Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 32. Strafe des Versuchs eines Verbrechens.

I. Wenn man bei der verbrecherischen Thätigkeit zwei Seiten un-
terscheiden muß, die subjektive und die objektive, die Handlung und den
Erfolg, und bei der Strafzumessung auf Beides die gebührende Rück-
sicht nimmt, so kann im Allgemeinen die volle gesetzliche Strafe nur auf
das vollendete Verbrechen gesetzt werden, und die mindere Strafbarkeit
des Versuchs stellt sich als eine Anforderung der Gerechtigkeit dar.
Selbst in Frankreich hat man die starre Satzung des Strafgesetzbuchs
nicht aufrecht erhalten können; aber anstatt eine Aenderung desselben
vorzunehmen, hat man sich begnügt, die Lösung des Problems, für den
Versuch des Verbrechens ein gerechtes Strafmaaß zu finden, dem Wahr-
spruch der Geschworenen zuzuweisen, und es ihnen überlassen, indem sie
das Vorhandensein mildernder Umstände feststellen, auch den Versuch
darunter zu begreifen und die Strafe desselben im einzelnen Fall her-
unterzusetzen, eine Befugniß, welche bei den Vergehen schon vor dem
Gesetz vom 28. April 1832. die Gerichtshöfe nach Art. 463. des Code
penal
, wenn auch nur in beschränkter Weise ausübten. Was sich ge-
gen dieses Auskunftsmittel, die Berücksichtigung mildernder Umstände
allgemein zuzulassen, überhaupt sagen läßt, findet auch auf diesen Fall
seine Anwendung. v)

II. Der Entwurf des Strafgesetzbuchs von 1850. hatte sich, was
die Strafe des Versuchs des Verbrechens betrifft, im Wesentlichen dem
Code penal angeschlossen, und nur für die absoluten Strafen eine Her-
untersetzung auf zeitige Zuchthausstrafe und Stellung unter Polizeiauf-
sicht ausgesprochen. In der Kommission der zweiten Kammer wurde
hiergegen vom Standpunkt der Deutschen Rechtsanschauung und im Ge-
gensatz zu dem nivellirenden Formalismus des Romanischen Rechts Wi-
derspruch erhoben, und der Vorschlag gemacht, die Strafe des Versuchs
im Allgemeinen niedriger zu stellen, als die des vollendeten Verbrechens.
Dagegen wurde namentlich geltend gemacht, daß es bei der Beurthei-
lung der Strafbarkeit einer Handlung weniger auf den Erfolg als auf
den bösen Willen ankomme; daß nach dem Strafgesetzbuch die Fälle der
strafbaren Versuchshandlungen sehr beschränkt würden; daß der weite
Spielraum, welcher dem richterlichen Ermessen für die Strafzumessung
überhaupt eingeräumt worden, auch den Unterschied zwischen Versuch
und vollendetem Verbrechen berücksichtigen lasse; daß bestimmte Grade
des Versuchs nicht anzunehmen seien und zur Entscheidung der Ge-
schworenen nicht formulirt werden könnten; daß endlich die Abwägung
der Strafe des Versuchs gegen die des vollendeten Verbrechens, wenn
sie überhaupt unter das gesetzliche Maaß der letzteren heruntergesetzt wer-

v) S. oben Einleitung §. VII.
10*
§. 32. Strafe des Verſuchs eines Verbrechens.

I. Wenn man bei der verbrecheriſchen Thätigkeit zwei Seiten un-
terſcheiden muß, die ſubjektive und die objektive, die Handlung und den
Erfolg, und bei der Strafzumeſſung auf Beides die gebührende Rück-
ſicht nimmt, ſo kann im Allgemeinen die volle geſetzliche Strafe nur auf
das vollendete Verbrechen geſetzt werden, und die mindere Strafbarkeit
des Verſuchs ſtellt ſich als eine Anforderung der Gerechtigkeit dar.
