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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. VI. Das richterliche Ermessen.
überlassen, bei bestimmten, im Gesetz genau bezeichneten Vergehen die
Ausübung der Ehrenrechte auf Zeit zu untersagen. Diesen Beschrän-
kungen der richterlichen Amtsbefugniß gegenüber, die im Interesse der
bürgerlichen Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetze gemacht wor-
den sind, zeigt sich aber im Uebrigen das richterliche Ermessen erweitert
und von lästigen Schranken befreit. Ueber die Frage, wann der Rich-
ter ein strafbares Verschulden anzunehmen berechtigt ist, und nach wel-
chen Grundsätzen er namentlich zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu
unterscheiden hat, wird unten (§. VIII.) noch eine besondere Erörterung
folgen; hier soll zunächst der Fall besonders betrachtet werden, wenn ein
strafbares Verschulden im Allgemeinen vorliegt und vom Richter die
Höhe des Strafmaaßes zu bestimmen ist, -- also die Zumessungs-
gründe
zu erwägen sind. Diese sind aber gegenwärtig um so bedeu-
tungsvoller, da das Strafgesetzbuch gerade in Beziehung auf das Straf-
maaß eine große Freiheit gewährt, und nur in wenigen Fällen absolute
Strafen ausspricht, oft aber jedes Minimum wegläßt, oder das Maxi-
mum nur nach den allgemeinen, im Gesetz aufgestellten Grenzen (Ge-
fängniß bis zu fünf Jahren, zeitige Zuchthausstrafe bis zu zwanzig
Jahren) bestimmt. Bei der Strafzumessung macht es denn auch keinen
wesentlichen Unterschied, ob ein Verbrechen oder Vergehen vorliegt, ein
Wahrspruch der Geschworenen oder das richterliche Erkenntniß die Schuld
feststellt, da im ersteren Fall wohl die Art der Strafe -- bei mildern-
den Umständen, Versuch, Theilnahme, -- nicht aber das Maaß dersel-
ben von dem Wahrspruch bedingt wird.

Wenn nun das Gesetzbuch selbst sich jeder unmittelbaren Einwir-
kung auf die richterliche Entscheidung über die Zumessungsgründe ent-
halten und es sogar vermieden hat, nach dem Vorgange des Hessischen
Strafgesetzbuchs t) , allgemeine Zumessungsgründe nur als Anweisung
für das richterliche Ermessen aufzustellen, so ist das eine allerdings sehr
tief greifende Abweichung von dem früheren Rechte. Aber auch bei der
Revision hat man in den verschiedenen Stadien derselben gerade über
diesen Gegenstand sehr geschwankt; eine geschichtliche Darstellung wird
daher am besten geeignet sein, die wichtigsten hier in Betracht kommen-
den Momente hervorzuheben und namentlich die Gründe ans Licht zu
stellen, welche zuletzt dahin geführt haben, daß man nach dem Vorgange
des Rheinischen Rechts darauf verzichtete, die Aufgabe des Gesetzgebers
mit der des Richters zu vermischen.

Das Allgemeine Landrecht hat, wie schon von Bode sehr gut

t) Strafgesetzbuch für das Großherzogthum Hessen, Art. 118 ff.

§. VI. Das richterliche Ermeſſen.
überlaſſen, bei beſtimmten, im Geſetz genau bezeichneten Vergehen die
Ausübung der Ehrenrechte auf Zeit zu unterſagen. Dieſen Beſchrän-
kungen der richterlichen Amtsbefugniß gegenüber, die im Intereſſe der
bürgerlichen Freiheit und der Gleichheit vor dem Geſetze gemacht wor-
den ſind, zeigt ſich aber im Uebrigen das richterliche Ermeſſen erweitert
und von läſtigen Schranken befreit. Ueber die Frage, wann der Rich-
ter ein ſtrafbares Verſchulden anzunehmen berechtigt iſt, und nach wel-
chen Grundſätzen er namentlich zwiſchen Vorſatz und Fahrläſſigkeit zu
unterſcheiden hat, wird unten (§. VIII.) noch eine beſondere Erörterung
folgen; hier ſoll zunächſt der Fall beſonders betrachtet werden, wenn ein
ſtrafbares Verſchulden im Allgemeinen vorliegt und vom Richter die
Höhe des Strafmaaßes zu beſtimmen iſt, — alſo die Zumeſſungs-
gründe
zu erwägen ſind. Dieſe ſind aber gegenwärtig um ſo bedeu-
tungsvoller, da das Strafgeſetzbuch gerade in Beziehung auf das Straf-
maaß eine große Freiheit gewährt, und nur in wenigen Fällen abſolute
Strafen ausſpricht, oft aber jedes Minimum wegläßt, oder das Maxi-
mum nur nach den allgemeinen, im Geſetz aufgeſtellten Grenzen (Ge-
fängniß bis zu fünf Jahren, zeitige Zuchthausſtrafe bis zu zwanzig
Jahren) beſtimmt. Bei der Strafzumeſſung macht es denn auch keinen
weſentlichen Unterſchied, ob ein Verbrechen oder Vergehen vorliegt, ein
Wahrſpruch der Geſchworenen oder das richterliche Erkenntniß die Schuld
feſtſtellt, da im erſteren Fall wohl die Art der Strafe — bei mildern-
den Umſtänden, Verſuch, Theilnahme, — nicht aber das Maaß derſel-
ben von dem Wahrſpruch bedingt wird.

