Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Th. I. Bestrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Versuche.
sätze, welche in den beiden vorhergehenden Paragraphen aufgestellt sind,
sowohl in Beziehung auf die Frage, wann der strafbare Versuch an-
fängt oder aufhört strafbar zu sein, oder als beendigt anzusehen ist, als
auch in Beziehung auf die Bestrafung selbst, nur daß natürlich der
zweite Absatz des §. 32. hier bedeutungslos ist. Dagegen kommt hier
die tiefeingreifende Regel zur Anwendung, daß der Versuch eines Ver-
gehens nur in den Fällen bestraft wird, in welchen die Gesetze dieß
ausdrücklich bestimmen. Die Vergehen bilden hier also einen Ueber-
gangspunkt zu den Uebertretungen, bei denen der Versuch niemals be-
straft wird (§. 336.).

Daß bei Vergehen der Versuch nur in Folge ausdrücklicher gesetz-
licher Vorschrift bestraft werden soll, ist übrigens eine Bestimmung, welche
der Code penal (art. 3.), dem sie entlehnt worden, nicht erfunden hat,
wenn auch bei der Abfassung desselben die Gründe der Zweckmäßigkeit,
welche dafür sprechen, besonders hervorgehoben worden sind und eine
weitere Berücksichtigung, als in der früheren Doktrin gefunden haben. y)
Gerade auf dem Gebiet, welches die Vergehen einnehmen, begegnen sich
die Strafgerechtigkeit und diejenige Strafgewalt, welche die aus Rücksichten
der Polizei erlassenen Gebote und Verbote zur Anerkennung bringt; der
letzte Grund für die Bestrafung des Versuchs, der böse Wille des Thä-
ters, darf hier nicht immer oder doch nicht in solcher Stärke angenom-
men werden, daß auch ohne Rücksicht auf den Erfolg stets eine Strafe
zu vollziehen ist. Schon die ältere gemeinrechtliche Doktrin unterschied
daher in dieser Hinsicht zwischen delicta atrociora und leviora, und
auch die Halsgerichtsordnung Karls V. handelt nur von den "peinlichen"
Strafen des bösen Willens bei unterstandener Missethat.

Die Vergehen nun, bei denen der Versuch nach dem Gesetzbuch ge-
straft werden soll, sind folgende:

in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte (§. 84.),
Zwang gegen Behörden (§. 90.),
Befreiung von Gefangenen (§. 94.),
Meuterei in Strafanstalten (§. 96.),
Verleitung zum Desertiren (§. 111.),
Drohung mit Verbrechen (§. 212.),
Diebstahl (§. 216.),
Unterschlagung (§. 227.),
Erpressung (§. 234.),

y) Ueber die Motive der Französischen Gesetzgebung und namentlich über die
Verhandlungen des Napoleonischen Staatsraths f. Chauveau et Helie Fau-
stin
I. c. p. 155-157. -- Napoleon ließ sich die Gründe der Bestimmung ge-
nau auseinander setzen.

Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Verſuche.
ſätze, welche in den beiden vorhergehenden Paragraphen aufgeſtellt ſind,
ſowohl in Beziehung auf die Frage, wann der ſtrafbare Verſuch an-
fängt oder aufhört ſtrafbar zu ſein, oder als beendigt anzuſehen iſt, als
auch in Beziehung auf die Beſtrafung ſelbſt, nur daß natürlich der
zweite Abſatz des §. 32. hier bedeutungslos iſt. Dagegen kommt hier
die tiefeingreifende Regel zur Anwendung, daß der Verſuch eines Ver-
gehens nur in den Fällen beſtraft wird, in welchen die Geſetze dieß
ausdrücklich beſtimmen. Die Vergehen bilden hier alſo einen Ueber-
gangspunkt zu den Uebertretungen, bei denen der Verſuch niemals be-
ſtraft wird (§. 336.).

Daß bei Vergehen der Verſuch nur in Folge ausdrücklicher geſetz-
licher Vorſchrift beſtraft werden ſoll, iſt übrigens eine Beſtimmung, welche
der Code pénal (art. 3.), dem ſie entlehnt worden, nicht erfunden hat,
wenn auch bei der Abfaſſung deſſelben die Gründe der Zweckmäßigkeit,
welche dafür ſprechen, beſonders hervorgehoben worden ſind und eine
weitere Berückſichtigung, als in der früheren Doktrin gefunden haben. y)
Gerade auf dem Gebiet, welches die Vergehen einnehmen, begegnen ſich
die Strafgerechtigkeit und diejenige Strafgewalt, welche die aus Rückſichten
der Polizei erlaſſenen Gebote und Verbote zur Anerkennung bringt; der
letzte Grund für die Beſtrafung des Verſuchs, der böſe Wille des Thä-
ters, darf hier nicht immer oder doch nicht in ſolcher Stärke angenom-
men werden, daß auch ohne Rückſicht auf den Erfolg ſtets eine Strafe
zu vollziehen iſt. Schon die ältere gemeinrechtliche Doktrin unterſchied
daher in dieſer Hinſicht zwiſchen delicta atrociora und leviora, und
auch die Halsgerichtsordnung Karls V. handelt nur von den „peinlichen“
Strafen des böſen Willens bei unterſtandener Miſſethat.