Selbſt in Frankreich hat man die ſtarre Satzung des Strafgeſetzbuchs
nicht aufrecht erhalten können; aber anſtatt eine Aenderung deſſelben
vorzunehmen, hat man ſich begnügt, die Löſung des Problems, für den
Verſuch des Verbrechens ein gerechtes Strafmaaß zu finden, dem Wahr-
ſpruch der Geſchworenen zuzuweiſen, und es ihnen überlaſſen, indem ſie
das Vorhandenſein mildernder Umſtände feſtſtellen, auch den Verſuch
darunter zu begreifen und die Strafe deſſelben im einzelnen Fall her-
unterzuſetzen, eine Befugniß, welche bei den Vergehen ſchon vor dem
Geſetz vom 28. April 1832. die Gerichtshöfe nach Art. 463. des Code
pénal
, wenn auch nur in beſchränkter Weiſe ausübten. Was ſich ge-
gen dieſes Auskunftsmittel, die Berückſichtigung mildernder Umſtände
allgemein zuzulaſſen, überhaupt ſagen läßt, findet auch auf dieſen Fall
ſeine Anwendung. v)

II. Der Entwurf des Strafgeſetzbuchs von 1850. hatte ſich, was
die Strafe des Verſuchs des Verbrechens betrifft, im Weſentlichen dem
Code pénal angeſchloſſen, und nur für die abſoluten Strafen eine Her-
unterſetzung auf zeitige Zuchthausſtrafe und Stellung unter Polizeiauf-
ſicht ausgeſprochen. In der Kommiſſion der zweiten Kammer wurde
hiergegen vom Standpunkt der Deutſchen Rechtsanſchauung und im Ge-
genſatz zu dem nivellirenden Formalismus des Romaniſchen Rechts Wi-
derſpruch erhoben, und der Vorſchlag gemacht, die Strafe des Verſuchs
im Allgemeinen niedriger zu ſtellen, als die des vollendeten Verbrechens.
Dagegen wurde namentlich geltend gemacht, daß es bei der Beurthei-
lung der Strafbarkeit einer Handlung weniger auf den Erfolg als auf
den böſen Willen ankomme; daß nach dem Strafgeſetzbuch die Fälle der
ſtrafbaren Verſuchshandlungen ſehr beſchränkt würden; daß der weite
Spielraum, welcher dem richterlichen Ermeſſen für die Strafzumeſſung
überhaupt eingeräumt worden, auch den Unterſchied zwiſchen Verſuch
und vollendetem Verbrechen berückſichtigen laſſe; daß beſtimmte Grade
des Verſuchs nicht anzunehmen ſeien und zur Entſcheidung der Ge-
ſchworenen nicht formulirt werden könnten; daß endlich die Abwägung
der Strafe des Verſuchs gegen die des vollendeten Verbrechens, wenn
ſie überhaupt unter das geſetzliche Maaß der letzteren heruntergeſetzt wer-

v) S. oben Einleitung §. VII.
