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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 31. Der strafbare Versuch.

III. Es ist bisher gezeigt worden, mit welchen Handlungen der
strafbare Versuch seinen Anfang nimmt, und aus welchen Gründen er
aufhört, strafbar zu sein. Es bleibt nun noch die Frage zu erwägen,
wann der Versuch als beendigt anzusehen ist, so daß über ihn hinaus
der Begriff des vollendeten Verbrechens wirksam wird. Dieß letztere ist
aber dann vorhanden, wenn Alles geschehen und bewirkt ist, was
zum Begriff des Verbrechens oder Vergehens gehört, so daß der gesetz-
liche Thatbestand desselben erfüllt ist. Mit dieser allgemeinen Regel
muß man sich aber begnügen, wenn festgestellt werden soll, wo der Ver-
such und das vollendete Verbrechen (delictum consummatum) sich schei-
den; genauere Bestimmungen lassen sich nur bei den einzelnen Verbre-
chen und Vergehen nach ihrer besonderen Beschaffenheit, d. h. in Erwä-
gung des gesetzlichen Thatbestandes geben. Darnach entscheidet es sich
auch, ob das vollendete Verbrechen erst dann vorliegt, wenn eine dauernde
Einwirkung auf die Außenwelt hervorgebracht ist, z. B. die Tödtung
eines Menschen, oder ob eine bestimmte Handlung an sich schon den
Begriff des Verbrechens darstellt, wie bei der Ehrverletzung, dem Dieb-
stahl. Die Eintheilung der Verbrechen in s. g. formelle und materielle
hat daher keine innere, tiefer liegende Bedeutung. Fehlt noch etwas
am Thatbestande, sei es rücksichtlich der Handlung oder des Erfolgs, so
liegt nur ein Versuch vor; derselbe ist beendigt, wenn von Seiten des
Thäters Alles geschehen ist, was nöthig war, um von seiner Seite die
Vollendung herbeizuführen, wenn er also z. B. auf den Gegner, dem er
in mörderischer Absicht auflauerte, sein Gewehr abgeschossen hat. Hat
er ihn verfehlt oder nur leicht verwundet, so liegt der Thatbestand des
Mordes nicht vor; es ist ein Versuch des Mordes geblieben, aber als
solcher ist er beendigt. t)

Diesen beendigten Versuch, der ohne beabsichtigten Erfolg ge-
blieben ist, pflegt man delictum perfectum zu nennen, -- insofern eine
ungeeignete Bezeichnung, als es dadurch den Anschein gewinnt, als ob
kein Versuch, sondern ein, wenn auch nur unvollkommen vollendetes
Verbrechen vorliegt. Die Französische Jurisprudenz hat dafür den Aus-
druck delit manque, mißlungenes Verbrechen, gebildet. Dieses rechnen
nun ausgezeichnete Französische Juristen nicht mehr zum Versuch, und
zwar aus dem Grunde, weil der Thäter nicht mehr die Möglichkeit des
freiwilligen Rücktritts habe. u) Das Letztere ist
auch ganz richtig, aber

t) Vgl. Entwurf von 1843. §. 58. Dieser Paragraph ist später aufgegeben
worden, weil er nur einen Strafzumessungsgrund enthielt, und das richterliche Er-
messen in unangemessener Weise einschränkte; s. Revision von 1845. I. S. 136. ff.
u) Chauveau et Helie Faustin I. c. p. 147-149.
Beseler Kommentar. 10
§. 31. Der ſtrafbare Verſuch.

III. Es iſt bisher gezeigt worden, mit welchen Handlungen der
ſtrafbare Verſuch ſeinen Anfang nimmt, und aus welchen Gründen er
aufhört, ſtrafbar zu ſein. Es bleibt nun noch die Frage zu erwägen,
wann der Verſuch als beendigt anzuſehen iſt, ſo daß über ihn hinaus
der Begriff des vollendeten Verbrechens wirkſam wird. Dieß letztere iſt
aber dann vorhanden, wenn Alles geſchehen und bewirkt iſt, was
zum Begriff des Verbrechens oder Vergehens gehört, ſo daß der geſetz-
liche Thatbeſtand deſſelben erfüllt iſt. Mit dieſer allgemeinen Regel
muß man ſich aber begnügen, wenn feſtgeſtellt werden ſoll, wo der Ver-
ſuch und das vollendete Verbrechen (delictum consummatum) ſich ſchei-
den; genauere Beſtimmungen laſſen ſich nur bei den einzelnen Verbre-
chen und Vergehen nach ihrer beſonderen Beſchaffenheit, d. h. in Erwä-
gung des geſetzlichen Thatbeſtandes geben. Darnach entſcheidet es ſich
auch, ob das vollendete Verbrechen erſt dann vorliegt, wenn eine dauernde
Einwirkung auf die Außenwelt hervorgebracht iſt, z. B. die Tödtung
eines Menſchen, oder ob eine beſtimmte Handlung an ſich ſchon den
Begriff des Verbrechens darſtellt, wie bei der Ehrverletzung, dem Dieb-
ſtahl. Die Eintheilung der Verbrechen in ſ. g. formelle und materielle
hat daher keine innere, tiefer liegende Bedeutung. Fehlt noch etwas
am Thatbeſtande, ſei es rückſichtlich der Handlung oder des Erfolgs, ſo
liegt nur ein Verſuch vor; derſelbe iſt beendigt, wenn von Seiten des
Thäters Alles geſchehen iſt, was nöthig war, um von ſeiner Seite die
Vollendung herbeizuführen, wenn er alſo z. B. auf den Gegner, dem er
in mörderiſcher Abſicht auflauerte, ſein Gewehr abgeſchoſſen hat. Hat
er ihn verfehlt oder nur leicht verwundet, ſo liegt der Thatbeſtand des
Mordes nicht vor; es iſt ein Verſuch des Mordes geblieben, aber als
ſolcher iſt er beendigt. t)