Die Vergehen nun, bei denen der Verſuch nach dem Geſetzbuch ge-
ſtraft werden ſoll, ſind folgende:

in Beziehung auf die Ausübung ſtaatsbürgerlicher Rechte (§. 84.),
Zwang gegen Behörden (§. 90.),
Befreiung von Gefangenen (§. 94.),
Meuterei in Strafanſtalten (§. 96.),
Verleitung zum Deſertiren (§. 111.),
Drohung mit Verbrechen (§. 212.),
Diebſtahl (§. 216.),
Unterſchlagung (§. 227.),
Erpreſſung (§. 234.),

y) Ueber die Motive der Franzöſiſchen Geſetzgebung und namentlich über die
Verhandlungen des Napoleoniſchen Staatsraths f. Chauveau et Hélie Fau-
stin
I. c. p. 155-157. — Napoleon ließ ſich die Gründe der Beſtimmung ge-
nau auseinander ſetzen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0160" n="150"/><fw place="top" type="header">Th. I. Be&#x017F;trafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg.          Tit. II. Von d. Ver&#x017F;uche.</fw><lb/>
&#x017F;ätze, welche in den beiden         vorhergehenden Paragraphen aufge&#x017F;tellt &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;owohl in         Beziehung auf die Frage, wann der &#x017F;trafbare Ver&#x017F;uch an-<lb/>
fängt oder         aufhört &#x017F;trafbar zu &#x017F;ein, oder als beendigt anzu&#x017F;ehen         i&#x017F;t, als<lb/>
auch in Beziehung auf die Be&#x017F;trafung         &#x017F;elb&#x017F;t, nur daß natürlich der<lb/>
zweite Ab&#x017F;atz des §. 32.         hier bedeutungslos i&#x017F;t. Dagegen kommt hier<lb/>
die tiefeingreifende Regel zur         Anwendung, daß der Ver&#x017F;uch eines Ver-<lb/>
gehens nur in den Fällen         be&#x017F;traft wird, in welchen die Ge&#x017F;etze dieß<lb/>
ausdrücklich         be&#x017F;timmen. Die Vergehen bilden hier al&#x017F;o einen Ueber-<lb/>
gangspunkt         zu den Uebertretungen, bei denen der Ver&#x017F;uch niemals be-<lb/>
&#x017F;traft         wird (§. 336.).</p><lb/>
              <p>Daß bei Vergehen der Ver&#x017F;uch nur in Folge ausdrücklicher         ge&#x017F;etz-<lb/>
licher Vor&#x017F;chrift be&#x017F;traft werden         &#x017F;oll, i&#x017F;t übrigens eine Be&#x017F;timmung, welche<lb/>
der <hi rendition="#aq">Code pénal</hi> (<hi rendition="#aq">art.</hi> 3.), dem         &#x017F;ie entlehnt worden, nicht erfunden hat,<lb/>
wenn auch bei der         Abfa&#x017F;&#x017F;ung de&#x017F;&#x017F;elben die Gründe der         Zweckmäßigkeit,<lb/>
welche dafür &#x017F;prechen, be&#x017F;onders hervorgehoben         worden &#x017F;ind und eine<lb/>
weitere Berück&#x017F;ichtigung, als in der früheren         Doktrin gefunden haben. <note place="foot" n="y)">Ueber die Motive der          Franzö&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;etzgebung und namentlich über die<lb/>
Verhandlungen des Napoleoni&#x017F;chen Staatsraths f. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Chauveau et Hélie Fau-<lb/>
stin</hi></hi> I. <hi rendition="#aq">c. p.</hi> 155-157. &#x2014; <hi rendition="#g">Napoleon</hi> ließ &#x017F;ich die Gründe der Be&#x017F;timmung ge-<lb/>
nau          auseinander &#x017F;etzen.</note><lb/>
Gerade auf dem Gebiet, welches die Vergehen einnehmen, begegnen &#x017F;ich<lb/>
die         Strafgerechtigkeit und diejenige Strafgewalt, welche die aus Rück&#x017F;ichten<lb/>
der         Polizei erla&#x017F;&#x017F;enen Gebote und Verbote zur Anerkennung bringt;         der<lb/>
letzte Grund für die Be&#x017F;trafung des Ver&#x017F;uchs, der         bö&#x017F;e Wille des Thä-<lb/>
ters, darf hier nicht immer oder doch nicht in         &#x017F;olcher Stärke angenom-<lb/>
men werden, daß auch ohne Rück&#x017F;icht auf         den Erfolg &#x017F;tets eine Strafe<lb/>
zu vollziehen i&#x017F;t. Schon die ältere         gemeinrechtliche Doktrin unter&#x017F;chied<lb/>
