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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
lässigkeit gar nicht bestrafen, wo nicht ein besonderes Gesetz auch diese
Bestrafung ausdrücklich vorschriebe."

"Mit dieser an sich natürlichen Auffassung stimmen denn auch fol-
gende Stellen des Kriminalrechts (Th. II. Tit. 20.) überein."

"In dem Abschnitt von Verbrechen und Strafen überhaupt wird
gesagt, daß ein Verbrechen aus Fahrlässigkeit stets anzunehmen
ist, wenn der Handelnde die Folgen der Handlung bei gehöriger Auf-
merksamkeit und Ueberlegung
hätte voraussehen können (§. 28.).
Diese Erklärung stimmt mit der oben angegebenen Erklärung des mä-
ßigen Versehens (durch gewöhnlichen Grad der Aufmerksamkeit zu
vermeiden) fast wörtlich überein, und es liegt also darin die Vorschrift,
daß der Richter schon das mäßige Versehen, um so mehr also das grobe
Versehen, als strafbare Fahrlässigkeit zu behandeln habe. Daß die Ver-
schiedenheit dieser beiden Fälle in der Abmessung der Strafe beachtet
werden soll, sagt der darauf folgende §. 29. -- Daß nun in der That
die Sache auf diese natürliche und einfache Weise aufgefaßt war, wird
noch durch den Umstand bestätigt, daß am Schluß des §. 28. auf Th. I.
Tit. 3. §. 25. hingewiesen wird, welcher bei fahrlässigen Verbrechen die
Berücksichtigung der Individualität des Handelnden vorschreibt, während
die diesem §. 25. vorhergehenden, von den drei Graden des Versehens
handelnden Paragraphen nicht allegirt werden. Es lag also nicht in
Absicht des Gesetzgebers, im Kriminalrecht von dieser subtilen Unterschei-
dung der drei Grade Gebrauch zu machen."

"Dieselbe Auffassung wird bestätigt durch die Vorschrift des §. 1558.
über die unvorsichtige Brandstiftung, worin der Fall der Strafbarkeit in
folgenden Worten bezeichnet wird:

""Wer außerdem durch Unvorsichtigkeit, oder Verabsäumung
der gewöhnlichen Sorgfalt
, zum Entstehen einer Feuers-
brunst Anlaß giebt.""

"Auch diese Bezeichnung stimmt fast buchstäblich überein mit der
Erklärung des mäßigen Versehens, welches bei einem gewöhnlichen
Grade von Aufmerksamkeit vermieden werden konnte."

"Dagegen ist allerdings nicht zu leugnen, daß in den Gesetzen
über Tödtung und Körperverletzung mehrere Stellen enthalten sind,
welche an der hier dargestellten Auffassung Zweifel erregen können."

"Dahin gehört zuerst folgende allgemeine Vorschrift:

§. 511. ""Auch grobe Fahrlässigkeit, wodurch jemand an Leib
und Leben beschädigt worden, zieht Strafe nach sich.""

"Damit stimmen überein die §§. 777. (aus grober Fahrlässigkeit) und
780. (durch grobe Vernachlässigung)."


Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
läſſigkeit gar nicht beſtrafen, wo nicht ein beſonderes Geſetz auch dieſe
Beſtrafung ausdrücklich vorſchriebe.“

„Mit dieſer an ſich natürlichen Auffaſſung ſtimmen denn auch fol-
gende Stellen des Kriminalrechts (Th. II. Tit. 20.) überein.“

„In dem Abſchnitt von Verbrechen und Strafen überhaupt wird
geſagt, daß ein Verbrechen aus Fahrläſſigkeit ſtets anzunehmen
iſt, wenn der Handelnde die Folgen der Handlung bei gehöriger Auf-
merkſamkeit und Ueberlegung
hätte vorausſehen können (§. 28.).
Dieſe Erklärung ſtimmt mit der oben angegebenen Erklärung des mä-
ßigen Verſehens (durch gewöhnlichen Grad der Aufmerkſamkeit zu
vermeiden) faſt wörtlich überein, und es liegt alſo darin die Vorſchrift,
daß der Richter ſchon das mäßige Verſehen, um ſo mehr alſo das grobe
Verſehen, als ſtrafbare Fahrläſſigkeit zu behandeln habe. Daß die Ver-
ſchiedenheit dieſer beiden Fälle in der Abmeſſung der Strafe beachtet
werden ſoll, ſagt der darauf folgende §. 29. — Daß nun in der That
die Sache auf dieſe natürliche und einfache Weiſe aufgefaßt war, wird
noch durch den Umſtand beſtätigt, daß am Schluß des §. 28. auf Th. I.
Tit. 3. §. 25. hingewieſen wird, welcher bei fahrläſſigen Verbrechen die
Berückſichtigung der Individualität des Handelnden vorſchreibt, während
die dieſem §. 25. vorhergehenden, von den drei Graden des Verſehens
handelnden Paragraphen nicht allegirt werden. Es lag alſo nicht in
Abſicht des Geſetzgebers, im Kriminalrecht von dieſer ſubtilen Unterſchei-
dung der drei Grade Gebrauch zu machen.“

