtes Mitglied der Kommission hat vorgeschlagen, in allen
diesen Paragraphen zu setzen: grobe Fahrlässigkeit. Dadurch aber
würde der übel gewählte Ausdruck des Allg. Landrechts ohne inneren
Grund perpetuirt, und es würde zur Verhütung einer zu strengen Be-
handlung die Gefahr herbeigeführt werden, daß künftig der Richter bei
unbefangener und genauer Auffassung dieses Ausdrucks eine zu gelinde
Behandlung der Fahrlässigkeit eintreten lassen möchte."

"Für meinen Vorschlag kann endlich auch noch das Beispiel der
neueren deutschen Gesetzbücher angeführt werden. Kein einziges dersel-
ben giebt die grobe Fahrlässigkeit als Bedingung der Strafbarkeit über-
haupt an, und ebenso sucht keines auf andere Weise zu verhüten, daß
der Richter in der Annahme strafbarer Fahrlässigkeit überhaupt zu
strenge verfahren möge. Sie bezeichnen großentheils das Wesen der
strafbaren Fahrlässigkeit mit mehr oder weniger abwechselnden, umschrei-
benden Ausdrücken, welche gewiß weniger empfehlenswerth sind, als der
überall gleichförmig durchgeführte Ausdruck: Fahrlässigkeit."


k) Diesen Paragraphen des rev. Entwurfs von 1845. entsprechen die folgenden
des Strafgesetzbuchs: §. 95, (§. 144. ist nicht aufgenommen) 132, 184, 198, 308,
304, (§. 328. in veränderter Fassung als §. 307. aufgenommen) 301, 303, 302,
293, 288.
§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.

„Zur Unterſtützung meines Vorſchlags muß ich noch auf die gro-
ßen Uebelſtände aufmerkſam machen, welche jeder Verſuch einer nähe-
ren Beſtimmung mit ſich führen würde. Man könnte nämlich entweder
im Allgemeinen Theil, oder aber bei den einzelnen fahrläſſigen Verbre-
chen eine beſondere Vorſorge verſuchen.“

1) „Im Allgemeinen Theil die Fahrläſſigkeit näher zu beſtimmen
und zu begrenzen, würde als eine auffallende Inkonſequenz erſcheinen,
nachdem man durch die ſorgfältigſte Erwägung beſtimmt worden iſt,
die Natur des Vorſatzes im Geſetz zu übergehen und dem richterlichen
Ermeſſen zu überlaſſen, obgleich der Vorſatz, verglichen mit der Fahr-
läſſigkeit, an ſich viel wichtiger, und obgleich die Natur deſſelben grö-
ßeren Mißverſtändniſſen unterworfen iſt.“
2) „Es würde alſo nichts übrig bleiben, als eine nähere Beſtim-
mung der ſtrafbaren Fahrläſſigkeit in folgenden einzelnen Paragraphen
auszuſprechen:

§§. 126. 144. 158. 222. 237. 326. 327. 328. 329. 330. 332.
336. 341. k)

Ein ſolcher Zuſatz müßte in allen Paragraphen gleichglautend gemacht
werden, weil außerdem neue Zweifel entſtehen würden.“

„Ein geehrtes Mitglied der Kommiſſion hat vorgeſchlagen, in allen
dieſen Paragraphen zu ſetzen: grobe Fahrläſſigkeit. Dadurch aber
würde der übel gewählte Ausdruck des Allg. Landrechts ohne inneren
Grund perpetuirt, und es würde zur Verhütung einer zu ſtrengen Be-
handlung die Gefahr herbeigeführt werden, daß künftig der Richter bei
unbefangener und genauer Auffaſſung dieſes Ausdrucks eine zu gelinde
Behandlung der Fahrläſſigkeit eintreten laſſen möchte.“

