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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Th. I. Bestrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Versuche.
es rechtfertigt nicht den daraus hergeleiteten Schluß. Die Möglichkeit
des freiwilligen Rücktritts wird dadurch ausgeschlossen, daß der Versuch
beendigt ist, keine Versuchshandlung mehr übrig bleibt; aber der Begriff
des Versuchs wird dadurch nicht aufgehoben. Daß dieß hat behauptet
werden können, beruht auf einer Verwechslung zwischen den wesentlichen
Merkmalen des Versuchs, und den Gründen, welche ihn wegen freiwil-
ligen Rücktritts straflos machen. Die Unterscheidung des beendigten
Versuchs (delictum perfectum, delit manque) ist also nicht deswegen
von Bedeutung, weil dadurch eine besondere Art der verbrecherischen
Thätigkeit, welche zwischen Versuch und vollendetem Verbrechen in der
Mitte steht, bezeichnet wird, sondern deswegen, weil dadurch für die
Strafzumessung ein fester Anhaltspunkt gewonnen wird.

§. 32.

Der Versuch eines Verbrechens wird wie das Verbrechen selbst bestraft.
Dem Richter bleibt jedoch überlassen, bei Festsetzung des Strafmaaßes inner-
halb der dafür vorgeschriebenen Grenzen darauf Rücksicht zu nehmen, daß das
Verbrechen nicht vollendet worden ist.

Ist das Verbrechen mit der Todesstrafe oder mit lebenslänglicher Zuchthaus-
strafe bedroht, so tritt statt derselben zeitige Zuchthausstrafe von mindestens
zehn Jahren nebst Stellung unter Polizei-Aufsicht ein.

Insoweit bei dem vollendeten Verbrechen unter Umständen eine der Art oder
dem Maaße nach mildere Strafe eintritt, soll dieselbe auch bei dem Versuche
zur Anwendung kommen.



Nachdem die Frage, wann der Versuch strafbar ist, erörtert worden,
bleibt noch zu untersuchen übrig, wie derselbe gestraft werden soll. In
dieser Beziehung haben sich zwei Systeme geltend gemacht: nach dem
gemeinen Deutschen Kriminalrecht, welchem die neueren Deutschen Straf-
gesetzbücher gefolgt sind, wird der Versuch milder bestraft als das voll-
endete Verbrechen, und auch aus Gründen der Kriminalpolitik wird dieß
allgemein vertheidigt, indem nur über die Bestrafung des delictum per-
fectum
Zweifel bestehen. Dem entgegen hat der Code penal (s. oben
Note d) das Princip aufgestellt, daß der Versuch eines Verbrechens, so-
weit er überhaupt strafbar ist, dem Verbrechen gleich gestraft werden soll,
was auch im Allgemeinen für den Versuch des Vergehens gilt, nur daß
ein solcher erst durch besondere gesetzliche Verfügung in einzelnen Fällen
strafbar wird. Diese letztere Unterscheidung hat unser Strafgesetzbuch sich
angeeignet, so daß der §. 32. nur von dem Versuch eines Verbrechens
handelt. Die Strafe desselben steht der des vollendeten Verbrechens
nicht gleich; doch ist das Verhältniß zwischen beiden anders bestimmt,
als in den andern Deutschen Gesetzgebungen.


Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Verſuche.
es rechtfertigt nicht den daraus hergeleiteten Schluß. Die Möglichkeit
des freiwilligen Rücktritts wird dadurch ausgeſchloſſen, daß der Verſuch
beendigt iſt, keine Verſuchshandlung mehr übrig bleibt; aber der Begriff
des Verſuchs wird dadurch nicht aufgehoben. Daß dieß hat behauptet
werden können, beruht auf einer Verwechslung zwiſchen den weſentlichen
Merkmalen des Verſuchs, und den Gründen, welche ihn wegen freiwil-
ligen Rücktritts ſtraflos machen. Die Unterſcheidung des beendigten
Verſuchs (delictum perfectum, délit manqué) iſt alſo nicht deswegen
von Bedeutung, weil dadurch eine beſondere Art der verbrecheriſchen
Thätigkeit, welche zwiſchen Verſuch und vollendetem Verbrechen in der
Mitte ſteht, bezeichnet wird, ſondern deswegen, weil dadurch für die
Strafzumeſſung ein feſter Anhaltspunkt gewonnen wird.

§. 32.

Der Verſuch eines Verbrechens wird wie das Verbrechen ſelbſt beſtraft.
Dem Richter bleibt jedoch überlaſſen, bei Feſtſetzung des Strafmaaßes inner-
halb der dafür vorgeſchriebenen Grenzen darauf Rückſicht zu nehmen, daß das
Verbrechen nicht vollendet worden iſt.

Iſt das Verbrechen mit der Todesſtrafe oder mit lebenslänglicher Zuchthaus-
ſtrafe bedroht, ſo tritt ſtatt derſelben zeitige Zuchthausſtrafe von mindeſtens
zehn Jahren nebſt Stellung unter Polizei-Aufſicht ein.

Inſoweit bei dem vollendeten Verbrechen unter Umſtänden eine der Art oder
dem Maaße nach mildere Strafe eintritt, ſoll dieſelbe auch bei dem Verſuche
zur Anwendung kommen.