„Dieſelbe Auffaſſung wird beſtätigt durch die Vorſchrift des §. 1558.
über die unvorſichtige Brandſtiftung, worin der Fall der Strafbarkeit in
folgenden Worten bezeichnet wird:

„„Wer außerdem durch Unvorſichtigkeit, oder Verabſäumung
der gewöhnlichen Sorgfalt
, zum Entſtehen einer Feuers-
brunſt Anlaß giebt.““

„Auch dieſe Bezeichnung ſtimmt faſt buchſtäblich überein mit der
Erklärung des mäßigen Verſehens, welches bei einem gewöhnlichen
Grade von Aufmerkſamkeit vermieden werden konnte.“

„Dagegen iſt allerdings nicht zu leugnen, daß in den Geſetzen
über Tödtung und Körperverletzung mehrere Stellen enthalten ſind,
welche an der hier dargeſtellten Auffaſſung Zweifel erregen können.“

„Dahin gehört zuerſt folgende allgemeine Vorſchrift:

§. 511. „„Auch grobe Fahrläſſigkeit, wodurch jemand an Leib
und Leben beſchädigt worden, zieht Strafe nach ſich.““

„Damit ſtimmen überein die §§. 777. (aus grober Fahrläſſigkeit) und
780. (durch grobe Vernachläſſigung).“


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[52/0062] Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen. läſſigkeit gar nicht beſtrafen, wo nicht ein beſonderes Geſetz auch dieſe Beſtrafung ausdrücklich vorſchriebe.“ „Mit dieſer an ſich natürlichen Auffaſſung ſtimmen denn auch fol- gende Stellen des Kriminalrechts (Th. II. Tit. 20.) überein.“ „In dem Abſchnitt von Verbrechen und Strafen überhaupt wird geſagt, daß ein Verbrechen aus Fahrläſſigkeit ſtets anzunehmen iſt, wenn der Handelnde die Folgen der Handlung bei gehöriger Auf- merkſamkeit und Ueberlegung hätte vorausſehen können (§. 28.). Dieſe Erklärung ſtimmt mit der oben angegebenen Erklärung des mä- ßigen Verſehens (durch gewöhnlichen Grad der Aufmerkſamkeit zu vermeiden) faſt wörtlich überein, und es liegt alſo darin die Vorſchrift, daß der Richter ſchon das mäßige Verſehen, um ſo mehr alſo das grobe Verſehen, als ſtrafbare Fahrläſſigkeit zu behandeln habe. Daß die Ver- ſchiedenheit dieſer beiden Fälle in der Abmeſſung der Strafe beachtet werden ſoll, ſagt der darauf folgende §. 29. — Daß nun in der That die Sache auf dieſe natürliche und einfache Weiſe aufgefaßt war, wird noch durch den Umſtand beſtätigt, daß am Schluß des §. 28. auf Th. I. Tit. 3. §. 25. hingewieſen wird, welcher bei fahrläſſigen Verbrechen die Berückſichtigung der Individualität des Handelnden vorſchreibt, während die dieſem §. 25. vorhergehenden, von den drei Graden des Verſehens handelnden Paragraphen nicht allegirt werden. Es lag alſo nicht in Abſicht des Geſetzgebers, im Kriminalrecht von dieſer ſubtilen Unterſchei- dung der drei Grade Gebrauch zu machen.“ „Dieſelbe Auffaſſung wird beſtätigt durch die Vorſchrift des §. 1558. über die unvorſichtige Brandſtiftung, worin der Fall der Strafbarkeit in folgenden Worten bezeichnet wird: „„Wer außerdem durch Unvorſichtigkeit, oder Verabſäumung der gewöhnlichen Sorgfalt, zum Entſtehen einer Feuers- brunſt Anlaß giebt.““ „Auch dieſe Bezeichnung ſtimmt faſt buchſtäblich überein mit der Erklärung des mäßigen Verſehens, welches bei einem gewöhnlichen Grade von Aufmerkſamkeit vermieden werden konnte.“ „Dagegen iſt allerdings nicht zu leugnen, daß in den Geſetzen über Tödtung und Körperverletzung mehrere Stellen enthalten ſind, welche an der hier dargeſtellten Auffaſſung Zweifel erregen können.“ „Dahin gehört zuerſt folgende allgemeine Vorſchrift: §. 511. „„Auch grobe Fahrläſſigkeit, wodurch jemand an Leib und Leben beſchädigt worden, zieht Strafe nach ſich.““ „Damit ſtimmen überein die §§. 777. (aus grober Fahrläſſigkeit) und 780. (durch grobe Vernachläſſigung).“

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/62>, abgerufen am 23.04.2024.