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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
nicht dadurch zur Hülfe, daß es, wie das Rheinische Recht, f) gewisse
Anhaltspunkte der Beurtheilung in Beispielen giebt, um den Begriff der
Fahrlässigkeit zur praktischen Anschauung zu bringen. Die im Jahre
1847. bei der Berathung des Strafgesetzbuchs hinzugezogenen Rheinischen
Juristen wünschten, namentlich im Interesse der Geschworenen, eine ge-
nauere Bestimmung in diesem Sinne; der von ihnen eingereichte Vor-
schlag ward aber in der Staatsraths-Kommission theils für überflüssig,
theils für bedenklich erachtet, und fand keine Billigung. g) Auch enthält
das Gesetzbuch in der That einige Andeutungen, welche darthun, daß es
weder das ganz geringe, schwer zu vermeidende Versehen, noch umge-
kehrt bloß die grobe Fahrlässigkeit bestraft wissen will. Dieß ergiebt
sich namentlich aus den Stellen, wo die Fahrlässigkeit überhaupt und
diejenige, welche durch Vernachlässigung besonderer Amts- und Berufs-
pflichten begangen wird, sich einander gegenübergestellt finden. Bei der
fahrlässigen Tödtung wird im Allgemeinen angenommen, daß der Thäter Auf-
merksamkeit oder Vorsicht aus den Augen gesetzt haben müsse, und wenn
er dazu besonders verpflichtet war, trifft ihn eine Verschärfung der Strafe;
aber eben das Amt, der Beruf oder das Gewerbe legen auch Pflichten
der Vorsorge auf, deren Vernachlässigung Anderen, die sich nicht in ei-
nem solchen Verhältniß befinden, nicht angerechnet wird. h)

Ueber diese Stellung der Fahrlässigkeit im Strafgesetzbuch, na-
mentlich den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts gegenüber, findet
sich ein Gutachten des Justizministers v. Savigny vom 11. März
1846, veranlaßt durch die Verhandlungen der Staatsraths-Kommission,
welches die Frage in einer so umfassenden und gründlichen Weise be-
handelt, daß eine vollständige Mittheilung desselben hier am Platze sein
wird. i)

"Das Allgemeine Landrecht stellt im 3. Titel des I. Theils §§. 16

f) Code penal art. 319. Quiconque, par maladresse, imprudence,
inattention, negligence ou inobservation des reglemens, aura commis invo-
lontairement un homicide, ou en aura involontairement ete la cause, sera
puni etc.
g) Der Vorschlag der Herren Jähnigen und Simons lautete: "In den Fäl-
len, in welchen das Strafgesetzbuch wegen fahrlässiger Vergehen Strafen bestimmt,
soll auf diese erkannt werden, wenn die unvorsätzlich verübte Handlung oder Unter-
lassung mit Nichtbeachtung bestehender Verordnungen, Ungeschicklichkeit, Unvorsichtigkeit
oder Nachlässigkeit verbunden gewesen ist." S. Fernere Verhandlungen der Kom-
mission des Staatsraths. (Berlin, 1847.) S. 35. 36. und Beilage S. 3 u. 20.
h) S. §. 184. vgl. mit §. 201-3. und §. 295.
i) S. Verhandlungen der Kommission des Staatsraths über den
revid. Entwurf des Strafgesetzbuchs. (Berlin, 1846.) S. 216-21.

Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
nicht dadurch zur Hülfe, daß es, wie das Rheiniſche Recht, f) gewiſſe
Anhaltspunkte der Beurtheilung in Beiſpielen giebt, um den Begriff der
Fahrläſſigkeit zur praktiſchen Anſchauung zu bringen. Die im Jahre
1847. bei der Berathung des Strafgeſetzbuchs hinzugezogenen Rheiniſchen
Juriſten wünſchten, namentlich im Intereſſe der Geſchworenen, eine ge-
nauere Beſtimmung in dieſem Sinne; der von ihnen eingereichte Vor-
ſchlag ward aber in der Staatsraths-Kommiſſion theils für überflüſſig,
theils für bedenklich erachtet, und fand keine Billigung. g) Auch enthält
das Geſetzbuch in der That einige Andeutungen, welche darthun, daß es
weder das ganz geringe, ſchwer zu vermeidende Verſehen, noch umge-
kehrt bloß die grobe Fahrläſſigkeit beſtraft wiſſen will. Dieß ergiebt
ſich namentlich aus den Stellen, wo die Fahrläſſigkeit überhaupt und
diejenige, welche durch Vernachläſſigung beſonderer Amts- und Berufs-
pflichten begangen wird, ſich einander gegenübergeſtellt finden. Bei der
fahrläſſigen Tödtung wird im Allgemeinen angenommen, daß der Thäter Auf-
merkſamkeit oder Vorſicht aus den Augen geſetzt haben müſſe, und wenn
er dazu beſonders verpflichtet war, trifft ihn eine Verſchärfung der Strafe;
aber eben das Amt, der Beruf oder das Gewerbe legen auch Pflichten
der Vorſorge auf, deren Vernachläſſigung Anderen, die ſich nicht in ei-
nem ſolchen Verhältniß befinden, nicht angerechnet wird. h)