Wenn nun das Geſetzbuch ſelbſt ſich jeder unmittelbaren Einwir-
kung auf die richterliche Entſcheidung über die Zumeſſungsgründe ent-
halten und es ſogar vermieden hat, nach dem Vorgange des Heſſiſchen
Strafgeſetzbuchs t) , allgemeine Zumeſſungsgründe nur als Anweiſung
für das richterliche Ermeſſen aufzuſtellen, ſo iſt das eine allerdings ſehr
tief greifende Abweichung von dem früheren Rechte. Aber auch bei der
Reviſion hat man in den verſchiedenen Stadien derſelben gerade über
dieſen Gegenſtand ſehr geſchwankt; eine geſchichtliche Darſtellung wird
daher am beſten geeignet ſein, die wichtigſten hier in Betracht kommen-
den Momente hervorzuheben und namentlich die Gründe ans Licht zu
ſtellen, welche zuletzt dahin geführt haben, daß man nach dem Vorgange
des Rheiniſchen Rechts darauf verzichtete, die Aufgabe des Geſetzgebers
mit der des Richters zu vermiſchen.

Das Allgemeine Landrecht hat, wie ſchon von Bode ſehr gut

t) Strafgeſetzbuch für das Großherzogthum Heſſen, Art. 118 ff.
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[25/0035] §. VI. Das richterliche Ermeſſen. überlaſſen, bei beſtimmten, im Geſetz genau bezeichneten Vergehen die Ausübung der Ehrenrechte auf Zeit zu unterſagen. Dieſen Beſchrän- kungen der richterlichen Amtsbefugniß gegenüber, die im Intereſſe der bürgerlichen Freiheit und der Gleichheit vor dem Geſetze gemacht wor- den ſind, zeigt ſich aber im Uebrigen das richterliche Ermeſſen erweitert und von läſtigen Schranken befreit. Ueber die Frage, wann der Rich- ter ein ſtrafbares Verſchulden anzunehmen berechtigt iſt, und nach wel- chen Grundſätzen er namentlich zwiſchen Vorſatz und Fahrläſſigkeit zu unterſcheiden hat, wird unten (§. VIII.) noch eine beſondere Erörterung folgen; hier ſoll zunächſt der Fall beſonders betrachtet werden, wenn ein ſtrafbares Verſchulden im Allgemeinen vorliegt und vom Richter die Höhe des Strafmaaßes zu beſtimmen iſt, — alſo die Zumeſſungs- gründe zu erwägen ſind. Dieſe ſind aber gegenwärtig um ſo bedeu- tungsvoller, da das Strafgeſetzbuch gerade in Beziehung auf das Straf- maaß eine große Freiheit gewährt, und nur in wenigen Fällen abſolute Strafen ausſpricht, oft aber jedes Minimum wegläßt, oder das Maxi- mum nur nach den allgemeinen, im Geſetz aufgeſtellten Grenzen (Ge- fängniß bis zu fünf Jahren, zeitige Zuchthausſtrafe bis zu zwanzig Jahren) beſtimmt. Bei der Strafzumeſſung macht es denn auch keinen weſentlichen Unterſchied, ob ein Verbrechen oder Vergehen vorliegt, ein Wahrſpruch der Geſchworenen oder das richterliche Erkenntniß die Schuld feſtſtellt, da im erſteren Fall wohl die Art der Strafe — bei mildern- den Umſtänden, Verſuch, Theilnahme, — nicht aber das Maaß derſel- ben von dem Wahrſpruch bedingt wird. Wenn nun das Geſetzbuch ſelbſt ſich jeder unmittelbaren Einwir- kung auf die richterliche Entſcheidung über die Zumeſſungsgründe ent- halten und es ſogar vermieden hat, nach dem Vorgange des Heſſiſchen Strafgeſetzbuchs t) , allgemeine Zumeſſungsgründe nur als Anweiſung für das richterliche Ermeſſen aufzuſtellen, ſo iſt das eine allerdings ſehr tief greifende Abweichung von dem früheren Rechte. Aber auch bei der Reviſion hat man in den verſchiedenen Stadien derſelben gerade über dieſen Gegenſtand ſehr geſchwankt; eine geſchichtliche Darſtellung wird daher am beſten geeignet ſein, die wichtigſten hier in Betracht kommen- den Momente hervorzuheben und namentlich die Gründe ans Licht zu ſtellen, welche zuletzt dahin geführt haben, daß man nach dem Vorgange des Rheiniſchen Rechts darauf verzichtete, die Aufgabe des Geſetzgebers mit der des Richters zu vermiſchen. Das Allgemeine Landrecht hat, wie ſchon von Bode ſehr gut t) Strafgeſetzbuch für das Großherzogthum Heſſen, Art. 118 ff.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/35>, abgerufen am 20.04.2024.