Nachdem die Frage, wann der Verſuch ſtrafbar iſt, erörtert worden,
bleibt noch zu unterſuchen übrig, wie derſelbe geſtraft werden ſoll. In
dieſer Beziehung haben ſich zwei Syſteme geltend gemacht: nach dem
gemeinen Deutſchen Kriminalrecht, welchem die neueren Deutſchen Straf-
geſetzbücher gefolgt ſind, wird der Verſuch milder beſtraft als das voll-
endete Verbrechen, und auch aus Gründen der Kriminalpolitik wird dieß
allgemein vertheidigt, indem nur über die Beſtrafung des delictum per-
fectum
Zweifel beſtehen. Dem entgegen hat der Code pénal (ſ. oben
Note d) das Princip aufgeſtellt, daß der Verſuch eines Verbrechens, ſo-
weit er überhaupt ſtrafbar iſt, dem Verbrechen gleich geſtraft werden ſoll,
was auch im Allgemeinen für den Verſuch des Vergehens gilt, nur daß
ein ſolcher erſt durch beſondere geſetzliche Verfügung in einzelnen Fällen
ſtrafbar wird. Dieſe letztere Unterſcheidung hat unſer Strafgeſetzbuch ſich
angeeignet, ſo daß der §. 32. nur von dem Verſuch eines Verbrechens
handelt. Die Strafe deſſelben ſteht der des vollendeten Verbrechens
nicht gleich; doch iſt das Verhältniß zwiſchen beiden anders beſtimmt,
als in den andern Deutſchen Geſetzgebungen.


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[146/0156] Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. II. Von d. Verſuche. es rechtfertigt nicht den daraus hergeleiteten Schluß. Die Möglichkeit des freiwilligen Rücktritts wird dadurch ausgeſchloſſen, daß der Verſuch beendigt iſt, keine Verſuchshandlung mehr übrig bleibt; aber der Begriff des Verſuchs wird dadurch nicht aufgehoben. Daß dieß hat behauptet werden können, beruht auf einer Verwechslung zwiſchen den weſentlichen Merkmalen des Verſuchs, und den Gründen, welche ihn wegen freiwil- ligen Rücktritts ſtraflos machen. Die Unterſcheidung des beendigten Verſuchs (delictum perfectum, délit manqué) iſt alſo nicht deswegen von Bedeutung, weil dadurch eine beſondere Art der verbrecheriſchen Thätigkeit, welche zwiſchen Verſuch und vollendetem Verbrechen in der Mitte ſteht, bezeichnet wird, ſondern deswegen, weil dadurch für die Strafzumeſſung ein feſter Anhaltspunkt gewonnen wird. §. 32. Der Verſuch eines Verbrechens wird wie das Verbrechen ſelbſt beſtraft. Dem Richter bleibt jedoch überlaſſen, bei Feſtſetzung des Strafmaaßes inner- halb der dafür vorgeſchriebenen Grenzen darauf Rückſicht zu nehmen, daß das Verbrechen nicht vollendet worden iſt. Iſt das Verbrechen mit der Todesſtrafe oder mit lebenslänglicher Zuchthaus- ſtrafe bedroht, ſo tritt ſtatt derſelben zeitige Zuchthausſtrafe von mindeſtens zehn Jahren nebſt Stellung unter Polizei-Aufſicht ein. Inſoweit bei dem vollendeten Verbrechen unter Umſtänden eine der Art oder dem Maaße nach mildere Strafe eintritt, ſoll dieſelbe auch bei dem Verſuche zur Anwendung kommen. Nachdem die Frage, wann der Verſuch ſtrafbar iſt, erörtert worden, bleibt noch zu unterſuchen übrig, wie derſelbe geſtraft werden ſoll. In dieſer Beziehung haben ſich zwei Syſteme geltend gemacht: nach dem gemeinen Deutſchen Kriminalrecht, welchem die neueren Deutſchen Straf- geſetzbücher gefolgt ſind, wird der Verſuch milder beſtraft als das voll- endete Verbrechen, und auch aus Gründen der Kriminalpolitik wird dieß allgemein vertheidigt, indem nur über die Beſtrafung des delictum per- fectum Zweifel beſtehen. Dem entgegen hat der Code pénal (ſ. oben Note d) das Princip aufgeſtellt, daß der Verſuch eines Verbrechens, ſo- weit er überhaupt ſtrafbar iſt, dem Verbrechen gleich geſtraft werden ſoll, was auch im Allgemeinen für den Verſuch des Vergehens gilt, nur daß ein ſolcher erſt durch beſondere geſetzliche Verfügung in einzelnen Fällen ſtrafbar wird. Dieſe letztere Unterſcheidung hat unſer Strafgeſetzbuch ſich angeeignet, ſo daß der §. 32. nur von dem Verſuch eines Verbrechens handelt. Die Strafe deſſelben ſteht der des vollendeten Verbrechens nicht gleich; doch iſt das Verhältniß zwiſchen beiden anders beſtimmt, als in den andern Deutſchen Geſetzgebungen.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/156>, abgerufen am 24.04.2024.