Ueber dieſe Stellung der Fahrläſſigkeit im Strafgeſetzbuch, na-
mentlich den Beſtimmungen des Allgemeinen Landrechts gegenüber, findet
ſich ein Gutachten des Juſtizminiſters v. Savigny vom 11. März
1846, veranlaßt durch die Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion,
welches die Frage in einer ſo umfaſſenden und gründlichen Weiſe be-
handelt, daß eine vollſtändige Mittheilung deſſelben hier am Platze ſein
wird. i)

„Das Allgemeine Landrecht ſtellt im 3. Titel des I. Theils §§. 16

f) Code pénal art. 319. Quiconque, par maladresse, imprudence,
inattention, négligence ou inobservation des règlemens, aura commis invo-
lontairement un homicide, ou en aura involontairement été la cause, sera
puni etc.
g) Der Vorſchlag der Herren Jähnigen und Simons lautete: „In den Fäl-
len, in welchen das Strafgeſetzbuch wegen fahrläſſiger Vergehen Strafen beſtimmt,
ſoll auf dieſe erkannt werden, wenn die unvorſätzlich verübte Handlung oder Unter-
laſſung mit Nichtbeachtung beſtehender Verordnungen, Ungeſchicklichkeit, Unvorſichtigkeit
oder Nachläſſigkeit verbunden geweſen iſt.“ S. Fernere Verhandlungen der Kom-
miſſion des Staatsraths. (Berlin, 1847.) S. 35. 36. und Beilage S. 3 u. 20.
h) S. §. 184. vgl. mit §. 201-3. und §. 295.
i) S. Verhandlungen der Kommiſſion des Staatsraths über den
revid. Entwurf des Strafgeſetzbuchs. (Berlin, 1846.) S. 216-21.
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[50/0060] Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen. nicht dadurch zur Hülfe, daß es, wie das Rheiniſche Recht, f) gewiſſe Anhaltspunkte der Beurtheilung in Beiſpielen giebt, um den Begriff der Fahrläſſigkeit zur praktiſchen Anſchauung zu bringen. Die im Jahre 1847. bei der Berathung des Strafgeſetzbuchs hinzugezogenen Rheiniſchen Juriſten wünſchten, namentlich im Intereſſe der Geſchworenen, eine ge- nauere Beſtimmung in dieſem Sinne; der von ihnen eingereichte Vor- ſchlag ward aber in der Staatsraths-Kommiſſion theils für überflüſſig, theils für bedenklich erachtet, und fand keine Billigung. g) Auch enthält das Geſetzbuch in der That einige Andeutungen, welche darthun, daß es weder das ganz geringe, ſchwer zu vermeidende Verſehen, noch umge- kehrt bloß die grobe Fahrläſſigkeit beſtraft wiſſen will. Dieß ergiebt ſich namentlich aus den Stellen, wo die Fahrläſſigkeit überhaupt und diejenige, welche durch Vernachläſſigung beſonderer Amts- und Berufs- pflichten begangen wird, ſich einander gegenübergeſtellt finden. Bei der fahrläſſigen Tödtung wird im Allgemeinen angenommen, daß der Thäter Auf- merkſamkeit oder Vorſicht aus den Augen geſetzt haben müſſe, und wenn er dazu beſonders verpflichtet war, trifft ihn eine Verſchärfung der Strafe; aber eben das Amt, der Beruf oder das Gewerbe legen auch Pflichten der Vorſorge auf, deren Vernachläſſigung Anderen, die ſich nicht in ei- nem ſolchen Verhältniß befinden, nicht angerechnet wird. h) Ueber dieſe Stellung der Fahrläſſigkeit im Strafgeſetzbuch, na- mentlich den Beſtimmungen des Allgemeinen Landrechts gegenüber, findet ſich ein Gutachten des Juſtizminiſters v. Savigny vom 11. März 1846, veranlaßt durch die Verhandlungen der Staatsraths-Kommiſſion, welches die Frage in einer ſo umfaſſenden und gründlichen Weiſe be- handelt, daß eine vollſtändige Mittheilung deſſelben hier am Platze ſein wird. i) „Das Allgemeine Landrecht ſtellt im 3. Titel des I. Theils §§. 16 f) Code pénal art. 319. Quiconque, par maladresse, imprudence, inattention, négligence ou inobservation des règlemens, aura commis invo- lontairement un homicide, ou en aura involontairement été la cause, sera puni etc. g) Der Vorſchlag der Herren Jähnigen und Simons lautete: „In den Fäl- len, in welchen das Strafgeſetzbuch wegen fahrläſſiger Vergehen Strafen beſtimmt, ſoll auf dieſe erkannt werden, wenn die unvorſätzlich verübte Handlung oder Unter- laſſung mit Nichtbeachtung beſtehender Verordnungen, Ungeſchicklichkeit, Unvorſichtigkeit oder Nachläſſigkeit verbunden geweſen iſt.“ S. Fernere Verhandlungen der Kom- miſſion des Staatsraths. (Berlin, 1847.) S. 35. 36. und Beilage S. 3 u. 20. h) S. §. 184. vgl. mit §. 201-3. und §. 295. i) S. Verhandlungen der Kommiſſion des Staatsraths über den revid. Entwurf des Strafgeſetzbuchs. (Berlin, 1846.) S. 216-21.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/60>, abgerufen am 25.04.2024.