daher in die&#x017F;er         Hin&#x017F;icht zwi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">delicta atrociora</hi> und <hi rendition="#aq">leviora</hi>, und<lb/>
auch die Halsgerichtsordnung Karls V. handelt nur von         den &#x201E;peinlichen&#x201C;<lb/>
Strafen des bö&#x017F;en Willens bei         unter&#x017F;tandener Mi&#x017F;&#x017F;ethat.</p><lb/>
              <p>Die Vergehen nun, bei denen der Ver&#x017F;uch nach dem Ge&#x017F;etzbuch         ge-<lb/>
&#x017F;traft werden &#x017F;oll, &#x017F;ind folgende:</p><lb/>
              <p> <hi rendition="#et">in Beziehung auf die Ausübung &#x017F;taatsbürgerlicher Rechte (§.          84.),<lb/>
Zwang gegen Behörden (§. 90.),<lb/>
Befreiung von Gefangenen (§.          94.),<lb/>
Meuterei in Strafan&#x017F;talten (§. 96.),<lb/>
Verleitung zum          De&#x017F;ertiren (§. 111.),<lb/>
Drohung mit Verbrechen (§.          212.),<lb/>
Dieb&#x017F;tahl (§. 216.),<lb/>
Unter&#x017F;chlagung (§.          227.),<lb/>
Erpre&#x017F;&#x017F;ung (§. 234.),</hi><lb/>
              </p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0160] Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Verſuche. ſätze, welche in den beiden vorhergehenden Paragraphen aufgeſtellt ſind, ſowohl in Beziehung auf die Frage, wann der ſtrafbare Verſuch an- fängt oder aufhört ſtrafbar zu ſein, oder als beendigt anzuſehen iſt, als auch in Beziehung auf die Beſtrafung ſelbſt, nur daß natürlich der zweite Abſatz des §. 32. hier bedeutungslos iſt. Dagegen kommt hier die tiefeingreifende Regel zur Anwendung, daß der Verſuch eines Ver- gehens nur in den Fällen beſtraft wird, in welchen die Geſetze dieß ausdrücklich beſtimmen. Die Vergehen bilden hier alſo einen Ueber- gangspunkt zu den Uebertretungen, bei denen der Verſuch niemals be- ſtraft wird (§. 336.). Daß bei Vergehen der Verſuch nur in Folge ausdrücklicher geſetz- licher Vorſchrift beſtraft werden ſoll, iſt übrigens eine Beſtimmung, welche der Code pénal (art. 3.), dem ſie entlehnt worden, nicht erfunden hat, wenn auch bei der Abfaſſung deſſelben die Gründe der Zweckmäßigkeit, welche dafür ſprechen, beſonders hervorgehoben worden ſind und eine weitere Berückſichtigung, als in der früheren Doktrin gefunden haben. y) Gerade auf dem Gebiet, welches die Vergehen einnehmen, begegnen ſich die Strafgerechtigkeit und diejenige Strafgewalt, welche die aus Rückſichten der Polizei erlaſſenen Gebote und Verbote zur Anerkennung bringt; der letzte Grund für die Beſtrafung des Verſuchs, der böſe Wille des Thä- ters, darf hier nicht immer oder doch nicht in ſolcher Stärke angenom- men werden, daß auch ohne Rückſicht auf den Erfolg ſtets eine Strafe zu vollziehen iſt. Schon die ältere gemeinrechtliche Doktrin unterſchied daher in dieſer Hinſicht zwiſchen delicta atrociora und leviora, und auch die Halsgerichtsordnung Karls V. handelt nur von den „peinlichen“ Strafen des böſen Willens bei unterſtandener Miſſethat. Die Vergehen nun, bei denen der Verſuch nach dem Geſetzbuch ge- ſtraft werden ſoll, ſind folgende: in Beziehung auf die Ausübung ſtaatsbürgerlicher Rechte (§. 84.), Zwang gegen Behörden (§. 90.), Befreiung von Gefangenen (§. 94.), Meuterei in Strafanſtalten (§. 96.), Verleitung zum Deſertiren (§. 111.), Drohung mit Verbrechen (§. 212.), Diebſtahl (§. 216.), Unterſchlagung (§. 227.), Erpreſſung (§. 234.), y) Ueber die Motive der Franzöſiſchen Geſetzgebung und namentlich über die Verhandlungen des Napoleoniſchen Staatsraths f. Chauveau et Hélie Fau- stin I. c. p. 155-157. — Napoleon ließ ſich die Gründe der Beſtimmung ge- nau auseinander ſetzen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/160
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/160>, abgerufen am 25.04.2024.