„Für meinen Vorſchlag kann endlich auch noch das Beiſpiel der
neueren deutſchen Geſetzbücher angeführt werden. Kein einziges derſel-
ben giebt die grobe Fahrläſſigkeit als Bedingung der Strafbarkeit über-
haupt an, und ebenſo ſucht keines auf andere Weiſe zu verhüten, daß
der Richter in der Annahme ſtrafbarer Fahrläſſigkeit überhaupt zu
ſtrenge verfahren möge. Sie bezeichnen großentheils das Weſen der
ſtrafbaren Fahrläſſigkeit mit mehr oder weniger abwechſelnden, umſchrei-
benden Ausdrücken, welche gewiß weniger empfehlenswerth ſind, als der
überall gleichförmig durchgeführte Ausdruck: Fahrläſſigkeit.“


k) Dieſen Paragraphen des rev. Entwurfs von 1845. entſprechen die folgenden
des Strafgeſetzbuchs: §. 95, (§. 144. iſt nicht aufgenommen) 132, 184, 198, 308,
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293, 288.
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[55/0065] §. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit. „Zur Unterſtützung meines Vorſchlags muß ich noch auf die gro- ßen Uebelſtände aufmerkſam machen, welche jeder Verſuch einer nähe- ren Beſtimmung mit ſich führen würde. Man könnte nämlich entweder im Allgemeinen Theil, oder aber bei den einzelnen fahrläſſigen Verbre- chen eine beſondere Vorſorge verſuchen.“ 1) „Im Allgemeinen Theil die Fahrläſſigkeit näher zu beſtimmen und zu begrenzen, würde als eine auffallende Inkonſequenz erſcheinen, nachdem man durch die ſorgfältigſte Erwägung beſtimmt worden iſt, die Natur des Vorſatzes im Geſetz zu übergehen und dem richterlichen Ermeſſen zu überlaſſen, obgleich der Vorſatz, verglichen mit der Fahr- läſſigkeit, an ſich viel wichtiger, und obgleich die Natur deſſelben grö- ßeren Mißverſtändniſſen unterworfen iſt.“ 2) „Es würde alſo nichts übrig bleiben, als eine nähere Beſtim- mung der ſtrafbaren Fahrläſſigkeit in folgenden einzelnen Paragraphen auszuſprechen: §§. 126. 144. 158. 222. 237. 326. 327. 328. 329. 330. 332. 336. 341. k) Ein ſolcher Zuſatz müßte in allen Paragraphen gleichglautend gemacht werden, weil außerdem neue Zweifel entſtehen würden.“ „Ein geehrtes Mitglied der Kommiſſion hat vorgeſchlagen, in allen dieſen Paragraphen zu ſetzen: grobe Fahrläſſigkeit. Dadurch aber würde der übel gewählte Ausdruck des Allg. Landrechts ohne inneren Grund perpetuirt, und es würde zur Verhütung einer zu ſtrengen Be- handlung die Gefahr herbeigeführt werden, daß künftig der Richter bei unbefangener und genauer Auffaſſung dieſes Ausdrucks eine zu gelinde Behandlung der Fahrläſſigkeit eintreten laſſen möchte.“ „Für meinen Vorſchlag kann endlich auch noch das Beiſpiel der neueren deutſchen Geſetzbücher angeführt werden. Kein einziges derſel- ben giebt die grobe Fahrläſſigkeit als Bedingung der Strafbarkeit über- haupt an, und ebenſo ſucht keines auf andere Weiſe zu verhüten, daß der Richter in der Annahme ſtrafbarer Fahrläſſigkeit überhaupt zu ſtrenge verfahren möge. Sie bezeichnen großentheils das Weſen der ſtrafbaren Fahrläſſigkeit mit mehr oder weniger abwechſelnden, umſchrei- benden Ausdrücken, welche gewiß weniger empfehlenswerth ſind, als der überall gleichförmig durchgeführte Ausdruck: Fahrläſſigkeit.“ k) Dieſen Paragraphen des rev. Entwurfs von 1845. entſprechen die folgenden des Strafgeſetzbuchs: §. 95, (§. 144. iſt nicht aufgenommen) 132, 184, 198, 308, 304, (§. 328. in veränderter Faſſung als §. 307. aufgenommen) 301, 303, 302, 293, 288.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/65>, abgerufen am 25.04.2024.