10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0157" n="147"/>
              <fw place="top" type="header">§. 32. Strafe des Ver&#x017F;uchs eines Verbrechens.</fw><lb/>
              <p>I. Wenn man bei der verbrecheri&#x017F;chen Thätigkeit zwei Seiten         un-<lb/>
ter&#x017F;cheiden muß, die &#x017F;ubjektive und die objektive, die         Handlung und den<lb/>
Erfolg, und bei der Strafzume&#x017F;&#x017F;ung auf Beides die         gebührende Rück-<lb/>
&#x017F;icht nimmt, &#x017F;o kann im Allgemeinen die volle         ge&#x017F;etzliche Strafe nur auf<lb/>
das vollendete Verbrechen ge&#x017F;etzt         werden, und die mindere Strafbarkeit<lb/>
des Ver&#x017F;uchs &#x017F;tellt         &#x017F;ich als eine Anforderung der Gerechtigkeit dar.<lb/>
Selb&#x017F;t in         Frankreich hat man die &#x017F;tarre Satzung des Strafge&#x017F;etzbuchs<lb/>
nicht         aufrecht erhalten können; aber an&#x017F;tatt eine Aenderung         de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
vorzunehmen, hat man &#x017F;ich begnügt, die         Lö&#x017F;ung des Problems, für den<lb/>
Ver&#x017F;uch des Verbrechens ein gerechtes         Strafmaaß zu finden, dem Wahr-<lb/>
&#x017F;pruch der Ge&#x017F;chworenen         zuzuwei&#x017F;en, und es ihnen überla&#x017F;&#x017F;en, indem         &#x017F;ie<lb/>
das Vorhanden&#x017F;ein mildernder Um&#x017F;tände         fe&#x017F;t&#x017F;tellen, auch den Ver&#x017F;uch<lb/>
darunter zu begreifen und         die Strafe de&#x017F;&#x017F;elben im einzelnen Fall         her-<lb/>
unterzu&#x017F;etzen, eine Befugniß, welche bei den <hi rendition="#g">Vergehen</hi> &#x017F;chon vor dem<lb/>
Ge&#x017F;etz vom 28. April 1832. die         Gerichtshöfe nach Art. 463. des <hi rendition="#aq">Code<lb/>
pénal</hi>, wenn         auch nur in be&#x017F;chränkter Wei&#x017F;e ausübten. Was &#x017F;ich         ge-<lb/>
gen die&#x017F;es Auskunftsmittel, die Berück&#x017F;ichtigung mildernder         Um&#x017F;tände<lb/>
allgemein zuzula&#x017F;&#x017F;en, überhaupt         &#x017F;agen läßt, findet auch auf die&#x017F;en Fall<lb/>
&#x017F;eine         Anwendung. <note place="foot" n="v)">S. oben Einleitung §. VII.</note>        </p><lb/>
              <p>II. Der Entwurf des Strafge&#x017F;etzbuchs von 1850. hatte &#x017F;ich,         was<lb/>
die Strafe des Ver&#x017F;uchs des Verbrechens betrifft, im         We&#x017F;entlichen dem<lb/><hi rendition="#aq">Code pénal</hi> ange&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, und nur für die ab&#x017F;oluten Strafen         eine Her-<lb/>
unter&#x017F;etzung auf zeitige Zuchthaus&#x017F;trafe und Stellung         unter Polizeiauf-<lb/>
&#x017F;icht ausge&#x017F;prochen. In der         Kommi&#x017F;&#x017F;ion der zweiten Kammer wurde<lb/>
hiergegen vom Standpunkt der         Deut&#x017F;chen Rechtsan&#x017F;chauung und im Ge-<lb/>
gen&#x017F;atz zu dem         nivellirenden Formalismus des Romani&#x017F;chen Rechts Wi-<lb/>
der&#x017F;pruch         erhoben, und der Vor&#x017F;chlag gemacht, die Strafe des Ver&#x017F;uchs<lb/>
im         Allgemeinen niedriger zu &#x017F;tellen, als die des vollendeten         Verbrechens.<lb/>
Dagegen wurde namentlich geltend gemacht, daß es bei der Beurthei-<lb/>
lung         der Strafbarkeit einer Handlung weniger auf den Erfolg als auf<lb/>
den bö&#x017F;en         Willen ankomme; daß nach dem Strafge&#x017F;etzbuch die Fälle         der<lb/>
&#x017F;trafbaren Ver&#x017F;uchshandlungen &#x017F;ehr         be&#x017F;chränkt würden; daß der weite<lb/>
Spielraum, welcher dem richterlichen         Erme&#x017F;&#x017F;en für die Strafzume&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