Dieſen beendigten Verſuch, der ohne beabſichtigten Erfolg ge-
blieben iſt, pflegt man delictum perfectum zu nennen, — inſofern eine
ungeeignete Bezeichnung, als es dadurch den Anſchein gewinnt, als ob
kein Verſuch, ſondern ein, wenn auch nur unvollkommen vollendetes
Verbrechen vorliegt. Die Franzöſiſche Jurisprudenz hat dafür den Aus-
druck délit manqué, mißlungenes Verbrechen, gebildet. Dieſes rechnen
nun ausgezeichnete Franzöſiſche Juriſten nicht mehr zum Verſuch, und
zwar aus dem Grunde, weil der Thäter nicht mehr die Möglichkeit des
freiwilligen Rücktritts habe. u) Das Letztere iſt
auch ganz richtig, aber

t) Vgl. Entwurf von 1843. §. 58. Dieſer Paragraph iſt ſpäter aufgegeben
worden, weil er nur einen Strafzumeſſungsgrund enthielt, und das richterliche Er-
meſſen in unangemeſſener Weiſe einſchränkte; ſ. Reviſion von 1845. I. S. 136. ff.
u) Chauveau et Hélie Faustin I. c. p. 147-149.
Beſeler Kommentar. 10
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[145/0155] §. 31. Der ſtrafbare Verſuch. III. Es iſt bisher gezeigt worden, mit welchen Handlungen der ſtrafbare Verſuch ſeinen Anfang nimmt, und aus welchen Gründen er aufhört, ſtrafbar zu ſein. Es bleibt nun noch die Frage zu erwägen, wann der Verſuch als beendigt anzuſehen iſt, ſo daß über ihn hinaus der Begriff des vollendeten Verbrechens wirkſam wird. Dieß letztere iſt aber dann vorhanden, wenn Alles geſchehen und bewirkt iſt, was zum Begriff des Verbrechens oder Vergehens gehört, ſo daß der geſetz- liche Thatbeſtand deſſelben erfüllt iſt. Mit dieſer allgemeinen Regel muß man ſich aber begnügen, wenn feſtgeſtellt werden ſoll, wo der Ver- ſuch und das vollendete Verbrechen (delictum consummatum) ſich ſchei- den; genauere Beſtimmungen laſſen ſich nur bei den einzelnen Verbre- chen und Vergehen nach ihrer beſonderen Beſchaffenheit, d. h. in Erwä- gung des geſetzlichen Thatbeſtandes geben. Darnach entſcheidet es ſich auch, ob das vollendete Verbrechen erſt dann vorliegt, wenn eine dauernde Einwirkung auf die Außenwelt hervorgebracht iſt, z. B. die Tödtung eines Menſchen, oder ob eine beſtimmte Handlung an ſich ſchon den Begriff des Verbrechens darſtellt, wie bei der Ehrverletzung, dem Dieb- ſtahl. Die Eintheilung der Verbrechen in ſ. g. formelle und materielle hat daher keine innere, tiefer liegende Bedeutung. Fehlt noch etwas am Thatbeſtande, ſei es rückſichtlich der Handlung oder des Erfolgs, ſo liegt nur ein Verſuch vor; derſelbe iſt beendigt, wenn von Seiten des Thäters Alles geſchehen iſt, was nöthig war, um von ſeiner Seite die Vollendung herbeizuführen, wenn er alſo z. B. auf den Gegner, dem er in mörderiſcher Abſicht auflauerte, ſein Gewehr abgeſchoſſen hat. Hat er ihn verfehlt oder nur leicht verwundet, ſo liegt der Thatbeſtand des Mordes nicht vor; es iſt ein Verſuch des Mordes geblieben, aber als ſolcher iſt er beendigt. t) Dieſen beendigten Verſuch, der ohne beabſichtigten Erfolg ge- blieben iſt, pflegt man delictum perfectum zu nennen, — inſofern eine ungeeignete Bezeichnung, als es dadurch den Anſchein gewinnt, als ob kein Verſuch, ſondern ein, wenn auch nur unvollkommen vollendetes Verbrechen vorliegt. Die Franzöſiſche Jurisprudenz hat dafür den Aus- druck délit manqué, mißlungenes Verbrechen, gebildet. Dieſes rechnen nun ausgezeichnete Franzöſiſche Juriſten nicht mehr zum Verſuch, und zwar aus dem Grunde, weil der Thäter nicht mehr die Möglichkeit des freiwilligen Rücktritts habe. u) Das Letztere iſt auch ganz richtig, aber t) Vgl. Entwurf von 1843. §. 58. Dieſer Paragraph iſt ſpäter aufgegeben worden, weil er nur einen Strafzumeſſungsgrund enthielt, und das richterliche Er- meſſen in unangemeſſener Weiſe einſchränkte; ſ. Reviſion von 1845. I. S. 136. ff. u) Chauveau et Hélie Faustin I. c. p. 147-149. Beſeler Kommentar. 10

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/155>, abgerufen am 28.03.2024.