überhaupt         eingeräumt worden, auch den Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen         Ver&#x017F;uch<lb/>
und vollendetem Verbrechen berück&#x017F;ichtigen         la&#x017F;&#x017F;e; daß be&#x017F;timmte Grade<lb/>
des Ver&#x017F;uchs         nicht anzunehmen &#x017F;eien und zur Ent&#x017F;cheidung der         Ge-<lb/>
&#x017F;chworenen nicht formulirt werden könnten; daß endlich die         Abwägung<lb/>
der Strafe des Ver&#x017F;uchs gegen die des vollendeten Verbrechens,         wenn<lb/>
&#x017F;ie überhaupt unter das ge&#x017F;etzliche Maaß der letzteren         herunterge&#x017F;etzt wer-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10*</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0157] §. 32. Strafe des Verſuchs eines Verbrechens. I. Wenn man bei der verbrecheriſchen Thätigkeit zwei Seiten un- terſcheiden muß, die ſubjektive und die objektive, die Handlung und den Erfolg, und bei der Strafzumeſſung auf Beides die gebührende Rück- ſicht nimmt, ſo kann im Allgemeinen die volle geſetzliche Strafe nur auf das vollendete Verbrechen geſetzt werden, und die mindere Strafbarkeit des Verſuchs ſtellt ſich als eine Anforderung der Gerechtigkeit dar. Selbſt in Frankreich hat man die ſtarre Satzung des Strafgeſetzbuchs nicht aufrecht erhalten können; aber anſtatt eine Aenderung deſſelben vorzunehmen, hat man ſich begnügt, die Löſung des Problems, für den Verſuch des Verbrechens ein gerechtes Strafmaaß zu finden, dem Wahr- ſpruch der Geſchworenen zuzuweiſen, und es ihnen überlaſſen, indem ſie das Vorhandenſein mildernder Umſtände feſtſtellen, auch den Verſuch darunter zu begreifen und die Strafe deſſelben im einzelnen Fall her- unterzuſetzen, eine Befugniß, welche bei den Vergehen ſchon vor dem Geſetz vom 28. April 1832. die Gerichtshöfe nach Art. 463. des Code pénal, wenn auch nur in beſchränkter Weiſe ausübten. Was ſich ge- gen dieſes Auskunftsmittel, die Berückſichtigung mildernder Umſtände allgemein zuzulaſſen, überhaupt ſagen läßt, findet auch auf dieſen Fall ſeine Anwendung. v) II. Der Entwurf des Strafgeſetzbuchs von 1850. hatte ſich, was die Strafe des Verſuchs des Verbrechens betrifft, im Weſentlichen dem Code pénal angeſchloſſen, und nur für die abſoluten Strafen eine Her- unterſetzung auf zeitige Zuchthausſtrafe und Stellung unter Polizeiauf- ſicht ausgeſprochen. In der Kommiſſion der zweiten Kammer wurde hiergegen vom Standpunkt der Deutſchen Rechtsanſchauung und im Ge- genſatz zu dem nivellirenden Formalismus des Romaniſchen Rechts Wi- derſpruch erhoben, und der Vorſchlag gemacht, die Strafe des Verſuchs im Allgemeinen niedriger zu ſtellen, als die des vollendeten Verbrechens. Dagegen wurde namentlich geltend gemacht, daß es bei der Beurthei- lung der Strafbarkeit einer Handlung weniger auf den Erfolg als auf den böſen Willen ankomme; daß nach dem Strafgeſetzbuch die Fälle der ſtrafbaren Verſuchshandlungen ſehr beſchränkt würden; daß der weite Spielraum, welcher dem richterlichen Ermeſſen für die Strafzumeſſung überhaupt eingeräumt worden, auch den Unterſchied zwiſchen Verſuch und vollendetem Verbrechen berückſichtigen laſſe; daß beſtimmte Grade des Verſuchs nicht anzunehmen ſeien und zur Entſcheidung der Ge- ſchworenen nicht formulirt werden könnten; daß endlich die Abwägung der Strafe des Verſuchs gegen die des vollendeten Verbrechens, wenn ſie überhaupt unter das geſetzliche Maaß der letzteren heruntergeſetzt wer- v) S. oben Einleitung §. VII. 10*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/157
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/157>, abgerufen am 25.04.2024.